DER WEG IN DIE FREIHEIT
Wenn du nicht zufrieden
bist mit dem, was läuft, dann paß jetzt auf. Ich will versuchen zu beschreiben
wodurch es sich ändert.
Seit je her hat es Methoden
gegeben, durch die Menschen ihren Weg gefunden haben, aber immer wieder haben
die Menschen vergessen, daß diese Methoden - so geheiligt ihre Tradition auch
sein mag - nur Hilfen sind und nicht der Weg selber. Und so sind diese Methoden
und die Religionen, die sie verwenden, in Verruf gekommen. Die Menschen, die
für sich den Weg gefunden haben, haben immer versucht, den anderen mitzuteilen,
worauf es dabei ankommt, aber für die Mitteilung brauchten sie Begriffe und
diese Begriffe erstarren zu Vorurteilen.
Deshalb muß das Wesentliche
zu jeder Zeit neu gesagt werden. So ist das bisher immer geschehen. Und auch
wir müssen es wieder versuchen, das Alte mit dem Neuen verbinden, gewissermaßen
einen neuen "Islam" beschreiben, ein neues Christentum, das heutige
Tao, die Möglichkeit eines Lebens der Hingabe am Ende des zwanzigsten
Jahrhunderts.
Heute stehen uns
Erfahrungen zur Verfügung, zu denen in früheren Zeiten kaum jemand Zugang
hatte: die Ergebnisse der psychologischen Forschung von Freud bis Milton
Erickson und Stan Grof, viele alte und neue psychologische Techniken, das
Wissen der mystischen Schulen von Alt-Ägypten bis Castaneda, die Wege der
Religionen und Sekten, das Beispiel der Stars. Und all das spiegelt sich in
unserem eigenen "heiligen Krieg" (arab. "dschihad" =
"ernsthafte Bemühung"). Im Grunde sind wir alle Krieger, stehen alle
im Kampf. Doch viele von uns wissen meist nicht mehr, woher das kommt, noch,
wohin das führen soll. Manche wehren sich dagegen, andere werden "Stammväter"
einer neuen, höheren "Spezies", nämlich derer, die wissen, was es mit
dem Leben auf sich hat; und es gibt keinen Zweifel darüber, wer von den beiden
ein besseres Leben hat. Die biblischen Stammväter aller Religionen jedenfalls
wußten sich getragen von einer ungeheuren Kraft, die sie als die Kraft Gottes,
die Kraft des Universums erlebten. Sie lebten nicht für theologische
Spekulationen. Ihr "Leben nach dem Tod" galt dem Hier und Jetzt. Sie
haben das Himmelreich zu Lebzeiten erfahren, es erkämpft. Die Menschen fallen
auf alles Mögliche herein, doch der Himmel besteht nicht in Ansehen, Geld oder
Frauen, sondern eben im Erleben dieser Kraft, dieses Fließens, dieses
Getragen-Werdens in der Kraft, der Kraft, die über all diese verschiedenen
Stufen der Verdichtung unsere Form gefunden hat. Und alle, die dieses Leben
führen, haben geglaubt, gewußt, daß alle das können. Deshalb haben sie ihre
Erfahrungen mitgeteilt, um damit den zum Tod Verurteilten Hoffnung und neues
Leben zu geben.
Möchtest du an Krebs sterben?
"Wo ist die Botschaft, die uns heilt?" schreien die Leute auch heute.
Aber bei anderen suchen sie sie vergeblich. Die Hilfe ist bereits da. Wir
brauchen sie nirgends suchen. Sie ist nicht nur in Jesus Mensch geworden. Sie
ist, was der Mensch geworden ist. Sie ist das Grundprinzip. Diese bewegende
Kraft in uns hat uns so konstruiert, daß wir ihr den Weg bahnen. Unser
"Ich" ist der Vorläufer, unser "Johannes der Täufer", der
abnehmen muß, damit die Kraft in uns, der Vater, zunehmen kann. Und so erhalten
wir eine lebendige, gegenwärtige Sicht davon, was früher für die Menschen
"Jesus" und "Gott" bedeutet hat.
Das ist kein Pantheismus,
denn das Ich, das dem großen Strom entfremdet ist, ist der Widersacher. Wer
sich sträubt gegen den Strom, wird erfaßt von seinen Wirbeln und ersäuft. Was
ist das Motiv für den Abfall? Wenn wir keine Aussicht haben, daß wir unser Ziel
noch erreichen, wenn wir verzweifeln an der Führung, wenn wir den Glauben
verlieren, der der einzige Glaube ist, der von jedem Wesen verlangt ist, und
der unter Todesstrafe nicht aufgegeben werden darf. Es ist der Glaube an die
Führung, das "sich. geführt wissen". Wer ihn verliert, stirbt. Die
Kraft saugt ihn auf, nicht als Strafe, sondern weil sie durch ihn nicht zum
Ziel kommen kann. Das Ziel heißt vorwärts, immer weiter! Die .Moslems sagen
"allahu akbar", "Gott ist größer!". Die sich sperren
ruinieren sich selbst. Natürlich ist ihre Weigerung auch eine
"göttliche" Wirkung, aber sie ist nicht "Gott"; "Gott"
ist vielmehr der, der die Zerstörung des untauglichen Vehikels bewirkt; einer
seiner vielen Formen nämlich wird es zur Nahrung und damit eine Warnung an die
Nachwelt. So ist der Pantheismus aufgehoben und ein "Islam"
eingeführt (arab. = Hingabe), also ein Weg der Hingabe, auf dem ein Mensch, der
im Fluß lebt, sagen kann: "Da ist nichts als Allah unter meinem
Gewand" (AI Ghazali). Was mehr braucht es zur Erklärung des höchsten
Prinzips? So ist die Welt.
Aber wie erreichen wir
ewiges Leben? Die Mediziner debattieren über die Möglichkeit physischer
Unsterblichkeit, aber ob wir das noch erleben werden? Und wenn wir es erreichen
könnten, würde es uns auch freuen? In welcher Bedeutung wir "ewiges
Leben" auch verstehen, so viel steht fest: Wir können das ewige Leben
nicht erleben, wenn wir uns sperren. Das Sich-Öffnen dieser Kraft gegenüber hat
natürlich auch seine Gefahren, wie wir von den Lebensgeschichten der Heiligen
und der Helden wissen. Aber es ist der einzige Weg, Schritt für Schritt, immer
weniger Tabus, immer weniger Gewohnheiten, mehr und mehr das spontane
Bedürfnis. Aber wird das nicht barbarisch sein, werden wir nicht zurückfallen
in die Steinzeit? Nein, denn auch unsere Zivilisation ist ein Ergebnis unserer
Natur und von der wollen und können wir keine Facette verleugnen. Wir wollen
nicht aussteigen, sondern einsteigen, nicht ausbrechen, sondern den Fluß in uns
fließen lassen.
Die sich sperren gegen den
Fluß, erzeugen Entfremdung. Sie wollen die Materie, die Welt beherrschen, sie
wollen ihre Sicherheit berechnen, sie tun, was sie tun, aus einem Vorurteil,
weil ihnen das Vertrauen auf die Einsicht des Augenblicks fehlt. Natürlich
können sie mit einer Schematik der Wirklichkeit nie gerecht werden. So sehr
sich die moderne Wissenschaft auch assymptotisch der Wirklichkeit annähert, die
Berechnung trifft sich mit ihr erst im Unendlichen. Es gibt nur einen
unmittelbaren Weg: Es tun.
Do it! Hör auf zu jammern
und zu kritisieren. Tu es! Stell deinen Standpunkt dem anderen entgegen, daß
die Lebenskraft herauskommt - also nicht theoretisch, sondern praktisch. Alle
Theorie ist grau, das Leben in ihr ist zerhackt oder es ersetzt sich durch
Reden. Deshalb hilft es nur wenigen, esoterische Schriften zu studieren, zu
meditieren usw. Das ist nicht das Leben. Das Leben hat eine andere Macht,
unvergleichlich stärker als alle unsere "Willensstärke". Es zeigt uns
immer wieder, daß unsere ehrgeizigen Wünsche nur Illusionen sind, wir müssen
scheitern, solange wir ihm nicht entsprechen.
Aber was ist dieses Leben?
Was ist dieser "Gott", dem wir gehorchen müssen? Was ist die heutige
Religion? Das Leben ist ein Muster, eine Struktur, eine Form; die menschliche
Form - wie man auch sagt: die menschliche Natur - in unserer speziellen Tönung.
Und gibt es einen Weg,
diese Natur so weit freizulegen, daß es fließt? Wer sind die Propheten der
neuen Religion? Mein Religionslehrer im Gymnasium hat mich darauf aufmerksam
gemacht, daß die Propheten singen, nicht reden. So habe ich mich auf die Suche
nach diesen Sängern und ihren Liedern gemacht. Die Meßgesänge konnten doch wohl
nicht gemeint sein. So oft es da auch heißt: "Singt dem Herrn ein neues
Lied", wo sind die wirklich neuen Lieder, wo sind die wirklich neuen
Propheten? Ich habe sie entdeckt im Soul, im Jazz, in der Rockmusik, sogar im
Punk. Die Stars sind tatsächlich Propheten. Die neuen Mythen werden in
Hollywood produziert, die neuen biblischen Epen finden sich auf den
Bestsellerlisten der Verlagshäuser. Ein neues Bewußtsein ist aufgetaucht aus
dem Morast des Entfremdeten. Es zeigt sich, daß nicht der Materialismus die Hauptsünde
der heutigen Zeit ist, vielmehr ist das Problem heute wie eh und je das
Vorurteil.
"Die Hölle, das sind
die anderen", sagt Sartre. Und das Vorurteil kommt von den anderen. Wir
werden gedrillt darin. Und unsere Angst vor Strafe beschert uns eine schematisierte
Weltsicht, die dem flüssigen Leben nicht entspricht. Die Schematik entspringt
der Vorsicht, der Sorge, dem Zweifel, dem Mißtrauen, der Verweigerung. Daraus
besteht das "Ich", das alle Religionen und auch die psychologischen
Techniken los werden wollen. Alle Sorge hält den Fluß auf. Sie schwächt die
Lebenskraft. Umso mehr wir uns zurückhalten, umso dünner rieselt der
Lebensstrom, bis er irgendwo ganz blockiert wird und wir sterben.
Castaneda nennt es
"rollende Kraft", was belebt und umbringt, je nachdem man sich dieser
Kraft zur Verfügung oder sich ihr entgegenstellt.
Castaneda geht über tausend
Einweihungsstufen und erlebt mehr und mehr, was andere längst wußten, daß das
der Weg, der Fluß, das Leben ist. Der Krieger nimmt es, wie es ist. Er tut zu
aller Zeit nichts in der Welt lieber als das, was er gerade tut. Und deshalb
tut er es gern und gut. Nur so werden wir Fehler vermeiden, nur so wird die
Angst überflüssig, auf dem natürlichen Weg, nicht durch Achtsamkeit auf
irgendwelche Regeln. Es gibt nur eine Regel: "Du sollst keine fremden
Götter neben mir haben" (das ist tatsächlich das erste Gebot der
Bibel)."Tu was du willst, das ist das ganze Gesetz" (Aleister
Crowley). "Do it!" (die Botschaft der heutigen populären Musik). Such
dir das Liebste, das Höchste. Los, geh auf den Pfad der Liebe. Da ist Energie.
Da ist "das Feuer von innen" (Castaneda). Eckhart hat dieses Feuer
"göttlicher Funke" genannt, aber es ist mehr wie ein Funke.
Wenn wir dieses Feuer in
uns entdeckt haben, das unser Leben geformt hat, werden wir formlos; unser Ich
verbrennt; die Kräfte, die uns determinieren, können uns von da an nicht mehr
halten. Die "Mächte der Finsternis" werden kraftlos, weil jetzt nur
noch ein Energiestrom existiert, der Strom der Gefühlsbeziehungen, eine tiefere
Ebene der Wahrnehmung. Jetzt ist unser Wille kein Eigenwille mehr, sondern der
"Befehl des Adlers" (Castaneda). Seine Intention ist der Lebensstrom.
Der Mensch, der seine Intention gefunden hat, schwimmt sozusagen schneller als
der Strom der determinierenden Kräfte. Er hat Abstand, denn er sieht das Ganze
vom Ziel her, das ihn zieht. Er geht seinen Weg. Er und der Vater sind eins
(Jesus).
Krankheiten entstehen im
Gegensatz dazu, wenn einer sich als Opfer sieht, wenn einer sich entziehen
will, wenn einer zweifelt, weil er Angst hat. Krampfhaftes Zurückhalten erzeugt
Krebs. Die einzige Krebsvorsorge ist der Fluß. Die Liebe löst alle Bedenken,
alle Hemmnisse, alle Beschwerden - aber nicht unbedingt lautlos - und bei
denen, die sie allzulang zurückgehalten haben, vielleicht mit einer Explosion,
die sie umbringt. Wenn aber die Hemmnisse einmal überwunden sind, dann fließt
es von selber. Wir brauchen die Energie nicht erzeugen, wir brauchen nur die
Hindernisse aus dem Weg räumen, dann ist der Fluß da. "Goin' down to your
river makes me shiver" (Labelle). Der große Fluß, ehrfurchtgebietendes
Geheimnis, in jedem von uns: Wie sich die Strömungen in uns kreuzen. Und wie
der Krieger fähig wird, sich auf alle Strömungs- und Wahrnehmungsbänder
einzustellen und jedes einzelne in seinen tiefsten Tiefen zu sehen.
In diesen Strömungen und
Wellen begegnen wir den "geistigen Mächten", Dämonen wie Engeln.
Durch unser Assoziationsvermögen personifizieren sie sich symbolisch und
erscheinen als Gestalten auf unserem Weg. In Wirklichkeit sind es nur Phantome,
die uns schrecken und uns abhalten möchten davon, endlich das zu tun, was wir
wollen. Sie erscheinen als Wirklichkeiten, aber indem wir ihre Gestalt
durchschauen, können sie uns nichts anhaben ("Ach wie gut, daß niemand
weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß"). Natürlich gibt es auch Geister, die
für uns uninteressant sind, die nichts bringen. Wir können auf alle möglichen
Trips gehen. Solange wir in stereotypen Welten gefangen sind, sind wir in den
Fängen dieser Geister. Man kann sie "Archetypen" nennen, wie Jung,
aber das ist zu ungenau; die Strömungen sind viel diffiziler. Der ganze Prozeß
jedoch, in dem wir uns von unseren Determinanden lösen, ist einfach der
"Kampf mit Gott", den schon der biblische Jakob durchgemacht hat.
Unsere Lebenskraft muß sich durchsetzen gegen alle Hindernisse, wie eine Blume,
die durchbricht durch den Asphalt. Der Asphalt, das sind die Strömungen, die
uns vereinnahmen und — von uns aus gesehen — hinunterziehen, verdrängen wollen.
Die Schranken, die uns schrecken, sind Geister, Schemen, die wir selber,
hypnotisiert, der Wirklichkeit gegenüberstellen. Wir erhoffen uns Schutz, aber
wir verwirren uns damit, weil wir durch unsere Beschränkung Symptome erzeugen,
die wir dann vertuschen möchten, weil sie beweisen, daß wir nicht eigentlich
leben, sondern Sklaven sind: Wenn ich mich in Förmlichkeiten flüchte, mir eine
Maske zulege, wähle ich sie nicht selber, sie wird mir von den anderen auf
gezwungen, vor denen ich nicht unangenehm auffallen will, weil ich mir meiner
Sache nicht sicher bin. Wie ganz anders ist da die freiwillig gewählte Maske
des Schauspielers, die es ihm erlaubt, er selber zu sein - wie das Chamäleon
sich bewußt anpaßt, um seine Fliegen zu fangen.
"Ich werde euch zu
Menschenfischern machen" (Jesus).
Menschenfischer. Heute sind
das die Stars. Ihre Produkte sind heiß begehrt. Ihre Skandalgeschichten füllen
die Magazine. Sie wagen das Leben in seiner ganzen Bandbreite. Sie haben sich
über die Schranken ihrer Angst erhoben. Die frohe Botschaft, daß wir sein
dürfen, wie wir sind, wird schon längst ausgerufen für das "gemeine
Volk", nur die Intellektuellen und die Mittelklasse sind sich zu fein für
die Wahrheit.
Was zählt? Das Geld? Das
Ansehen? Die Macht? Die Geborgenheit? Man muß sich schon faszinieren lassen,
man muß durch alle Trips hindurchgehen, erst dann weiß man, daß es kein
einzelner von ihnen ist, sondern der ganze Weg. Manche Angsthasen kennen diese
Wahrheit schon vorher. Sie haben sie irgendwo gelesen. Und das gibt ihnen die
Ausrede, daß sie es nicht für sich selber herausfinden müssen. Sie werden nie
erfahren, was frei sein heißt. Wir müssen auf diese magischen Trips gehen, den
Weg der Faszination. Genau das ist der Weg, den Castaneda beschreibt, das ist
der Weg, den Odysseus gegangen ist. Erst hier erkennen wir mit unserem ganzen
Sein, daß es nur eins gibt, das wichtig ist: begeistert zu sein, im Strom zu
leben, aktiv die bestmögliche Situation herzustellen, nicht Opfer zu sein,
sondern Täter, jedem das Seine zu geben, vom Reproduzieren bis zum Töten, das
ganze Spektrum, nicht eine moralische Auswahl absoluter Gebote. Absolute
Wahrheiten sind Lügen, es gibt keine absolute Wahrheit außer der einen: daß das
Leben unkontrollierbar ist und unabsehbar und daß alles darin vorkommt. Deshalb
gilt nichts immer und überall.
Wenn du die Wahrheit von
etwas anhand einer Liste von Wahrheiten überprüfen willst, siehst du durch
einen Filter und nicht wirklich. Die wirkliche Wahrheit steht in keinen Listen,
sie ist in der Natur.
Gratia supponit naturam,
die Gnade unterstützt die Natur. Wer seiner Natur folgt, dem hilft der
sogenannte Zufall, er befindet sich am richtigen Ort zur richtigen Zeit. C. G.
Jung nennt es "Synchronizität"; perfect timing, aus dieser
Allwahrnehmung heraus, nicht aus einer berechneten, sondern aus der
automatischen optimalen Reaktion auf die Situation, weil keine Tabus mehr
hemmen. Wir sind frei, es fließen zu lassen. "Wie Wasser", sagen die
Taoisten, geht der Weg; der Talgeist führt uns recht. Immer der Neigung nach,
auf und ab, wie es dem Rhythmus der Natur entspricht, in alle Richtungen; im
absoluten Vertrauen auf die "göttliche" Führung, die Führung durch
unsere eigene Natur, durch die Form, die in uns durchbrechen möchte; es ist das
Wesen selbst in unserer Gestalt. Es geht um die schönste Verwirklichung. Wir
dürfen uns, also das Wesen, also "Gott", durch nichts einschüchtern
lassen. Alle versuchen das nämlich, teils um auf unsere Kosten ihre Form
durchzusetzen, teils weil sie selber das Leben vergessen haben und daher auch
nicht wollen, daß jemand anderer lebt. Aber dieses Leben und kein anderes ist
das ewige Leben. Das ewige Leben ist da, hier, jetzt; es ist der ewige Fluß,
dieses große Wesen mit seinen Myriaden Facetten; ein jedes Wesen ein Gesicht
Gottes, eine Ansicht, ein perfekter Spiegel der Welt. Und dieser Spiegel zeigt
nicht nur angenehme Dinge, denn so manches wollen wir nicht sehen und auch an
uns selber nicht akzeptieren. Aber die Natur läßt sich nicht ablehnen. Wenn es
uns schon gelungen ist, etwas von uns effektiv zu verdrängen, dann schaut es
uns von außen an, bis wir es zur Kenntnis genommen haben oder bis es uns
umbringt.
Akzeptiere dich daher mit
allen deinen Seiten und dann schau, daß du dein Leben in die Hand bekommst,
damit du nicht länger getrieben wirst von Konventionen und
"freundlichen" Lügen. Hör auf zu tun, was du nicht liebst! Es ist
"widernatürliche Unzucht". Sag dir nicht "aber wenn das alle
machen würden", du brauchst keine Angst haben, es machen nicht alle und
wenn es alle machen würden, wie schön wäre dann unser Leben, nicht müde und
fad, sondern spannend, total drin und total losgelöst von allen Zwängen.
"Nichts als Allah unter meiner Kutte", kein Ehrgeiz mehr, keine
Furcht, keine Verleugnung des Eigensten.
Aber ich kann nicht warten
bis die Gesellschaft sich verändert hat oder bis wir sie verändert haben
werden. Das läuft nicht so. Die Mächte, die die Geschichte bestimmen, sind
nicht unter unserer Kontrolle. Wir sind in einer Strömung, die eben dort, wo
sie ist, so ist, wie sie ist. Das ist die Ausgangsbasis. Und in der müssen wir
lernen, uns zu bewegen. Wir brauchen die Welt nicht ändern, es genügt, wenn wir
uns selber ändern. Damit ändert sich alles. Wir waren Opfer, jetzt sind wir es,
die ihr Leben führen. Nur durch unser Beispiel werden die verbliebenen Opfer
ermutigt werden, nicht indem wir ihnen "helfen" und sie damit tiefer
in ihre Opferrolle verstricken.
Der Geist ist es, der
zieht. Deshalb wirkt die Musik so stark. Während die Wahnsinnigen auf der einen
Seite Raketen gegeneinander aufbauen, verbreiten die Massenmedien die alte
Botschaft des Weges aus der Entfremdung in neuer Form. Die Spitzenprodukte
aller Ebenen haben nur die eine Botschaft: Verbünde dich mit dem Wesen. Do it!
Sei der Energiekanal, der das größte Entzücken verbreitet. Und das war seit je
her die Botschaft der Stars: "Mohammed (der Prophet) heißt auf deutsch
"der, dem man dankt". Nach islamischer Lehre ist Mohammed das erste
Geschöpf; der, dem man dankt, ist das erste Geschöpf. Und Luzifer fiel ab vom
Wesen, indem er sich weigerte, vor dem Menschen niederzufallen und ihn
anzubeten. Heute werden diese Dinge natürlich anders ausgedrückt, aber die
Botschaft der heutigen Propheten ist die gleiche: Wie Jesus in der Bergpredigt
fordern sie ein Leben ohne Form, ein Leben im Fluß. Kein Zurück.
Im Gegensatz dazu haben die
Menschen tausend Methoden, das Übel abzuwehren, aber keine führt zum Ziel, denn
das letzte Übel ist die Methode selbst, die letzte Barriere, das letzte Schema,
der letzte Filter durch den wir die Wirklichkeit betrachten. Das drohende Übel,
das abgewendet werden soll, ist in Wirklichkeit die treibende Kraft. Deshalb
sagt Jesus "widersteht nicht dem Bösen". Wenn wir das Übel ausrotten
könnten, käme alles zum Stillstand. Wir alle haben das Übel in uns, die dunkle
Seite, den Schatten. Wenn wir ihn zudecken und verleugnen, begegnet er uns von
außen. Der einzige Weg ist ihn anzunehmen und mit ihm die großartige Chance,
die in ihm liegt, diese Kraftreserven. Unser Schatten ist der Teil von uns, der
uns Respekt verschaffen kann. Er ist eine Quelle der Schöpferkraft. Er ist
unser Verbündeter, der für uns kämpft, wenn es nötig wird. Und erst wenn wir
ihn akzeptieren, können wir auch die anderen Menschen voll akzeptieren und mit
ihnen etwas anfangen. Und nun ist das Problem gelöst, das wir im Anfang
bekämpft haben. Das Übel ist in seine echte Funktion eingesetzt, unsere dunkle
Seite gibt jedem Angriff gegen unsere Form die entsprechende Antwort
automatisch. Das wirkt. Berechnete Güte hat niemals diese vitale Kraft.
Aber auch eine Krankheit
wird erzeugt von unserem Schatten, der uns ein Zeichen gibt, das uns aufmerksam
macht auf ein vitales Bedürfnis, das wir vernachlässigt haben. Und dieser
Schatten verwandelt sich in unseren (gnädigen) Tod, wenn wir ihn nicht annehmen
als einen wertvollen Anteil an uns selbst. Durch die Verdrängung ist das Leben
viel weniger lebenswert, denn wir verbrauchen unsere Energie, indem wir uns
selber bekämpfen. Deshalb verwandelt unser Respekt vor dem Schatten die Welt.
Nun sind wir nicht mehr gespalten, sondern ganz, nicht mehr Opfer, sondern
Ausdruck der Lebenskraft. Da wir jetzt der Wirklichkeit unverhüllt ins Auge
schauen können (die alte biblische Behauptung, niemand könne Gottes Angesicht
schauen und es überleben, spricht nicht vom physischen Tod, sondern vom
Ich-Tod) können wir unsere Bestimmung erfüllen. Jetzt haben wir die nötige
Demut zu sehen, was wir sind: ein Wesen, das reich beschenkt ist mit Gaben, das
aber aus sich nichts tun kann. Wir sehen: Die schönsten Werke der Kunst und der
Kultur sind nicht die Produkte der Künstler. Die Künstler haben sie nur
entdeckt. Die Form lag in der Luft, der Zeitgeist hat es ihnen diktiert. Sie
waren nur ausführendes Instrument. "Wenn ich meine Worte spreche, sind sie
nicht wahr", hat Jesus gesagt. Ich muß dem Geist meine Stimme geben, dann
ist mein Werk schöpferisch - aber nie absolut. Der Geist ist immer bezogen auf
die Situation.
Man kann keine Regeln
finden, die alles umfassen. Durch jede Regel werden die Möglichkeiten
eingeschränkt. Das Bedürfnis nach den unerlaubten Dingen muß verdrängt werden.
Oft verlangt die Situation den Bruch einer sonst auch noch so guten Regel. Und
das feine Gespür für diese Situationen läßt sich nicht erlernen durch Regeln,
das ist auch allen Religionen klar: Im Koran ist es al Khidr, der Grüne, also
die Natur, als unbekannter Lehrer des Mose. Und Jesus hat klar vorexerziert,
wie relativ die Regeln sind. Und dafür ist er umgebracht worden. Vielen, die
das zeigen wollten, ist es so ergangen. Im Gegensatz dazu stehen die Fälle, wo
Menschen um einer Idee willen in den Tod gehen, denn die Idee ist nur ein
Ausschnitt aus der Wirklichkeit, ein Schema, das allen Tod bringt, auf die es
nicht paßt. Und zu dem sind die meisten Religionen hin und wieder geworden.
Das totale Leben ist ein
Leben ohne Schema. Da regelt die Vernunft die konkreten Probleme, indem sie die
beteiligten Interessen miteinander vergleicht. Die natürliche Intelligenz
findet spontan salomonische Lösungen. Die Annahme des Schattens, den die
Ideologen bekämpfen, bringt eine tiefe Einsicht in die Relativität der
Wirklichkeit, die alle Blockaden löst, sodaß die Intelligenz frei fließen kann.
Das Problem ist nicht "der Kopf", die Vernunft, sondern die
Blockierung der Vernunft durch ein Denkschema, durch Eigensinn.
Eigensinn ist ein
Widerspruch, eine Angst, ein Mißtrauen, ein Vorurteil über das, was gut ist.
Dabei ist nur eines unüberbietbar gut: Losgelöstheit von allem durch Vertrauen
auf die Lebenskraft, die alles zur rechten Zeit bietet, die sich selber heilt.
Durch unseren Eigenwillen können wir uns nicht heilen. Und der gängige
Heilungswille der Patienten ist gewöhnlich nur das Bedürfnis, das Symptom los
zu werden, anstatt es als das Zeichen zu sehen, das es ist, und darauf
entsprechend zu reagieren, dem Anspruch gerecht zu werden, den unser
verdrängter Teil an uns stellt. Deshalb laufen Menschen jahrelang zu Ärzten und
es ändert sich nichts. Sie müßten sich ihr Problem einmal genau ansehen.
Der Schmerz ist nicht
schlecht, im Gegenteil, er ist das erste Hilfsmittel, denn er erzeugt eine
Intention in Richtung auf ein besseres Leben. Das zeigen auch die Aussagen der
Menschen, die klinisch tot waren und dann weitergelebt haben. Wenn wir den
Schmerz unterdrücken, kann sich diese Intention nicht bilden, weil der natürliche
Anlaß fehlt. So hat die Natur für uns vorgesorgt. Das Übel baut uns auf.
"Felix culpa". So geht der Weg. Keine Verleugnung - eher schon eine
bewußte Lüge für die, die die Wahrheit nicht hören wollen. Die Welt will
betrogen werden, um nicht aus ihrer Einbildung erwachen zu müssen, sie wollen
verführt werden, damit sie eine Ausrede haben, warum sie aufgegeben haben. Sie
zahlen gut dafür, daß man ihnen ein Theater vorspielt und sie hinters Licht
führt. Es ist die klare Lüge, die sie brauchen, damit sie erwachen können,
damit sie die Lüge als solche erkennen können.
Frei sind wir erst, wenn
wir keine Tabus mehr kennen, wenn wir jedem geben können, was er braucht, dem
einen Tod, dem anderen Leben. Manche kann nur der Tod retten vor sich selbst.
Sie müssen sterben, denn "Gott ist ein eifersüchtiger Gott". Er
duldet keine fremden Götter neben sich. Ein solcher fremder Gott kann der
biblische Gott selber werden, wie bei dem Priester in der Geschichte vom
barmherzigen Samariter. Aber JAHWE, "ich bin der ich bin", ist der
einzige. Nur in mir ist die Wahrheit. Ich bin die Wahrheit. "Ich bin der
Weg, die Wahrheit und das Leben", sagt Jesus. Ich bin das Resultat meiner
selbst, nicht einfach ein Produkt der Welt; das nämlich sind die Sklaven. Wir
müssen uns abwenden von der Welt, von deren Vorurteil. Wir müssen uns frei
machen für diese Wahrheit, die in uns Durchbruch sucht. Nur so können wir
leuchten wie die Sterne, als Krieger dieser Kraft, des Willens, der "aus
uns hervorschießt", wie Castaneda sagt, aber erst wenn wir alle Bedenken,
alles Mißtrauen abgelegt haben, wenn wir uns trauen. Wenn wir uns gedemütigt
haben zu dieser einen Realität (l Ching), in der nur der echte Gefühlsausdruck
Wert hat und keine formalisierten Floskeln der Höflichkeit oder einer anderen Technik.
Da hört sich jeder Ehrgeiz auf, das eingebildete Ich verschwindet und eine
tiefere Instanz, die unergründlich ist, übernimmt die Kontrolle, die nun
wesentlich präziser und effektiver ist als alles bewußte Kontrollieren vorher.
Und dann lagert sich darüber eine neue Kontrolle, nämlich die bewußte Führung,
die aufbaut auf der Wahrnehmung der verschiedenen Kanäle der Beziehungen
innerhalb und außerhalb unserer Selbst, dieses Stroms von Gefühlen, der uns
verbindet mit der Welt. Zuerst erläutert "die Stimme des Sehens"
(Castaneda) die Beziehungen, dann können wir die Kanäle in jede Richtung
verfolgen und uns selber mittransportieren. So können wir in den Raum und in
die Zeit reisen. Und wir können die Dinge verstehen lernen, aber nicht die
Kraft.
Was im Weg steht, sind
unsere unerledigten Geschäfte. Wir können uns nicht konzentrieren, weil diese
Dinge immer wieder unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken und zwar so lange wir
diesen aufgeschobenen Problemen nicht zuleibe rücken und sie lösen, so oder so.
Uns darauf aufmerksam zu machen, ist die Funktion der Meditation. Aber sobald
wir das Problem erkannt haben, ist die Meditation überflüssig, denn nun müssen
wir darangehen, uns zu überlegen, was da eigentlich los ist, welcher äußerer
oder innerer Anspruch da sein Recht verlangt. Und mit welcher Berechtigung.
Symptomträchtig und schließlich tödlich ist es, wenn wir aus einem Vorurteil
heraus entscheiden. Wir müssen die Berechtigung aller Ansprüche erst einmal
anerkennen und dann diejenigen von ihnen unterstützen, die unsere Kraft fördern
und Blockaden und Krämpfe vermindern, bis sich (in der Meditation) schließlich
kein Inhalt mehr über Gebühr aufdrängt.
Diese Inhalte, die unser
Selbstgespräch ausmachen, also die schwebenden Geschäfte, sind unsere Schuld,
die wir abtragen müssen. Und es hilft uns gar nichts, daß wir vielleicht
wissen, daß es sich dabei um eine Hypothek von den Eltern her handelt. Wir
haben die Schuld - auch die Erbschuld muß abgetragen werden.
Die Christen sagen nun:
Jesus hat die Erbsünde für uns abgetragen. Viele bilden sich ein, daß das
irgendwie magisch möglich sein könnte, aber die meisten täuschen sich; durch
ihren Glauben merken sie nur ihre Probleme nicht so stark. Aber es kann
tatsächlich zutreffen, nämlich wenn jemand in der Begegnung mit Jesus zu der
umfassenden Einsicht dessen kommt, was es mit dem Leben auf sich hat. Die
meisten, die von Jesus begeistert sind jedoch, geilen sich bloß an moralischen
Hochleistungsforderungen auf. Sie erhöhen ihr Ich und verdammen ihren Schatten.
Wenn sie "meditieren", verdrängen sie ihre Gedanken. Sie zwingen sich
selbst in eine schematische Wirklichkeit und sind damit von Jesus weit
entfernt. Jesus wußte, daß man Schuld nicht durch Askese überwindet, sondern
indem man sein Vorurteil erkennt und der Ganzheit seiner selbst Geltung
verschafft. Dann tyrannisiert nicht eine Minderheit eine Mehrheit, dann sind
alle Rechte anerkannt.
Alle Forderungen gegen uns
sind Kräfte, die auf uns wirken und wenn diese Kräfte überhand nehmen, fressen
sie uns; uns geschieht gegen unseren Willen, was wir längst von uns aus hätten
tun sollen. Wir werden Beute, anstatt uns zu geben; indianisch gesagt:
"the great give-away"; Islam, Hingabe, Jesus hat genau das getan; er
hat sich bewußt hingegeben und dadurch hat sich sein Bewußtsein ausgebreitet
über die ganze Welt. Er war keine Beute, kein unschuldiges Opfer, wie er immer
dargestellt wird. Er wußte, daß es so kommen könnte. Und er konnte auch in etwa
vorhersehen, was sein Tod bewirken würde: nämlich daß seinen Jüngern allmählich
dämmern würde, was er getan hatte und daß er es getan hatte, bewußt. Und um den
Preis seines Lebens erhielten sie eine so wunderbare Erfahrung, daß die Wunder
kein Ende nahmen.
Immer gilt das
Grundprinzip, daß nur die den Preis gewinnen können, die ihr Leben aufs Spiel
setzen für ihr Ding. Nur die, die an der Grenze leben, können sie
überschreiten. Es gibt keine Chance für die, die sich schützen wollen. Wer sich
nicht hingibt, kann nicht erreichen, was er will; für ihn kann höchstens
gelten: "Wenn er die ganze Welt gewinnt, aber seiner Seele schadet, wird
ihm das nichts nützen" (Jesus). Wir wissen, daß das so ist. Alle
"Ziele", die sich Menschen stecken, sind geprägt von Vorurteilen —
auch auf dem spirituellen Weg — solange grundlegende Probleme offen sind.
Ehrgeizige Menschen geraten in einen Konkurrenzkampf mit sich selber, denn wer
gelobt werden will, muß den Willen anderer tun. Was immer sie erreichen, ihre
Wünsche können nie gesättigt werden, weil der tiefste Wunsch nicht darauf geht,
erfüllt zu werden, sondern zu erfüllen. Aber solange sie konventionellen
Wertetabellen folgen, können sie diesen tiefsten Wunsch, der allem Leben
eingeboren ist, nicht hören; so lange wird die Wellenlänge der Natur von der
künstlichen ihrer Einbildung überlagert.
Die Psychologen bewegen nur
das Hang-up von der Vergangenheit auf die gegenwärtigen Sitten. An der Tatsache
des Hang-ups selber wird nicht gerüttelt. Auch die Psychologen sind Sektierer,
sie wollen die Abhängigkeit genausowenig aufheben wie die Zeugen Jehovas. Sie
arbeiten mit standardisierten Vorstellungen und Normen, aber die Wirklichkeit
ist zu kompliziert für jedes Schema. Nur die unmittelbare persönliche
Kommunikation kann zu einem adäquaten Urteil führen. Es gibt letztlich keine
Kriterien. Und deshalb haben wir kein Recht zu urteilen. Nicht weil eine
moralische Norm uns das Recht nähme, es gibt einfach keine Kriterien, die
überall und zu jeder Zeit gelten. Aber obwohl die Regeln überall anders sind,
behaupten doch alle, ihr Weg sei der allein selig machende: Gewerkschaften,
Parteien, Kirchen, Vereine, Stämme, Cliquen, die Wissenschaft, therapeutische
Methoden, Gurus - alles Sekten, die ein Schema für die Realität verkaufen
wollen, und bei denen auch die Erfolg haben, die der unmittelbaren Wirklichkeit
nicht gewachsen sind.
Warum besteht dieser Bedarf
nach einem Glauben? Alles, was uns selber fehlt an Kraft, substituieren wir
durch die Kraft der Gemeinschaft der Schwachen und die Kraft ihrer Führer. Es
ist bei den Menschen nicht anders als bei den Wölfen. Natürlich kostet die
Mitgliedschaft etwas: Wir müssen unsere Möglichkeiten und Bedürfnisse
einschränken auf den von unserer Sekte verlangten Kodex. Außerdem schließen
viele dieser Programme die Intention des Erfolges, der Leistung und sogar der
Bewußtheit ein. Und es gibt echte "Verwirklichte",
"Erleuchtete", Messiasse", "Propheten",
"Stars" in vielen Sekten. Und trotzdem ist das Schüler-Sein nicht
zielführend, denn das einzige, was zählt, ist die eigene Praxis der Wahrheit,
nämlich nur dort Liebe zu geben, wo unsere Liebe wirklich da ist und nichts von
unserer Liebe zu verleugnen. Liebe läßt sich nicht vorschreiben. Wozu Theater
spielen? Höchstens aus Spaß daran. Das ist das Einzige, das zählt. Jeder liebt
irgendwen oder irgendwas, dem müssen wir dienen, sonst niemand.
Liebe kennt kein Schema,
keine Moral, keine Vorschriften, keine Vorurteile. Und so ist Liebe
gleichbedeutend mit dem optimalen Kommunikationsfluß. Sie schafft eine Art
unmittelbarer Wahrnehmung. So lange wir unser Leben berechnend führen, trauen
wir dieser inneren Stimme nicht. Aber ohne dieser Führung zu trauen, der Liebe,
kann unser Leben nicht glücklich sein — egal wie sehr wir uns vielleicht unter
Kontrolle haben, wie bewußt oder wie erfolgreich wir sind. Solange dieses
Vertrauen nicht da ist, sind wir innerlich gespalten.
Früher hat man dieses
Urvertrauen in die Führung durch die eigene Liebe "Gottvertrauen"
genannt. Heute versteht diesen Ausdruck kaum noch jemand, weil Gott durch die
vielen Schemata, in die die Menschen gezwängt worden sind, in weite Ferne
gerückt ist. Der christliche Gott ist heute blutleer, wie Baal zur Zeit des
Gideon. Fast völlig gefahrlos kann man heute den heiligen Pfahl fällen und auf
seinem Holz ein neues Opfer verbrennen. — Aber nichts von dem ändert etwas an
der Bedeutung des Menschen Jesus, der, wie der christliche Glaube richtig sagt,
eine göttliche Natur hatte, unverfälscht. Er war wie Gideon, nicht ein Neuerer,
sondern ein Ursprünglicher, einer, der seiner Liebe folgt, wenn es sein muß,
bis in den Tod. Deshalb war er vollkommen. Er ist nicht für eine abstrakte Idee
gestorben. Er wußte, was er tat. Er konnte so sicher sein, weil er geführt
wurde. Wir alle werden auf die gleiche Weise geführt, aber diese Führung ist
zugeschüttet durch die tausend Rücksichten. Wir sind "neurotisch". Es
beginnt schon im Mutterschoß, ja schon vorher. Die Neurose sitzt uns in den
Knochen seit vielen Generationen. Sie ist früher "Erbsünde" genannt
worden.
Aber das Leben fluktuiert
in Wellen. In dem Maß, in dem unsere Entfremdung zunimmt, werden wir uns ihrer
bewußt. Und so sammelt sich eine Kraft, die darauf drängt, den Naturzustand
wiederherzustellen. Das ist eine natürliche Entwicklung. Unterdrückung erzeugt
Revolution. Leiden ist der Motor der Welt. Die Menschen wollen sich bessern. Alle
suchen nach dem Schönen, dem Wahren, dem Guten, auch die Aggressiven, auch die
Zersetzer und Zerstörer — manche von ihnen folgen einer echten Berufung,
vielleicht ohne es zu wissen, verkörpern sie das "göttliche Gericht".
In den islamischen Ländern
gibt es die sogenannten "Madschsub". Sie gelten als eine Art heiliger
Verrückter. Manche von ihnen verbringen den Großteil ihres Lebens auf einem
Abfallhaufen, andere sind Diener in einer Moschee oder einfach Bettler. Ein
Tourist kann sie nicht erkennen, nur so manche
Synchronizitäten könnten
ihn stutzig machen. Wie ist es möglich, daß diese Verrückten auf unsere
geheimsten Gedanken exakt reagieren? Was haben diese Verrückten unseren
Professoren voraus? Woher haben sie ihr Wissen? Offensichtlich liegt die Wahrheit
irgendwie "in der Luft" und ein Mensch, der die Wirklichkeit ohne ein
Interpretationsschema betrachtet, kann sie sehen und darauf antworten. Die
Wahrheit selber ist unser innerer Führer. Was uns zuinnerst lenkt, ist eine
Instanz oder Apparatur, die über alle Informationen verfügt, die mit allem
gleichzeitig in Kommunikation steht. Es ist unser biologisches Programm, das
auf die Welt reagiert. Wenn wir das einmal erkannt haben, sehen wir uns selber
nicht mehr als separat vom Rest der Welt, sondern eher als die Sinnesorgane
oder Zellen des einen Wesens, das alles, was es gibt, aus sich herauswachsen
läßt. Und in uns steckt das Wesen dieses Wesens, das Schöpferische, das uns
veranlaßt, die Trägheit zu überwinden, die uns nach unten ziehen will. Das ist
alles. Alle Elemente befinden sich in der gleichen Lage; von dieser Energie,
die dabei aus dem Nichts geschaffen wird, lebt die ganze Welt und wir auch. Die
mittelalterlichen christlichen Theologen haben gesagt, daß Gott die ganze
Schöpfung in jedem Augenblick neu erschafft, oder wenigstens aktiv trägt. Die
Aussage ist die gleiche, nämlich, daß etwas, das nicht in uns seinen Ursprung
hat, sondern in dem wir unseren Ursprung haben, in allem wirkt. Das
Schöpferische kann von niemand erzwungen werden. Es hat eine Bedingung: Wenn
wir den Strom fließen lassen wollen, müssen wir unsere Einbildung, unseren
Ehrgeiz, etc., beiseite legen.
In der esoterischen
Literatur wird oft mißverständlich gesagt, wir müßten unser "Ich"
aufgeben. Aber nicht asketische "Selbstlosigkeit" ist verlangt,
sondern daß wir aufhören, uns separat und unabhängig von allem zu sehen. Das
Ich, das sterben muß, ist das Ich, das sich dem Wesen überordnen möchte. Dabei
ist dieses stolze Ich doch nur zusammengesetzt aus der ängstlichen Unterordnung
unter die Befehle der Meinungsmacher. Erst wenn diese Sorge gefallen ist, kann
ihm Vertrauen zeigen, worauf es im Leben ankommt, nämlich daß die notwendigen
Impulse zu rechten Zeit von selber aus dem Innern aufsteigen. Wenn wir es wagen
könnten, von unserer Sorge zu lassen, könnten wir überrascht feststellen, daß
wir uns nicht selber erlösen müssen, daß vielmehr die Natur vorgesorgt hat.
Mose hat das Wesen, unseren
innersten Kern, nach außen projiziert und Gott draußen erscheinen lassen - wo
er natürlich auch ist - aber wenn wir "sehen" im Sinn von Castaneda
und den alten Sehern, dann sehen wir diese Kraft in uns genauso wie in allem
anderen.
Es ist interessant, daß
Castaneda die Lebenskraft aufspaltet in die "rollende Kraft" und den
"Verwirrer". Die Hindus sprechen von "vrttis" (Yoga Sutra),
die Christen vom "Teufel", die Dualisten sehen zwei Welten, die des
Lichts und die der Finsternis und auch sie haben irgendwie recht. Beide
Tendenzen sind in uns. Die Kraft, die die Schöpfung trägt, ist der Lebenswille
jedes Elements und doch tritt in allen irgendwann Ermüdung ein und in dem
Moment wird, wie Castaneda sagt, der leuchtende Kokon an unserer schwächsten
Stelle aufgebrochen vom Verwirrer. Die Ermüdung tritt ein, wenn es genug ist,
gleich ob nach einem erfüllten Leben oder wenn der Widerstand zu groß wird und
zu wenig emotionelle Nahrung uns unterstützt, wenn wir uns selbst vergewaltigen
müssen für irgendwelche entfremdeten Ziele. Wenn das Wesen in uns nicht mehr
zum Durchbruch kommen kann, setzt unser Recycling-Prozeß ein. Wir dürfen keine
Vorstellungen davor stellen, sonst blockieren wir den Strom. Wenn wir völlig
frei sind von Vorstellungen und offen, wenn wir das Selbstgespräch eingestellt
haben, dann ist alles möglich, dann kann sich die Welt verwandeln. Wir sehen
die Dinge nun in einer viel tieferen Weise; die Zusammenhänge werden klar -
aber nicht intellektuell, sondern unmittelbar: instant knowledge, totale
Übereinstimmung mit dem, was ist. Dann kannst du spüren, daß nicht du es bist,
der die Energie erzeugt, vielmehr, daß sie dich erzeugt. Du bist eine
Formation, ein Muster dieser Kraft und selber ein vollkommenes Abbild des
großen Wesens, das uns in Myriaden Facetten entgegenschaut. Es lebt von sich
selbst.
Wir sind es nicht, was da
fließt, wir sind nur Zeugen - das war ursprünglich mit "Zeugen
Jehovas" gemeint. Historische Strömungen bringen uns hervor. Der Fluß ist
immer abhängig von der Umgebung, aber er paßt sich jeder Form an. Wir müssen
jede künstliche, äußerliche Form aufgeben, damit wir unsere Wesensform finden.
Wir sind eben Menschen, so ist unsere Form menschlich. Wie alles andere sind
wir einem Auf und Ab unterworfen, einem Anfang und einem Ende, einem Ausgang
und einer Rückkehr, Auch lange historische Strömungen, haben irgendwann ein
Ende. Nichts hält ewig. Der Fluß ändert sich ständig und er lebt davon, daß
jedes Teilchen und jede Welle sich frei für den ihnen eigenen Fluß entscheiden.
"Das Schicksal
akzeptieren", raten alle Weisen als Grundvoraussetzung für jeden Wandel
zum Besseren. Der Wandel zum Besseren besteht darin, daß wir alle Schuld
aufgeben, daß wir unabhängig werden, selbständig, aber nicht eigensinnig.
Selbständig heißt ohne Angst vor dem Einfluß der Anderen. Selbständig heißt die
eigene Situation voll ausschöpfen, vor nichts zurückschrecken. Selbständig sein
hat nichts zu tun mit Ehrgeiz, Karrierestreben; das ist Geltung, d.h. Angst vor
den anderen, Imponiergehabe, eine Abhängigkeit, eine Schuld, Selbständig heißt
dem Leben trauen, nichts zurückhalten und gleichzeitig wach alles beachten. Es
ist dieses Bewußtsein, dieses gleichzeitige Kontrollieren und Akzeptieren, was
den Fluß fließen läßt. Wenn unsere Entscheidung negativ ausfällt, versiegt der
Fluß und der Mensch stirbt. Und die Entscheidung fällt negativ aus, wenn jemand
seine Situation als ausweglos betrachtet.
Ständig wird die
Lebenskraft gebremst durch den Widerstand der Welt und irgendwann gibt sie auf.
Und in dem Moment bricht "fremdes" Leben mit Macht auf ihn ein und
zehrt von seiner Lebenskraft, bis sie aufgezehrt ist. Deshalb sagt Castaneda,
der Adler fresse das Bewußtsein der gewöhnlichen Sterblichen.
Es gibt nur einen Ausweg
aus dem Dilemma: die Angst besiegen, die Schuld abwerfen - also die
unerledigten Geschäfte abschließen - und selber sehen, hören und fühlen; dann
wird klar, was zu tun ist, dann brauchen wir keine Regeln mehr. - Wir haben sie
dann nicht "internalisiert", wie es die Theologen verlangen von ihrer
Moral, im Gegenteil, wir haben sie total externalisiert, wie Jesus, der sagte "die
Gebote sind für den Menschen da, nicht der Mensch für die Gebote." Die
Theologen, die meinen, die Heiligkeit werde erreicht durch Verinnerlichung der
Gebote, sind sich außerdem meistens im Unklaren darüber, was verinnerlicht
werden soll; am meisten aber täuschen sich die, die meinen, sie wüßten es ganz
genau: Das erste Gebot, z.B., befiehlt die Führung durch Gott allein, das
heißt, es befiehlt, die Selbständigkeit, den Mut, die Wahrheit zu leben - sogar
wenn es das Leben kostet. Die Gläubigen aber sind nicht selbständig, sie sind
streng darauf bedacht, jeden zu brandmarken, der nicht ihrer Meinung ist. Das
ist charakteristisch für jede Sekte.
Die Glaubensgemeinschaft
gibt Schutz um den Preis der Selbständigkeit. Schutz wird bezahlt mit
Intoleranz. Ein Rachebedürfnis, das aus der Unterdrückung eines Teils ihrer
selbst stammt, bricht auf einer anderen Ebene durch; es wird projiziert auf
einen gemeinsamen Feind, auf die, die sich nicht an die Regeln halten. So ist
eine Sekte ein Geist, der sich Vollzugsorgane geschaffen hat.
Geister, ideologische
Bewegungen, sind bewundernswerte Wesen, Götter gewissermaßen oder Engel oder
Teufel oder auch Verbündete, nämlich Instrumente, auf denen man spielen kann,
die man benutzen kann um sich selber fortzubewegen. Natürlich geht das erst,
wenn man sie erkannt hat ("Ei wie gut daß niemand weiß, daß ich
Rumpelstilzchen heiß"), vorher ist man dem Geist ausgeliefert. Castaneda
sagt, die Verbündeten nähren sich von der Angst - und das hat vor ihm schon
Nestroy gewußt (in "Freiheit in Krähwinkel"). Wenn wir frei sind von
Angst, stehen die Geister zu unserer Verfügung. Die Angst haben, sind
hypnotisiert von irgendwelchen Geistern, die sie beherrschen über schematische
Auslöseschemata, alte Loyalitäten, Prägungen. Unser Körper zeigt das Symptom
unserer Angst, die körperlichen Eigenschaften des Geists, der uns beherrscht
und uns zwingt, einen Teil unserer selbst zu unterdrücken. Eine chronische
Blockade bringt schließlich das ganze System zum Zusammenbruch.
Jeder Anhänger einer
Ideologie muß einen Teil seiner selbst aussperren, er hat einem Übergeist die
Kontrolle übertragen, dem er mehr traut als sich selber. Er hat einen fremden
Gott. Die sogenannten "Gläubigen" sind tatsächlich Götzenanbeter.
Glück haben sie nur, wenn ein echter Gott, einer, der keine Angst hat, der nur
noch seiner unvoreingenommenen Einsicht folgt, sich ihrer annimmt. Aber dann
haben diese Gläubigen gewöhnlich nichts Eiligeres zu tun, als diesen
Gotteslästerer umzubringen. Sie wollen die Wahrheit ausrotten und alle auf ein Schema
verpflichten, damit ihre Schwäche nicht ans Licht kommt. Erst beim jüngsten
Gericht soll das geschehen - aber wann ist das jüngste Gericht, ihr Narren?
JETZT prägt uns unser Widerspruch zur Wahrheit das Symptom auf, das wir so
hartnäckig leugnen wollen.
Die "Strafe
Gottes" ist ganz anders als die Gottgläubigen sich das vorstellen. Sie
kommt nicht nach dem Tod, vielmehr ist der Tod, wie die Bibel richtig sagt,
eine Folge der Sünde, der Schwäche, der Angst, der Götzenanbetung. Trotzdem
laßt das Symptom keine Rückschlüsse auf die persönliche Schuld zu, denn einer
tut sein Bestes, aber die Form, die ihm gegeben war, konnte die Lebenskraft nur
ungenügend transportieren, ein anderer weigert sich und spielt den Beleidigten,
bis er tatsächlich be-leid-igt ist; wieder ein anderer stirbt im Kampf und
seine Intention verwirklicht sich posthum. Äußerlich sind sie schwer zu
unterscheiden: alle drei gehen zugrunde, nur für sie selber ist der Unterschied
klar; es ist der Unterschied von Wesen und Schein. Zwischen dem, der schon vor
dem Kampf stirbt, weil er sich aufgegeben hat und dem, der im Kampf stirbt,
liegen Welten. Wer im Kampf sein Leben einsetzt, kann ganz anders kämpfen;
nicht nur wird er viel wahrscheinlicher siegen, er hat in jeder Sekunde das
Bewußtsein der Kraft und das verwandelt ihn. Schon Mohammed hat festgestellt:
"Die Ungläubigen sind dumm, sie begreifen nicht, um wie viel stärker ein
Mensch ist, der total auf Gott vertraut"' Das Risiko zahlt sich aus,
selbst wenn es das Leben kostet, wie im Fall Jesu.
Selbst Hitler war besser
dran, als jeder seiner Anhänger. Er ist voll hinter seinem Gespür gestanden. Er
hat das Bedürfnis einer Zeit formuliert, in der die Menschen so entfremdet
waren, daß sie sich zurückgesehnt haben nach der primitiven Stammesgemeinschaft.
Ähnliches war der Fall bei Lenin, Stalin, Mao. Sie haben gewagt, das Mögliche
zu tun und sie haben dabei ihr Leben eingesetzt.
Der Tod ist allgegenwärtig,
immer bereit, in jede Schwäche einzuhaken. Der Versucher verlockt mit
Zuckerbrot und Peitsche. Wie bei Odysseus die Sirenen, die Zauberin Kirke, die
Seeungeheuer, die Winde oder die Mißgunst mancher Götter, sind auch wir in
Lebensgefahr auf allen Ebenen der Existenz. Und auf der anderen Seite finden
wir unterstützende Lebenskraft, Gnade, die Gunst der Götter. Götter sind eben
jene übermenschlichen Mächte: Naturgewalten, klimatische oder vegetative
Strömungen, Landschaften, Kulturen, Gesellschaftsklassen, Organisationen,
Gesetze. Alles kann eine Quelle der Kraft sein oder es kann eine Gefahr werben.
Vielleicht sind wir im Kleinkindalter gebrochen worden , vielleicht leiden wir
an einem psychischen Geburtsdefekt, vielleicht haben wir einen Schaden in der
Erbanlage, alle haben zu kämpfen mit der Mißgunst der Götter, mit der Erbsünde,
mit den Schwächen unserer Vorfahren. Deshalb suchen alle Erlösung.
Wenn die Christen sagen,
daß Jesus sie durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung erlöst hat, so
verstehen heute nur noch sehr wenige, was damit gemeint ist, nämlich daß unsere
Schwächen in dem Moment verschwinden oder kompensiert werden, in dem wir ihn
als Vorbild akzeptieren: Indem wir unser Schicksal bedingungslos auf uns
nehmen, wie er es getan hat, haben wir alle Kraft zur Verfügung, die uns bei
unserer Konstitution überhaupt zugänglich sein kann. Wir können unsere
Konstitution nicht verändern, sondern ihr höchstens optimal entsprechen. Wir
sind, was wir sind, niemand kann sich dazu zwingen ein anderer zu werden. Was
bringt eine Methode, wenn das Leben durch sie nicht lebenswerter wird? "Was
nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, wenn seine Seele dabei
geschädigt wird?" Niemand kann seine höchste Form entfalten, wenn er
gefangen ist von ehrgeizigen Vorstellungen oder von materiellen oder
spirituellen Besitzungen. "Willst du vollkommen sein, verkauf alles, was
du hast und gibt es den Armen. Dann komm mit mir." Ich kann dir zeigen,
wie es gut ist.
Tu, was du fühlst, vertrau
auf deinen Wahrnehmungsapparat auch wenn andere dir das Blaue vom Himmel
versprechen oder dir mit der Hölle drohen. Tu, wozu du dich berufen fühlst.
"Tu was du willst, aber tu es ganz", war ein Wahlspruch des Thomas
More. Finde dein Ding. Mach dir nichts vor. Was hast du von irgendeiner
Karriere, wenn du dadurch deformiert oder gebrochen wirst - im Dienst des
Mammon. Das Leben ist etwas anderes als Geltung. Geltung ist Abhängigkeit,
Unterdrückung der eigenen Eigenart im Betteln um Aufmerksamkeit. Ein Bedürfnis
steht gegen ein anderes. Man versucht einen Mangel im Innern durch eine
Kompensation von außen zu beheben, aber der Widerspruch löst sich dadurch
nicht. Die dogmatisch Religiösen sind dadurch immer einen Schritt von der
Wirklichkeit entfernt. Ihnen fehlt das Vertrauen in die innere Führung, deshalb
klammern sie sich an Gesetze, durch die sie glauben "gut" werden zu
können. Sie verstehen nicht, daß Jesus genau das gemeint hat, als er sagte
"Niemand ist gut, außer Gott allein". Wie können diese Leute in
seinem Namen "gut" werden wollen? Was sie wollen ist eine religiöse
Karriere, anstelle eines Lebens der Eigenart und der unsichtbaren inneren
Führung.
Aber sie sind sehr schwer
zu unterscheiden, die Echten und die Hochstapler. Nur wenn wir selber unserer
inneren Führung folgen, diesem Strömen der Sympathie und der Antipathie, nach
dem alles in der Welt fließt, können wir sie unterscheiden. In all den
Bereichen, in denen wir selber lügen, können wir getäuscht werden. Einem, der
sich selber nichts vormacht, kann auch sonst niemand etwas vormachen. Daß wir
alle permanent einander täuschen und belügen, schadet niemand mehr als uns
selbst: Wir tun so, als mögen wir jemand, als liebten wir diese oder jene
Tätigkeit und entsprechend diesem "als ob" verläuft unser Leben in
der Leere.
Diese Leere hat uns schon
ergriffen, bevor wir die Möglichkeit hatten, "nein" zu sagen. Während
unserer Erziehung waren wir oft in Gefahr, die Liebe unserer Eltern zu
verlieren; wir sind dressiert worden und jetzt ist unser Handlungsspielraum
eingeschränkt, zum Guten und zum Schlechten. Und das Korsett wird zur
Zwangsjacke, wenn das, was wir möchten, unter sozialer Acht steht. "Er
schämt sich dessen, was in seinem Herzen eingefaltet ist" (I Ching). Aber
wir sind, wie wir sind. Nur indem wir unserer Neigung folgen, sind wir auf dem
Weg, das, was gut für uns ist, zu erreichen. Wenn wir den Weg gehen, lernen wir
an dem Widerstand der Welt und an all den Mächten, die versuchen, uns
festzuhalten, die uns "versuchen".
Jesus hat der Versuchung
widerstanden und dadurch hat er das Höchste erreicht; dadurch ist er nach
seinem Tod auferstanden, vielfältig, millionenfach auferstanden in den
Heiligen, die ihm nachgefolgt sind, den bekannten und den unbekannten.
Die offizielle Religion
zählt nur eine Kategorie von Heiligen, nämlich nur die, die die Religion in
ihrem Leben thematisiert haben, die ihr Problem zu ihrem Beruf gemacht haben.
Aber es gibt viele, die leben wie Jesus gelebt hat, die Jesus vielleicht gar
nicht kennen, vielleicht haben sie auch nicht das geringste Interesse an
Religion, aber sie vertrauen ihrer Neigung und werden dadurch zu Unsterblichen,
zu Helden, die nach ihrem Tod auferstehen in unzähligen Nachfolgern, für die
sie zum Bild der Hoffnung geworden sind, zum Bild des totalen Lebens.
Was ist das totale Leben,
Askese oder Ausschweifung?
Beides sind sektiererische
Doktrinen. Bei beiden handelt es sich nicht um innere Wahrnehmung, sondern um
einen Akt von Gier, von Sucht. Beide suchen nicht ihr Wesen, sondern Schutz und
Sicherheit unter einem generellen Rezept, einem Schema. Aber das totale Leben
kennt kein Gesetz.
Das Gesetz ist im Neuen
Bund aufgehoben. Warum hat Paulus es wieder zum Leben erweckt? Warum hat er die
Kirche geschaffen? Die Schwachen rufen immer nach der Inquisition. Sie wollen
sich an etwas halten. Obwohl die Botschaft Jesu ganz klar ist, verstehen sie
sie nicht. Sie projizieren sich ein geistiges Gebäude, in das sie ihr Leben
einordnen können - obwohl ganz eindeutig gefordert ist, sich kein Bild zu
machen, sondern zu vertrauen. Nicht einmal für eine Gerichtsverhandlung, in der
es um Leben oder Tod ging, sollten die Jünger Jesu sich vorher überlegen, was
sie tun und sagen sollten. Sie sollten sich um nichts sorgen, außer um das
Himmelreich, außer um ihren Traum vom Paradies, dessen Verwirklichung Jesus
ihnen gezeigt hatte. Die Wahrheit tun und auf Gott vertrauen ist die einzige
Regel. Dadurch und nur dadurch haben wir Zugang zu einer Kraft, die durch kein
Training erzeugt werden kann. Die Wahrheit tun ist das einzig mögliche
Training. Es muß daher unser einziges Hobby sein, es ist unsere einzige
Pflicht. Zu keiner Zeit gibt es irgendetwas anderes zu tun.
Ach, Gott verlangt
allzuviel von uns! Nicht? All diese Gebote.... Ursprünglich sind die Gebote nur
dazu da, uns auf die Sprünge zu helfen, damit wir eben die Wahrheit tun, uns
losreißen von aller Schematik; totales Eingehen in die Realität totale
Kommunikation. Was sollte "Gott" von uns wollen, wenn nicht, daß wir
die höchste Kraft entfalten, die ja "seine" Kraft ist. Das ist die
"Ehre" "Gottes", daß wir mit unseren Talenten wuchern - in
der Sprache unserer Zeit, daß wir unsere Chancen erfassen, indem wir einerseits
unsere Bedürfnisse erkennen und nicht verleugnen und andererseits gerade
dadurch die Kraft haben, diese Bedürfnisse zu befriedigen.
Die Moralisten werden nun
Angst haben, daß das auf einen "Hedonismus" hinausläuft. Und in
gewisser Weise ist das auch richtig, nur, wenn jemand diesen Ausdruck
gebrauchen will, muß er Jesus zu den Hedonisten zählen: Hätte Jesus größere
Lust erreichen können, als durch die Erfüllung des Willens des Vaters? Was
hätte es ihm gebracht, wenn er der Versuchung des Satans erlegen wäre und sich
die Königswürde erkämpft oder erschlichen hätte? Er hat. nach seinen Lehren
gelebt, aber er war kein Schematiker, wie manche Märtyrer nach ihm, die
meinten, sie müßten auch, wie er, sterben, um ihm gleich zu werden, anstatt
ihrer eigenen Wahrheit zu folgen. Jesus wollte nichts als die Wahrheit, wie
Khidr, der Lehrer des Mose im Koran. Die Wahrheit ist einfach. Sie braucht
keine Begründungen oder Erklärungen. Ihr Zeichen ist die Liebe, die zwar nicht immer
nett ist, dafür aber voll Lebenskraft.
Das, was wir lieben, unsere
Neigung, ist unsere Liebe. Neigung und Gier werden oft verwechselt von Leuten,
die richtig leben wollen. Gier ist eine verzerrte Wahrnehmung, verformt durch
die Projektion der Vergangenheit auf die Gegenwart. Was da als
"Bedürfnis" erscheint, ist nicht ausdifferenziert, es kommt nicht aus
der Notwendigkeit des Augenblicks, sondern aus einer Einbildung, die eine
gewisse Verwandtschaft mit Moralvorstellungen hat, ein Sollen, ein Anspruch.
Und das nennen die Buddhisten ''Ursache des Leidens". Es sind einfach
Vorurteile, Konzepte, Vorstellungen, starre Bilder von dem, was sein sollte -
aber die Wirklichkeit ist immer anders. Oft ist es auch Angst, die uns
veranlaßt das Spektrum der Möglichkeiten einzuschränken. Und da kann ein Tabu
tatsächlich hilfreich sein, solange die Gefahr real besteht, aber ohne
wirkliche Bedrohung ist das Gesetz keine Hilfe, sondern ein Tyrann, der unsere
Wahrnehmung blockiert. Spontaneität ist nur möglich, wenn wir frei sind zu
sehen, was ist. Und doch können Gesetze auch bei der Beseitigung von
Vorurteilen helfen, nämlich indem sie uns zwingen, die Vorurteile als solche
wahrzunehmen. Das geht natürlich nur, wenn die Gesetze mit dem Grundmuster der
menschlichen Natur übereinstimmen. Dann kann ein Gesetz helfen, eine Gewohnheit
zu brechen.
Das Abschütteln einer
Gewohnheit ist immer verbunden mit der Angst vor dem Untergang, weil wir ja mit
Gewohnheiten immer eine Blöße zudecken, die dann schutzlos da liegt. Daher ist
neben dem Gesetz auch noch etwas anderes nötig: daß wir fähig werden, unser
Problems ohne Vorurteile zu betrachten. Dadurch werden die Gewichte in uns so
lange hin und her bewegt, bis sie passen. So stellen sich die Kanäle der
Energie von selber ein und der Strom kann wieder fließen (ohne Gesetz). Die
Mächte, die uns vorher gegängelt haben, sind uns jetzt bewußt und daher sind
sie machtlos.
Bewußtsein ist das
Wichtigste in der Selbsterkenntnis und daher in allen esoterischen Schulen,
aber es kann nicht erreicht werden durch willkürliches Aufpropfen einer Lehre
und sei sie noch so heilig, sondern nur indem man das Unbewußte bewußt macht.
Dann erst können wir wirklich frei entscheiden. Dann ist unsere Freiheit keine
Willkür mehr, sondern einfach die Entscheidung für das Leben, weitab von jedem
moralistischen Humanismus. Was allein zählt ist die Notwendigkeit der
Gegenwart, des Augenblicks.
Die katholische Kirche
verurteilt die Situationsethik, weil darin die Gesetze aufgehoben werden und
von eben den Gesetzen lebt die Gemeinschaft. Und doch geht es Jesus eindeutig
um die Wahrheit des Augenblicks, die unbedingte Forderung Gottes. Die Botschaft
der Gegenwart kann eine Chance zur Lust sein oder eine Chance zur Erkundung und
Sicherung unserer Nahrung oder eine Chance, jemand zu helfen.
Stell dir ein Raubtier vor,
das angreift. Und das Raubtier bist du. So ist das Leben. Leugne es nicht.
Dieses Wissen kann dir helfen, das ganze Spektrum des Lebens zuzulassen.
Die Indianer sagen, daß uns
der Kontakt zu einem Schutztier helfen kann, die Aspekte unserer Natur zu
entwickeln, die in unserer Erziehung vernachlässigt oder unterdrückt worden
sind. Wie so ein Tier die Dinge angeht! Total konzentriert. Keine Tagträume
während des Anschleichens, reine Aufmerksamkeit. Genau was Buddha verlangt und
Jesus auch. Sie sind selber zu solchen Schutztieren geworden.
Der Augenblick ist total
"außen". Wahrnehmen. Genau reagieren und schnell, Instinkt?
Irgendetwas in uns errechnet blitzschnell die beste Reaktion auf die Situation
jeden Augenblicks - ohne Umweg über die Instanz, die prüft, ob unser Verhalten
auch den Normen entspricht - mit schlafwandlerischer Sicherheit. Einfach
vertrauen auf die Automatik, die ja auch sämtliche Körperfunktionen steuert und
zwar in genauer Übereinstimmung mit unserer Stimmung. Alles ist genau
abgestimmt. Wir selber administrieren "Gottes Lohn" und
"Strafe" an uns selber: Wenn wir diesen Apparat durch irgendwelche
fixen Vorstellungen blockieren, empfangen wir augenblicklich die Strafe. Das
"Jüngste Gericht" ist hier und jetzt, immer, nicht irgendwann
"am Weltende". Jetzt belohnen wir uns selber mit einem guten Gefühl,
wenn die Automatik arbeitet. So sind wir konstruiert. Unsere Natur löst alle
Probleme ohne Einmischung von außen, von einem "Ich", das alles kontrollieren
will, das etwas Höheres nicht anerkennen will und gar nicht sieht, wie es
selber ein Produkt ist, gepreßt nach einer Form, über die es keinen Einfluß
hat.
Was ist ein Mensch? Eine
Strähne aus Myriaden von Strähnen. Und da soll ein Bewußtsein, das über wenige
Jahre Lebenserfahrung verfügt, das Leben willkürlich steuern können? Milliarden
von Jahren von Erfahrung stehen ihm gegenüber. Wer könnte da bestehen? Der
Kampf kann das Ich nur vernichten.
Und doch hat das Ich seinen
Platz, sobald es sich freiwillig dem Unvermeidlichen ergibt. Ich möchte damit
nicht sagen, wir seien unserem Schicksal ausgeliefert, "Kismet",
Determination im gewöhnlichen Sinn. Der Zwang hört auf ein Zwang zu sein, wenn
er unvermeidlich ist. Was ist, das ist, das ist unvermeidliche, und daß es eine
höhere Weisheit gibt, als die der Vernunft, ist eine der Tatsachen, die das Ich
anerkennen muß, wenn es nicht in sein eigenes Verderben rennen will. Das Ich
kann die Zügel ruhig in der Hand behalten, es darf nur nicht meinen, es könnte
sich über die Gegebenheiten hinwegsetzen. Die einzige Freiheit, die das Ich
aufgeben muß, ist die Freiheit die Wirklichkeit durch Vorstellungen zu
ersetzen. Das wird gewöhnlich "Tod des Ich" genannt. Es ist nur der
Tod der Einbildung. Das Ich kann sie aufgeben, denn wir haben Glück, ein Teil
der Wirklichkeit ist eine Instanz in uns, die das Richtige sofort erkennt und
diese Erkenntnis dem Ich übermittelt und zwar mit solchem Nachdruck, daß unser
Leben und unser Tod davon abhängt, ob wir diesem Urteil der Natur folgen oder
nicht. Wenn wir folgen, werden wir belohnt durch das Wissen, daß es richtig
war. Und nichts gibt so viel Kraft wie dieses Wissen. Wenn wir nicht folgen,
sondern einer Illusion nachlaufen, bestrafen wir uns damit innerlich selbst .
Eventuelle andere Strafen, die wir uns vielleicht zuziehen wegen der Verletzung
äußerer Normen der Gesellschaft sind demgegenüber nichtig. Jeder ist so
schuldig, wie er sich fühlt. Das ist die wahre Strafe.
Bedauerlicherweise müssen
wir alle schon mit dieser Strafe anfangen. Das Handicap haben unsere Ahnen uns
vererbt. Manche haben eine äußerst schwere Portion, andere haben bessere
Ausgangsbedingungen. Ich meine nicht den Unterschied in der
"Bildung". Manche Hilfsarbeiter führen ein stärkeres und wahreres
Leben als mancher Intellektueller, der das Leben nur aus Büchern kennt.
Viele sind auf der Suche
und sie wissen oft nicht, daß sie einen Ausweg suchen aus der Schuld. Sie
suchen einen Weg nach oben, ans Licht, heraus aus ihrem alltäglichen Jammer.
Und so folgen sie einem Rezept, einer Regel. Sie werden tatsächlich besser und
besser, ganz gute Menschen, freundlich und zuvorkommend, aber in ihrem Hirn hat
sich ein Hirngespinst festgesetzt, nämlich daß die Regel sie rettet und sie
achten nun die Regel mehr als die Wirklichkeit, wie sie vorher ihre eigene
Einbildung darübergestellt hatten. Und so wird die Regel sie am Ende umbringen.
Was rettet, sind nicht irgendwelche Maßnahmen, die wir ergreifen, es ist unser
Konstruktionsmuster, das zu jeder Zeit automatisch das optimale Programm
aufruft. Wenn die Regeln helfen sollen, müssen sie einmal von dieser
menschlichen Struktur abgeleitet sein und dann dürfen sie nie die höchste
Instanz sein. Das ist die Grundintention der Regeln in den Religionen.
"Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht umgekehrt". Die Juden
haben das Leben in über sechshundert Geboten zu fassen versucht. Sie haben also
einen Weg gefunden, der jeden zwingen soll, genau so zu leben wie einer, der
seine Schuld bereits aufgearbeitet hat. Das hat bei vielen Erfolg gehabt, es
hat aber auch zur üblichen religiösen Bigotterie geführt, wie wir sie aus den
Angriffen Jesu auf die Pharisäer und auch aus eigener Erfahrung kennen. Bei
vielen rächt sich der Zwang, den sie sich selber auferlegen, und verwandelt
sich in Aggression gegen sich selber oder gegen andere.
Der Weg des Gesetzes ist
heute für die meisten Menschen nicht gangbar. In der Geschichte der
Selbstunterdrückung der christlichen Kulturen ist er an sein Ende gekommen und
zwar in der Selbstentfremdung, die wir alle erleben. Der Geist der Zeit
verlangt eine neue Lösung. Und die Alternative ist da. Sie ist das Einfachste
überhaupt: einfach auf diese Stimme in uns hören, die uns Chancen und Gefahren
augenblicklich anzeigt. Diese Stimme ist immer da. Und am klarsten ist sie,
wenn wir mit totaler Aufmerksamkeit bei der Sache sind. Und das geht nur, wenn
uns nichts ablenkt.
Menschen, die
Schwierigkeiten haben, das Wahre zu sehen, können meditieren, um die Ablenkung
zu erkennen, damit sie diese belastenden Dinge nicht länger mit sich
herumschleppen müssen. Aber schließlich müssen die unerledigten Geschäfte
erledigt werden. Dann ist der Weg frei zur Konzentration. Der Weg über eine
Konzentrationsübung führt in die Irre, denn es gibt genügend natürliche
Situationen, die Konzentration verlangen; wenn wir uns eine künstliche
schaffen, lenken wir uns von unserer tatsächlichen Situation ab, zwingen wir
uns, zu verdrängen. So geht es nicht.
Sehen und Erledigen. Alles,
was uns belastet, muß aufgelöst werden, damit es nicht insgesamt so viel wird,
daß es uns vor unserer Zeit umbringt, denn dann wäre alles umsonst gewesen.
Viele auf dem spirituellen Weg geraten in diese Gefahr. Karrierismus gibt es
auch hier. Das alte Ich vielleicht doch noch zu retten, ist ja der geheime Hintergedanke
hinter aller Esoterik, besonders bei den Theosophen, die ja Stufenleitern,
Rangstufen der Heiligkeit postulieren, in die sich ein Mensch durch
Konzentration erheben kann. Für diejenigen, die Konzentration üben, ist es
wichtig zu wissen, daß wir keine Wahl haben, was den Gegenstand unserer
Konzentration betrifft, denn es ist einfach unsere gesamte Wirklichkeit, die
diesen Gegenstand bestimmt, in jedem Augenblick neu. Alle Zeit, die wir nicht
dort sind, im unmittelbaren Kontakt und im Bewußtsein dieses Kontakts, in
konzentrierter Aufmerksamkeit, mit ausschließlichem Interesse, ohne Ablenkung,
alle Zeit, die wir nicht dort sind, ist verlorene Zeit. Und doch wäre es eben
ein Fehler zu meinen, wir müßten uns konzentrieren mit der verzweifelten Anstrengung
eines Möchtegern-Yogi. Zu unserem Glück geht es nicht so, vielmehr kommt die
Konzentration von selber, weil sie etwas ganz Natürliches ist - außer sie ist
blockiert. Sie kommt aber immer, wenn wir unserer Liebe folgen, denn dann sind
die Hindernisse, die Ablenkungen weg. Dann ist unser Interesse jeweils nur
eines, immer gerade auf unseren Weg gerichtet, "straight ahead",
einfach unseren Bedürfnissen nach, die nicht bloß auf Essen, Macht und Sex
beschränkt sind, sondern so diffizil, wie die Situationen, in die wir geraten.
Unsere Natur hat alles schon erlebt; die Archetypen sind in uns, wir bestehen
aus ihnen. Unsere Bedürfnisse erscheinen in Form von Archetypen, das
menschliche Spektrum davon - und dazu gehören auch unsere Verhaltensweisen
gegenüber Artgenossen. Wir sind also nicht natürlicherweise
"egoistisch", sondern zugleich auch altroistisch bis zur
Selbstaufgabe in extremen Situationen. Es gibt also keinen Grund zu fürchten
das Chaos werde ausbrechen, sobald wir unserer natürlichen Neigung folgen. Wir
sind natürlicherweise freundlich zu unseren Artgenossen, außer, wenn sie
versuchen, uns zu unterdrücken; dann nämlich müssen wir klarstellen, daß unser
Lebensgeist, "Gott", keine Interferenzen duldet. Mitleid,
"geschwisterliche" Gefühle, Mitgefühl, Barmherzigkeit sind ganz
natürliche Eigenschaften eines jeden Menschen. Alle suchen die Nähe, auch die,
die vor ihr fliehen, weil sie fürchten ausgeschlossen zu werden.
Die Moslems kennen hundert
Namen Gottes und sie nennen damit die Eigenschaften der menschlichen Natur. All
das ist in uns. Wir sind es. Tat tuam asi, Gott ist unser Programm, das Muster,
nach dem wir geformt sind. Deshalb sagt Jesus "Ich und der Vater sind
eins" und "dein Wille geschehe". Gegen unsere Natur arbeiten?
Selbstnord!
Aber die Gebote, die Moral
der Religionen! Sie können leicht mißverstanden werden und die Menschen können
in ihrem Namen ausgebeutet werden. Die Gebote gelten im Zweifelsfall. Sie sind
intendiert als ein Rettungsanker für den Fall der Entfremdung von der eigenen
Natur. Sie sind ein Mittel, sich zu erinnern. "Dhikr" üben die Sufis
daher, Erinnerung. Aber viele von ihnen haben schon bestimmte Vorstellung
darüber, was das "la ilaha illallah" bedeutet und geraten dadurch in
die "Sümpfe des Monotheismus"(Zitat aus dem Brevier einer
Sufi-Tarieqa). Sie bauen sich gegenüber einen Gott auf und verrennen sich ins
Imaginäre. Das ist die Hauptgefahr einer jeden Religion, die alte Gefahr des
Götzendiensts, sich nämlich eine Ausrede zu schaffen, um nicht wirklich leben
zu müssen. Das ist auch das Motiv des Großinquisitors bei Dostojewski.
Die Versuchung zur Flucht
ist groß, aber es gibt nur einen Weg zur Freiheit: Wir müssen uns an unsere
Natur erinnern, in der alles bestens angelegt ist. Dann wird unser Traum vom
Paradies wahr, denn dann können die Kräfte in uns wirksam werden, die es
schaffen. Leben heißt einfach zustimmend wahrnehmen, was ist. Das war alles,
was von Luzifer verlangt war in der Geschichte vom Sündenfall im Koran. Aber er
wollte die Wirklichkeit nicht anerkennen, nämlich, daß es unserer Natur
entspricht, daß wir vor dem Menschen niederfallen und ihn anbeten. Unser Ich,
Luzifer, bildet sich ein, ein Geistwesen zu sein und das ist sich zu gut für
die Demut, aber dafür müssen wir in die Hölle. "Jeder, der zu seinem Bruder
sagt 'Du Narr', soll der Feuerhölle verfallen sein", sagt Jesus und das
ist nicht eine Drohung für "das Leben nach dem Tod", sondern einfach
die Feststellung einer Tatsache. Wer es tut, erfährt die Hölle hier und jetzt.
Das Gericht auf die Zeit nach dem Tod zu projizieren, hat zwar auch seinen Sinn
und Zweck, aber heute ist es irreführend, weil das einzige, das heute zählt,
das permanente Gericht ist, das unsere eigene Natur über uns hält. Unser
Wahrnehmungs- und Reaktionsapparat funktioniert nicht richtig, wenn wir der
Wahrnehmung eine Einbildung überordnen - und genau das tut einer, der einen
Mitmenschen als minderwertig betrachtet; er sieht weder das eine Wesen, noch
die Verschiedenheit seiner Wege.
Die Religionen warnen
gewöhnlich - jedenfalls in unserer Zeit - vor der Natur, die sie identifizieren
mit dem "bösen Trieb". Die so die Welt aufteilen in gut und böse,
sind, zumeist ohne es zu wissen, gnostische Dualisten und wie diese verstehen
sie die Notwendigkeit der "Selbstüberwindung" falsch: In der Form der
Askese nämlich führt die Selbstüberwindung zu Hochmut ("ach, wie stark ich
doch bin, daß ich ohne die Annehmlichkeiten des Lebens existieren kann"),
nur im Sinn von Ich-Überwindung oder besser durch Überwindung der Einbildung
führt sie zum Leben, weil da die Liebe die Führung übernehmen kann. Ich möchte
damit nicht sagen, daß Askese in jedem Fall schlecht ist. Sie ist ein
notwendiger Teil des gesamten Spektrums menschlichen Lebens, aber die
asketische Lebensform zu wählen, um spirituelle Erfolge zu erzielen, ist
Wahnsinn, Selbstvergewaltigung, die nur Schaden anrichten kann. Wenn wir das
bißchen Freiheit, die wir haben in all unserer Determination, benützen, nicht
für einen ehrgeizigen Machttrip, sondern für die Hingabe ans Leben, dann erreichen
wir mehr als durch alles Streben. Aber die Hingabe des Lebens schließt das
Streben nicht aus, sondern ein. Der Akzent liegt auf dem Unterschied zwischen
Eigensinn und der Annahme des eigenen Schicksals, das uns eben anders geformt
hat als die anderen. Jeder muß seiner eigenen Spur folgen und das ist etwas
ganz anderes als Eigensinn, verschieden wie die Realität von der Einbildung,
wie die situationsgemäße Reaktion vom Handeln aus einem Schema heraus.
Natürlich hat auch das
Handeln nach einem Schema seine Berechtigung zu seiner Zeit und an seinem
Platz, aber es darf die Spontaneität nicht ersetzen; es ist da für die Phase
des Lernens, nicht der Kunst.
Die Schematik der
Lebensweise einer Majorität bewirkt, daß die Neuerer anfangs bekämpft werden,
bis schließlich das Neue im Verlauf eines langen Prozesses in ein neues Schema
gepreßt ist. Das ist die Geschichte der "tausendjährigen Reiche" und
der Revolutionen. Wir erleben gegenwärtig eine dieser Revolutionen mit, eine
sehr gefährliche, die gefährlichste seit Menschengedenken. Die entfremdete
Ordnung hat ihre eigene Zerstörung erfunden und so befinden wir uns in einem
Wettlauf mit der Zeit: ob die Menschen ihn gewinnen oder ihre Produkte. Durch
den Druck dieser ungeheuren Gefahr der Selbstvernichtung bricht sich heute eine
Umkehr Bahn. Die Menschen werden mehr, die ohne Vorurteile als Brüder und
Schwestern mit allen anderen leben wollen. Die alten Abgrenzungen verlieren
weltweit an Wirkung. Die Welt wird kleiner. Das gemeinsame Interesse aller wird
von Tag zu Tag sichtbarer. Die Menschheit wird erwachsen. Erwachsene Menschen
machen einander keine Schwierigkeiten, sondern sie ebnen einander die Wege. Sie
bedrohen sich nicht gegenseitig, sondern sie kämpfen zusammen gegen die
Schwierigkeiten. Kampf muß sein, auch Konkurrenz, aber umbringen braucht man
sich dafür nicht mehr. Und wenn wir erst einmal die Energien, die wir jetzt
noch gegeneinander richten, für ein gemeinsames Ziel einsetzen, werden wir
Unglaubliches schaffen. Angebot und Nachfrage besser ausgleichen, mehr nach
Vernunft als nach traditionellen Vorrechten, wäre ein guter Anfang für alle.
Allerdings können wir
nichts tun als uns selber in die richtige Position bringen. Jeder kann nur den
Beitrag leisten, der ihm entspricht. Einige opfern sich in Terroranschlägen,
andere arbeiten als Entwicklungshelfer, andere sorgen für Unterhaltung, andere
fürs Essen. Das meint Jesus mit den "vielen Wohnungen im Haus meines
Vaters". Selbst die "Verbrecher" arbeiten mit, indem sie die
Schwächen des Systems bearbeiten; auch die Neurotiker arbeiten mit durch ihr
Leiden an der Gesellschaft; alle sind bemüht, es besser zu machen, aber viele
können ihr Glück nicht erreichen, weil sie zu weit entfernt sind von ihren
Gefühlen. Sie brauchen die Sitten um einen Halt zu haben. Auch sie bemühen
sich. Alle bemühen sich.
Von wo her kommt dann diese
ungeheure Gefahr, wenn sich alle bemühen? Von der ungeheuren Angst, die die
Menschen davor haben, von anderen eingeschränkt zu werden. Und diese Angst
kommt von der Schuld, d.h. von der Unfähigkeit mit ungewohnten Situationen
fertig zu werden, weil das konditionierte Schema in diesen Situationen nicht
mehr hinreicht. Zwar haben alle ein inneres Gespür, aber es ist nicht
entwickelt worden. Statt dessen ist das Schema entwickelt worden. Daher kommt
das "nine to five", der tödliche Arbeitstrott, diese allzuoft völlig
überflüssige Mühsal! Aus diesem Grund müssen Arbeiten oft auf eine Weise
ausgeführt werden, die das Ergebnis zunichte macht. Von da her kommt die große
Arbeitslosigkeit, während gleichzeitig wichtige Dienstleistungen fehlen. Ganz
zu schweigen von der entfremdeten Religion, die keine Antworten mehr geben kann
auf die heutigen Realitäten und dennoch so tut als könnte sie es. Eine
peinliche Situation: hochneurotische Priester, die glauben, sie könnten der
heutigen Geisteskrankheit Herr werden. Weil sie ihrer eigenen Natur so
entfremdet sind, müssen sie sich mit Regeln zudecken. "Übertünchte
Gräber" hat Jesus sie deshalb genannt - kein Wunder, daß solche Leute ihn,
den Lebendigen, nicht ertragen konnten und ihn aufhängen ließen. Jesus war ein
echter Gotteslästerer. Er liebte das Leben in allen seinen Varianten. Er wollte
nichts und niemand ausschließen und denen, die sich selber ausschlossen ging er
nach, um ihnen zu zeigen wie es besser geht.
Damals war es noch möglich,
daß ein Einzelner so viel Einfluß gewinnen konnte. Und die Moslems haben recht,
wenn sie sagen, daß Mohammed der letzte Prophet war, denn jetzt entwickeln sich
die Dinge mehr in kollektiven Prozessen. Kein einzelner Prophet oder Messias
wird mehr die Welt verändern, sondern überall wird gleichzeitig daran
gearbeitet. Die neue Weltanschauung ist bereits verbreitet und sie wird sich
klarer und klarer abzeichnen. Es ist nicht die des großen Bruders Bürokratius,
sondern die der menschlichen Natur und ihrer Möglichkeiten. Die Möglichkeiten
der menschlichen Form müssen ausgeschöpft werden, sonst würden die Menschen
verkümmern.
In den USA ist heute die
größte Plage nicht mehr Krebs oder Herzinfarkt, sondern es sind immer wieder
auftauchende körperliche Schmerzen unbestimmbaren Ursprungs. Das Problem ist da
und findet man auch eine Kur für sein Symptom, so ändert sich dennoch nichts,
das Problem äußert sich einfach in einem neuen Symptom. Das Problem ist das
schematisierte Leben, es sind die Berührungstabus, die Abgrenzungen, es ist die
Einbildung. Alles Verleugnete muß irgendwo durchbrechen, nun allerdings nicht
mehr als die eigene Kraft, sondern als feindliche Macht. Das ist das Problem.
Wir bekämpfen uns selber, wir haben Angst vor uns selber, uns fehlt das
Vertrauen in unsere Natur. Und gerade wegen unserer Angst müssen wir diese
Angst verleugnen und so geraten wir immer tiefer in ihren Sog. Es hilft nichts,
wenn wir unsere Angst durch Einbildung kompensieren, wenn wir das Gefürchtete
zum Verbotenen erklären, wegen unserer Sicherheit; wir beschneiden uns nur
selber durch das Tabu. Nur wenn die Situation es wirklich verlangt, schadet uns
die selbstauferlegte Grenze nicht.
Am Anfang einer sozialen
Bewegung, wo noch die reale Notwendigkeit am Werk ist, ist das Tabu notwendig,
aber am Ende des Zyklus, wenn die Ordnung sich aufzulösen beginnt, wie heute,
gibt es kein Zurück zur alten Regel. Das Christentum hat deshalb seine
Autorität verloren; die Nationalstaaten und die Staatengemeinschaften ebenso,
auch die Gewerkschaften haben kaum noch unmittelbare Interessen zu verteidigen.
Die Politik der politischen Parteien ist undurchsichtig geworden, es sind keine
echten Interessengemeinschaften mehr, sondern verschlungene Gebilde aus altem
Verdienst, Mythos, Idealismus, Ehrgeiz und Korruption. Der Zerfall ist nicht
mehr aufzuhalten, aber gleichzeitig beginnen sich die heutigen tatsächlichen
Interessengemeinschaften abzuzeichnen. Wie die Autorität der alten
Institutionen abnimmt - gleich wie viel politische Macht (=Geld) sie noch zur
Verfügung haben - nimmt die individuelle Freiheit zu, gleichzeitig allerdings
auch die existentielle Angst, denn nun müssen wieder alle die Verantwortung für
ihr Leben selbst übernehmen. Während die alten Gemeinschaften sich auflösen,
öffnet diese Angst für neue Gruppierungen. Die meisten von ihnen sind Sekten.
Sekten geben den Individuen
den Schutz der Gemeinschaft und sie schützen vor der großen Freiheit, in der
ein Mensch ein Nichts ist. Die Sektierer sehen nicht, daß es außerhalb ihrer
Gruppierung und außerhalb dessen, von dem sie sich abgrenzen, Menschen leben,
die keiner Sekte angehören, sondern die einfach Menschen sind, menschlich wie
der "Menschensohn".
Diese menschlichen Menschen
erkennen einander über alle Schranken hinweg und sie erkennen die Sektierer und
ihre spezifische Angst, aber sie verurteilen nicht, denn sie wissen, daß jede
Entwicklung ihre Phasen hat. Sie selbst haben die Angst hinter sich gelassen,
sie kennen keine Tabus, sie wissen unmittelbar, was ihnen gut tut und was
nicht. Die Sektierer lassen es sich von außen diktieren. Sie spüren es nicht
oder sie wagen nicht zu hoffen, daß die Wahrheit auch in ihnen sein könnte; sie
sind unsicher und so gibt ihnen ihre Regel Sicherheit, sofern sie sich wirklich
damit abfinden können. Die Regel ist wie ein Zaun, innerhalb dessen kein wildes
Tier auftauchen kann, wo die Leidenschaften bezähmt sind und ihr Verlauf
vorhersehbar. Das bringt innerhalb des Zauns große Spontaneität, weil Zweifel
ausgeschlossen sind.
Zweifel ist ein
Zwischenzustand. Wenn der Bann einer Loyalität gegenüber Personen, Gruppen oder
Ideen gebrochen ist, entsteht ein Vakuum und die Kraft teilt sich auf auf die
verschiedensten Motive, die nicht weniger "irrational", d.h. unbewußt
sind, als die alte Loyalität. Und die Spaltung der Kraft erzeugt dieses
zehrende Gefühl, diese Angst, verloren zu sein, verloren in der Wüste der
Vielheit. Die Freiheit ist eine ungeheure Gefahr, wenn jemand die Ganzheit nicht
kennt, wenn jemand noch nicht weiß, daß es da etwas gibt, das uns auf der
anderen Seite, am Boden des Abgrunds, der Depression, empfängt. Was uns dort
auffängt, ist wie eine Person. Deshalb reden so viele von einem
"personalen Gott". Aber es ist einfach unsere menschliche Form,
unsere Natur, die eben mit allem verbunden ist und zur rechten Zeit immer die
rechten Kontakte knüpfen kann, wenn wir es zulassen.
Vielleicht ist Ihnen das zu
mythologisch, wo es doch Millionen Beispiele gibt, wo Menschen eben nicht
aufgefangen worden sind von ihrer menschlichen Natur, die einfach ausgelöscht
wurden in einem sinnlosen Tod. Die Existentialisten waren inspiriert von dem
Problem, aber Stan Grof würde von ihnen sagen, sie seien emotionell in der
zweiten Phase ihres Geburtserlebnisses hängen geblieben, in der ausweglosen
Depression, wenn nämlich die Wehen einsetzen und der Geburtskanal noch nicht
geöffnet ist. Und so sollten wir darüber hinausdenken. Denn selbst in einer
ausweglosen Situation ist es besser, auf diese menschliche Natur zu vertrauen
und zu glauben, daß sie durch ihre Verbundenheit mit allem rechtzeitig einen
Ausweg finden wird und daß der tatsächliche Weg dieser Ausweg ist. Auch wenn
das Ergebnis der Tod ist, bleibt das Leben doch nur so lange menschenwürdig,
als einer nicht aufgibt seiner eigenen Natur zu vertrauen. Daß das nicht heißt
"die Hände in den Schoß legen", brauche ich ja nicht noch betonen.
Unsere Natur spornt uns schon zum Handeln an, wenn wir in Gefahr sind.
Alle Religionen laufen
letzten Endes darauf hinaus, dort hinzuführen, daß ein Mensch seine biologische
Form zur Wirkung bringen kann. "Gott" ist die menschliche Form, wie
Castaneda sagt, und die Namen Gottes, die die verschiedenen Religionen
anbieten, sind die Züge dieser menschlichen Struktur und es sind die
archetypischen Züge der ganzen Schöpfung. Angesichts dieser menschlichen Natur
wird es völlig klar, warum die Religionen sagen, daß wir nichts tun können, daß
wir völlig abhängig sind von der göttlichen Gnade, daß unser Ich sterben muß,
damit Gott in uns leben kann, also damit die menschliche Struktur uns lenken
kann in spontaner Bewußtheit. Wir müssen jene größere Macht, nämlich die
unserer Konstruktion, anerkennen und uns hinter seine Intentionen stellen.
Unser Körper hat gewisse Bedürfnisse, die natürlich sind und diese Bedürfnisse
sind gleichzeitig das Korrektiv, das jede Entfremdung wieder rückgängig macht.
Im Alten Testament heißt es von Gott, er trage die Berge ab und fülle die
Täler, genau das ist es. Von unserer Form gehen die Revolutionen aus. Deshalb
sagen die Hopis, der Erlöser sei ein Mann mit einem roten Hut: Die Sexualität,
wenn sonst nichts, wird die Menschen immer wieder zueinander führen.
In der Geschichte läuft
eine Welle, oder besser, die Geschichte ist ein buntes Gewebe von Wellen, in
dem die Menschen immer schwanken zwischen totaler Isolierung und Vereinzelung
bis zur totalen Aufhebung des Individuums in einem Kollektiv. Das
Kooperationsbedürfnis ist genauso stark wie das Konkurrenzbedürfnis. Deshalb
brauchen die Moralisten keine Angst haben, daß nur noch Vandalismus und Terror
herrschen würde, wenn die von ihnen errichteten Schutzwälle aufgehoben würden.
Das Gegenteil trifft zu. Der Terror entsteht, wenn überholte Tabus
aufrechterhalten werden. Die Ohnmacht einer sinnlosen Beschränkung gegenüber
erzeugt einen Haß, der keine Rücksicht mehr auf sich selber nimmt, der nur noch
den Geist des Kampfes gegen jenen Geist der Beschränkung setzt.
Das ist die Realität der
Geister. Engel und Dämonen, Förderer und Vernichter gibt es überall. Jede
Bindung, die wir in uns spüren, ist das eine oder das andere und manchmal
gleichzeitig beides. Die Dressur durch unsere Eltern ist so ein Geist, den wir
überwinden müssen, soweit sie uns weggeführt hat vom Vertrauen auf die eigene
Natur.
Was ist unsere Natur? Nicht
nur die DNS, auch unsere persönliche Geschichte von der Zeugung an gehört dazu.
Aus ihr entsteht unsere Berufung, die Antwort des menschlichen Geistes, also
"Gottes", auf die Behinderungen unserer Entfaltung. Jeder muß seinen
Ausweg finden, d.h. die Erlösung aus der Situation, in der er seine Natur
verleugnen muß, wo er nicht ehrlich sein kann, weil andere ihn verurteilen. Der
Ausweg besteht entweder darin, sich aufzugeben und sich der Regel irgendeiner
Sekte - zuletzt der der Chirurgen - zu beugen oder darin, das Eigene einfach zu
tun, die Angst abzuschütteln für verrückt gehalten zu werden und es einfach zu
wagen, wie die Stars es gewagt haben. Das Leben wagen. Das ist die Weisheit des
ungesicherten Lebens" (Alan Watts). Das Höchste gibt es nur im Vertrauen,
im Risiko, nur wenn wir das Leben aufs Spiel setzen - nicht leichtsinnig,
sondern bewußt. Das ist ein logisches Naturgesetz.
Der Hypnotherapeut Milton
Erickson hat festgestellt, daß viele seiner Patienten Angst hätten zu
verhungern, obwohl doch tatsächlich in unseren Breiten kaum jemand jemals
verhungert. Aber darauf geht alle Angst schließlich zurück. Darauf beruht alle
Unterwerfung von klein auf an. Erst wenn wir diese Angst im Vertrauen
transzendieren, können wir jenes höhere Prinzip entdecken, daß "der Mensch
nicht nur vom Brot allein lebt", wie Jesus sagt. Aber irgendwann machen
alle die Erfahrung, daß da tatsächlich etwas ist, das alle immer absolut
gerecht behandelt und doch großzügig ist. Dieses Etwas ist unsere menschliche
Natur, die sich zu unserem Ich verhält wie eine Maschine ihrem Benutzer
gegenüber. Solange beide sich gegenseitig respektieren, geht alles gut, aber
wenn der Autofahrer die Warnsignale mißachtet und Wasser oder Öl ausgehen läßt,
wird seine Maschine zerstört werden. Wenn er dagegen das rote Licht nicht als
einen bösen Trieb des Automobils ansieht, dann fährt er gut.
Wir sind so wunderbar
konstruiert, daß wir unsere Fähigkeiten nie voll ausschöpfen können. Wunder
sind einfach menschliche Fähigkeiten. Nicht nur Genies verfügen über sie,
sondern alle, die ihrer Natur keine Schranken auferlegen als die, die sich aus
der Situation ergeben. Und auf die stellt sich unser Körper ohnehin automatisch
ein. Worauf alle Religionen hinzielen, ist die Herrschaft der menschlichen
Natur, der DNS. Auf ihr beruht das "Reich Gottes", in dem die
Menschen wie die Tiere absolut auf ihren Wahrnehmungsapparat vertrauen können.
Eigensinnige ehrgeizige Ziele sind nicht amoralisch, sondern einfach
selbstzerstörerisch und dumm, weil auf dem natürlichen Weg die Kraft des
Universums selber die Arbeit tut.
Wozu dann die höllischen
Übungen Castanedas, wozu die Selbstbeherrschung der Heiligen? Der Abstieg in
die Hölle war seit je her eine der in sämtlichen Mythen vorgeschriebenen Notwendigkeiten
für jeden Krieger und Helden, weil wir zuerst wissen müssen, wie schlimm es
wird, wenn wir uns nicht bekehren zu unserer Natur. Und was wir gelernt haben
bei dem Abstieg, das hilft uns zur Rückkehr und von dem leben wir dann. Der
Abstieg macht offenbar, daß die Kraft nicht unser Verdienst ist, sondern
bereits da. Wir sind bereits erlöst, wir sind frei. Wir können tun, was wir
wollen; wir dürfen es nicht nur, wir müssen es. Die Alternative ist der Tod.
Alle Übungen der Askese
können nichts für uns tun, als unsere Einbildung vermehren, bis die Einsicht in
diesen Wahnsinn durchbricht - oder auch nicht. Wir brauchen uns selber nicht
unter Druck setzen, wir brauchen nur den Druck zulassen, der schon da ist. Die
meisten von uns leiden nicht an Energiemangel, wie sie glauben, sie leiden an
Energiestaus. Sie lassen ihre Energie nicht dort ab, wo sie ist und bilden sich
ein, sie müßte anderswo sein, wo sie sie dann mühsam "erzeugen",
indem sie sich selbst unter Druck setzen. Das erzeugt Depression. Wir erzeugen
die Depression. Der Glaube an die Selbsterlösung führt zu einer wahren
Sisyphosarbeit. Sisyphos war zwar sehr schlau, aber nicht schlau genug, niemand
ist schlau genug. Wir können uns nicht an den eigenen Haaren aus dem Sumpf
ziehen, wir können nur erkennen, daß dieser Sumpf ungeheuer interessant ist und
daß es da viel für uns zu tun gibt und Nahrung genug. Mit dieser Erkenntnis
sind wir im Sumpf gerettet. Wir brauchen keinen mysteriösen Ausweg mehr, wir
brauchen keine Religion mehr, weil dann die Wirklichkeit selber
"Gott" ist, was sie ja ist. Wir brauchen keine Götterbilder mehr,
denn die Natur ist das letzte Bild Gottes, das es gibt. Das Leben ist das Reich
Gottes. Das Jenseits nach dem Tod ist nur für Ideologen interessant und doch gibt
es zwei Arten des Lebens nach dem Tod, einmal unsere Gegenwart, die
"dann" nicht einfach vergangen, sondern immer da ist - nach unserem
Tod pflanzen sich die Wellen ja fort, die von uns ausgegangen sind - vor allem
aber ist mit dem"Leben nach dem Tod" etwas anderes gemeint: Wir leben
nämlich erst richtig, nachdem wir unser Schicksal akzeptiert haben, nachdem
unser Eigensinn gestorben ist. Durch den Tod unseres Ich hat die Natur ihren
Lauf und wir haben ihre Kraft. Nun kann uns keiner mehr etwas vormachen, nun
wissen wir Bescheid: Nur das, was wir lieben, zählt, nur der Weg des Herzens.
Unsere Liebe muß unser Herr sein - wie christlich das klingt! Wir brauchen uns
nicht sorgen, daß wir versanden könnten, denn ein gesunder Ehrgeiz, ein Streben
ist in unserer Natur angelegt, gemeinsam mit den Zielen dieses Strebens.
Der "Tod Gottes"'
in der Theologie war die Einleitung jener endgültigen Kenosis, zu der wir
kommen, wenn wir anstatt eines mythenumwobenen Gottes die Wirklichkeit selber
achten. Jesus hat es angekündigt, aber jetzt erst ist es da. Wir erleben das
Ende und gleichzeitig den Anfang des gesamten Zyklus der Religion, Religion in
der Phase des Realismus. Als Nächstes folgt die Vermittlung. Aus dem Realismus
wird eine Lehre, neue Mythen und Götterbilder werden entworfen; Entfremdung und
Schizophrenie wird wieder einsetzen, bis die Spaltung erneut ganz durchgeht und
der alte Gott stirbt und neugeboren wird. Die Entwicklung verläuft zyklisch,
aber nicht kontinuierlich; am Ende jeder Runde gibt es einen Bruch und die Spur
beginnt daneben neu, denn die alten Religionen verweigern die Kooperation. Ein
Umdenken ist für sie nicht möglich. Mit den Mythen würde sich ihre ganze Welt
auflösen, für die sie bisher gelebt haben. Schon allein um das Gesicht zu
wahren, würden sie an ihren Vorstellungen festhalten. Aber leider täuschen sie
sich. Was sie für Häresie halten, ist die Realität und wenn sie es nur für
einen Augenblick wagen könnten, ihre mythischen Filter wegzulassen, durch die
sie die Welt betrachten, könnten sie es selber sehen. Aber sie meinen das wäre
das Ende der Welt.
Die echten Gurus,
Brückenbauer und geistige Führer, müssen da durch. Ihr Filter muß zerbrechen
und sie müssen ihn dann rekonstruieren für alle, die nur eine mythologische
Sprache verstehen. Jesus sagte: "Ich hätte euch noch vieles zu sagen, aber
ihr könnt es jetzt noch nicht ertragen. Später, wenn ich gegangen bin, wird es
euch der Geist offenbaren." Viele können die Wahrheit nicht unmittelbar
ertragen, deshalb suchen sie nach einem Filter, durch den sie für sie greifbar
wird. Früher waren es die Religionen, heute sind es Ideologien oder der Konsum.
Und wie viele, von denen, die aussteigen, denen der Konkurrenzdruck zu stark
wird, flüchten in eine religiöse Gemeinschaft! Und unter dem Filter ihrer Lehre
fangen sie an zu gedeihen. Es ist heute gottseidank alles möglich. Jeder kann
auf seine Facon selig werden und so soll es sein. Jeder muß seinen Platz
finden, wo er geborgen ist und sich entfalten kann. In jedem ist etwas anderes
zu entfalten. Jeder erfüllt seine Aufgabe, indem er dem antwortet, was er
erfährt - nicht in "selbstloser" Weise, wie das Jesus meist
unterstellt wird, weil er sich umbringen hat lassen - sondern als die Antwort
unseres Selbst. Es ist die Antwort "Gottes" an die Welt, die in uns
im Idealfall Fleisch wird. Wir sind ganz und gar Er, indem wir genau die
Antwort geben, die unser Innerstes uns vorschreibt, wie Jesus. Jesus war keinen
Augenblick selbstlos. Er ist nicht im Hintergrund geblieben, er hat sich nicht
verdrängen lassen. Er hat sich durchgesetzt, weit über seinen Tod hinaus, bis
heute. Der selbstlose Jesus ist ein Mythos, damit die Menschen ihn annehmen
können, die in ihrem Leben so eine Direktheit und Frechheit, wie Jesus sie
besessen hat, nicht ertragen könnten. Selbstlosigkeit können sie ertragen.
Lieber ein Stück Freiheit aufgeben, aber nicht so einem Schicksal ausgeliefert
sein wie Jesus. Der Tod Jesu wird immer verniedlicht als Opfertod, aber es war
kein Justizmord, wie selbst Juden es heute darstellen möchten, um sich reinzuwaschen:
Die Anklage hat zu recht bestanden. Jesus war ein Gotteslästerer und Ketzer. Er
hat die heiligen Sitten in Zweifel gezogen, die Angesehenen heruntergemacht
("übertünchte Gräber" etc.) und sich mit dem Abschaum der
Gesellschaft zusammengetan. Wer von den frommen Leuten wagt so etwas heute?
Höchstens aus "caritativen" Gründen lassen sie sich herab, wo sie
immer das Bewußtsein haben können, etwas Besseres zu sein: Verwahrlosten- und
Krankenbetreuung etc., aber nicht die ganz einfache Begegnung von Mensch zu
Mensch. Jesus hatte keine Klienten.
Dinge, wie Jesus sie getan
hat, tun heute die Stars und ihre Botschaft ist der von Jesus sehr ähnlich:
"Do it". Jesus hat es getan, obwohl er dadurch umgekommen ist; die
Stars tun es und sie werden gut bezahlt dafür; es gibt beide Möglichkeiten. Wir
brauchen nicht gleich um unser Leben zu fürchten, wenn wir den ersten freien
Schritt tun. Heute sind die Zeiten, jedenfalls bei uns, für ein Individuum
nicht so gefährlich. Aber jeder ist anders. Es muß auch die gewalttätigen
Revolutionäre geben. Die riskieren ja auch ihr Leben für eine bessere Welt. So
sind die Rollen verteilt. Sie sollten sich glücklich schätzen, daß das
Schicksal nicht Sie auserwählt hat, in einem terroristischen Selbstmordauftrag
umzukommen, anstatt die zu verurteilen, die sich für diese Aufgabe opfern. Jede
Rolle ist eine Offenbarung. Es hat schon alles seine Richtigkeit in der Welt.
Jeder ist an seinem Platz.
Wenn Du Dich übergangen
fühlst, dann schau Dich in den Spiegel und frage, wie die es machen, die nicht
übergangen werden; das wäre das Natürliche, aber vielleicht liegen Deine
Interessen anderswo; dann mußt Du ja auf Schwierigkeiten stoßen, weil Du nur
dort Deine ganze Energie zur Verfügung hast wo Du mit Deinem ganzen Sein
zustimmen kannst, wo Du wirklich liebst. Alle Moral hilft nichts, wenn Du am
falschen Dampfer sitzt, wenn DU Dinge tust, zu denen Du nicht geschaffen bist
und dafür die Deinen vernachlässigst. Der Prophet Jona war so ein Beispiel. Er
wollte nicht in die Stadt Ninive und kaufte sich eine Fahrkarte in die
entgegengesetzte Richtung. Aber dabei hätte er beinahe Schiffbruch erlitten und
weil er schuld war, wurde er über Bord geworfen und von dem Wal verschluckt,
der ihn vor Ninive absetzte.
"Ein böses und
ehebrecherisches Geschlecht verlangt ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen
gegeben werden, als das Zeichen des Jona", sagte Jesus. Dieses Zeichen
empfangen alle, die nicht glauben wollen, daß sie auf dem falschen Dampfer
segeln. Aber nicht alle haben das Glück, unversehrt abgesetzt zu werden, wie
Jonas; viele gehen an irgendeiner Krankheit zugrunde, denn die ständigen
Zweifel, der ständige Widerspruch mit ihrem Innersten, reibt sie auf. Es gibt
kein Entkommen. Entweder wir tun das Unsere oder wir gehen ein. "Was hilft
es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, wenn dabei seine Seele Schaden
nimmt," (Jesus).
Wenn wir "Seele"
hören, denken wir gewöhnlich gleich an dieses geistige Leintuch, das bei
unserem Tod in die ewigen Jagdgründe entschweben soll. Aber damit hat die Seele
nichts zu tun. Sie ist unser innerster Kern, ein Wahrnehmungs-, Erinnerungs-
und Aktionskoordinator. Darin sind alle Strähnen unserer Geschichte bis zum
Beginn der Welt koordiniert mit den Erfahrungssträhnen unserer persönlichen
Geschichte. Und all diese Information reagiert auf die momentane Situation,
simultan und optimal. "Der Körper weiß" ist die neueste Entdeckung
der Psychologen. Aber was sie "Körper" nennen, hat Jesus
"Seele" genannt. Die Bedeutungen vieler Wörter haben sich so stark
gewandelt, daß die alten Begriffe neu übersetzt werden müssen, damit die alten
Texte wieder verstanden werden können.
Heute ist die
Entwicklungsspirale der Religionen nach der totalen Mystifizierung und der
resultierenden Entfremdung von der Realität an den Punkt gelangt, an dem sich
ein Quantensprung vollzieht in eine neue Phase; das Alte bricht und das Neue
ersteht auf einer neuen Spur. Und doch kann es erst geschehen, wenn die
Verbindung mit dem Alten wiederhergestellt ist. Der Quantensprung vollzieht
sich, wenn eine genügend große Anzahl von Menschen diese Zusammenhänge
begriffen hat. Da schlägt, wie die dialektischen Materialisten sagen, die
Quantität in Qualität um, eine neue Gemeinschaft entsteht und gebiert aus ihr
einen neuen Führer - nicht einen wie Hitler, der geblendet war von den
Möglichkeiten und Kraftreserven, die im kollektiven Ehrgeiz liegen, sondern
einen Führer, der die neuen Regeln definiert, nach denen die Menschen optimal
zusammenleben können. Vielleicht wird es diesmal ein Computer sein, der Angebot
und Nachfrage so ausgleicht, daß alle ihr Talent optimal einsetzen können.
So könnte es sein oder ganz
anders, darauf kommt es jetzt nicht an und diejenigen, die vor dem Computer
Angst haben, müssen alles tun, um diese Angst in positive Aktion umzusetzen. So
eine Angst nämlich resultiert aus einer Reihe von Erfahrungen und von da heraus
zu handeln, ist der "Auftrag" unseres Innersten. In dem Sinn sind wir
die Antwort auf die Welt. Jeder hat das zu tun. Jeder muß seine Angst
überwinden, indem er auf sie hin handelt. Der Weg geht in Richtung auf
"keine Beschwerde". Das ist unser innerer Auftrag. Alle anderen Ziele
sind bloß Ehrgeiz. Schade um die Zeit, von den Schäden, die man sich in diesen
Zeiten zuzieht, ganz zu schweigen.
Das heißt nicht, daß wir
nur von einem Augenblick auf den anderen leben können ohne längerfristige
Verpflichtungen, denn diese Verpflichtungen ergeben sich genauso wie die
augenblickliche Reaktion aus unserem Bauplan, aus unserer Seele, aus unserem
Körper.
Christian Rosenkreuz
beschreibt es gut mit der Geschichte in der der Wanderer vor der Wahl zwischen
zwei Wegen steht. Er hat sich gesetzt und fängt an zu essen, und er füttert
eine Taube, die aber von einem Raben attackiert wird. Indem er den Raben verjagt,
gelangt er auf seinen Weg, also durch einen spontanen Akt, durch einen Akt der
Liebe geraten wir auf unseren Weg. Und nachdem wir unseren eigenen Weg gefunden
haben, bringt unser Mitgefühl uns dazu, anderen auf ihren Weg zu helfen, deren
Interessen ähnlich gelagert sind wie unsere. Unsere Erfahrung wird ihre Angst
beschwichtigen und sie ermutigen. Sie können in unsere Fußstapfen treten,
während sie noch im Finstern gehen. Sie können noch nicht sehen wohin das
führt, aber sie spüren die Spur. So beschreibt es auch Castaneda, den Don Juan
in seine Fußstapfen treten ließ, bis er selber "sehen" konnte.
Was ist dieses
"Sehen"? Castaneda beschreibt es mysteriös aber auch exakt. Es ist
eine Art innerer Gewißheit. Es ist einfach die unverblendete Sicht der Wirklichkeit.
Castaneda erkennt den Charakter seiner Versuchsobjekte und sobald wir unsere
intellektuellen Identifikationsschemata außer Kraft setzen, geschieht diese
Identifikation auch bei uns automatisch. Schließlich haben wir alle Typen schon
gesehen und alle Gemütsverfassungen erlebt. So können wir sie ohne
Schwierigkeiten erkennen — außer wir bemühen unser Denken, denn dann sind wir
auf die oberflächlichsten Erinnerungen beschränkt und auf eine grobe Schematik.
Diese Schematik kann bis zu
einem gewissen Grad verfeinert werden. Das ist es, was viele tun, die sich dann
einbilden, daß sie das Leben beherrschen, weil sie so spitzfindige
Unterscheidungen treffen können. Trotzdem sind die Bewegungen dieser Leute hart
und abgehackt. Obwohl sie durch ihre Sophistikation viele täuschen können,
täuschen sie doch niemals die, die im Einklang mit sich selber leben. Die
nämlich leben nicht in auch noch so feinen Kategorien, sondern unmittelbar,
spontan. Sie tun einfach das, was sie lieben und nichts anderes. Was für eine
Hingabe das ist! Was für eine Kraft dahintersteht! Der kann nichts widerstehen.
Eine Methode diesen
Gefühlszustand zu erreichen ist das, was die Sufis vor allem praktizieren:
Dankbarkeit. Die Dinge positiv sehen, statt negativ; wer dankt, muß sie positiv
sehen; und er wird sich ganz anders verhalten zum Ausdruck seiner Dankbarkeit.
So wird das Leben nicht nur glücklich, sondern auch spontan. Eine andere
Instanz übernimmt die Entscheidungen. Die eigenen Eigenheiten werden ebenso
dankbar akzeptiert und ohne Schuldgefühle gelebt, wie die der anderen einfach
als das genommen werden, was sie sind. "La ilaha illallah", es ist
kein Gott außer dem Gott. Unsere Eigenheiten sind ja auch nicht unser Werk,
sondern das Ergebnis unserer Geschichte. Und die Veränderung kann erst
beginnen, unsere Freiheit setzt erst ein, wenn wir alle unsere Eigenheiten,
auch die seltsamsten, akzeptieren. Daß wir uns ins Auge sehen können ohne
Illusionen und ohne Beschönigung oder Verzerrung durch Tabus. Wir brauchen
nichts verleugnen. Wir brauchen uns "des Zwecks nicht schämen, der in
unserem Herzen eingefaltet ist" (I Ching). Die Scham ist ein
Schuldbekenntnis, aber wofür? Für etwas, das wir nicht gewollt haben.
In den griechischen
Tragödien mußten Menschen büßen für etwas, das nicht in ihrer Macht lag zu tun
oder zu unterlassen. Die Menschen waren ein Spielball der Götter. Und die
Griechen hatten recht. Einige Götter unserer Vergangenheit haben uns
tatsächlich ihren Stempel aufgeprägt. Und erst wenn wir keinen von ihnen mehr
verleugnen, ist keiner mehr eifersüchtig und wir können in Frieden leben und in
direkter Kommunikation mit den Göttern, mit unserer speziellen menschlichen
Form. Der Monotheismus, der eine Vielzahl von Göttern unter dem Vorwand
ablehnt, daß alles nur auf eine Ursache zurückgehe, mißversteht den
Götterglauben als Götzendienst, aber Götzendienst ist dieser Monotheismus
selber, da in ihm nämlich Gott nur noch ein Bild ist und keine Wirklichkeit.
Und doch gelingt es dem Vorstellungsapparat des Monotheismus im Idealfall durch
die Konzentration auf den Einen die Vielheit konzentrisch zu lenken - eben
durch die menschliche Natur, durch die menschliche Konstitution.
Es ist dann so wie bei
einem echten Jäger, z.B. bei einer Schlange: Der grob schematische
"Instinkt" ermöglicht eine automatische Bewegung des Körpers. Die
Schlange selber steht dabei im Hintergrund. Sie beobachtet sich und die
Umgebung und wartet auf die Chance. Und sobald diese ins Wahrnehmungsfeld
kommt, wird sie identifiziert und blitzschnell schlägt sie zu, mit voller
Konzentration. In dem Moment entscheidet nicht der Instinkt, sondern jenes
alles beobachtende Bewußtsein. Die Schlange selber stößt zu, ganz bewußt und
absichtlich. Ohne daß sich die Schlange erst einmal ihrem Schicksal überließe
und der automatischen Steuerung, könnte sie nicht mit voller Konzentration
wahrnehmen. Schlangen geht es nicht anders als Menschen: Unter schlimmen wie
guten Bedingungen geben manche auf und manche sind souverän. So haben auch die
Tiere ihr Bewußtsein und Pflanzen und Steine und Elektronen. Aber dieses
Bewußtsein ist nicht ihres, genausowenig wie das unsere uns gehört, es ist das
allgemeine, das eine Bewußtsein, an dem wir alle teilhaben wie die vielen
Terminals eines großen Computers. Allen ist prinzipiell alles zugänglich, aber
ihre Vorgeprägtheit hindert sie von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.
Unser Hirn ist, wie Aldous Huxley bemerkt, ein Eliminationsorgan, das diesen
Prägungen gehorcht, die unter besonderen Umständen auch aufgehoben werden
können.
Dann wäre die Sache also
wahr, mit dem Himmel und der Allwissenheit und der Allmacht und der
Unsterblichkeit! Das ist für einen modernen Menschen schwer zu schlucken. Was
immer aber an den Wunderberichten stimmt oder nicht, es gibt nur einen Weg zu
diesem Gleichklang: uns so zu nehmen, wie wir sind, den Wegen unseres Herzens
zu folgen. "Tu was du willst, aber tu es ganz", sagt Thomas More und
die Offenbarung des Johannes: "Oh wärest du doch heiß oder kalt, aber weil
du lau bist, will! ich dich ausspeien aus meinem Mund". Man kann etwas nur
ganz tun, wenn man es liebt. Alle Anstrengung kann nicht zu Ergebnissen führen
wie die Liebe. Und zwar ist dies keine sogenannte "selbstlose Liebe",
sondern einfach die Form unserer Lebenskraft.
Ein Sufi hat mir einmal
erklärt, daß ein echter Moslem dankbar in die Hölle geht, wenn Allah ihn dort
hinschickt. Selbst im Feuer ist er dadurch glücklich und gleichzeitig jederzeit
offen für einen möglichen Ausweg. Und wenn es keinen gibt, ergibt er sich
willig in den Tod. "Inshaallah!" Genauso sind die chinesischen
Taoisten ursprünglich vorgegangen, genauso die Samurai oder die Krieger
irgendeines anderen Volkes. Dieses "das Schicksal akzeptieren" hat
z.B. in Indien Auswüchse hervorgebracht, wie das Kastenwesen oder den
Fatalismus bei vielen Moslems und auch Christen. In Wirklichkeit aber eröffnet
diese Haltung die einzige Möglichkeit, einen möglichen Ausweg wirklich
wahrzunehmen, denn das braucht alle Konzentration. Die hat nur einer, der
vertraut, einer, der für gut nimmt, was da ist, einer, der dankbar annimmt, was
ihm geboten wird - und es dann vielleicht weiterschenkt, wenn ein
vordringliches Bedürfnis auftaucht.
Das Schicksal akzeptieren
ist der Anfang der Freiheit.
Nun können wir uns fragen,
was uns determiniert: Wer gibt die Befehle, wie weit geht die Macht des Ich,
wie weit muß es sich einer höheren Realität beugen. Was ist diese "höhere
Realität", der wir untergeordnet sind? Was sind die unabänderlichen
Fakten? Was können wir tun? Was gibt uns die Kraft und was steht gegen uns?
Das Leben muß errungen
werden, aber es ist genügend Kraft da, die Kraft, die das Gras durch den
Asphalt treibt. Das Leben ist Teil der Entropie, indem es das Solide zerlegt,
aber gleichzeitig überwindet es die Entropie, indem es Gestalten formt aus dem
Abfall der Entropie. Wir leben vom Morast, vom Zerfall anderer Gestalten. Wer
gibt den Befehl? Niemand fragt danach. Er ist einfach da, ein Teil von uns. Wir
sind dieser Befehl.
Was treibt die Insekten
oder die Entwicklung eines Menschen? Eigenheiten der molekularen Struktur der
DNS oder vielleicht ein morphogenetisches Feld, eine platonische Idee, ein
Archetyp, eine Struktur eines übergeordneten Vektor-Raumes? Die Ursache kennt
niemand ("Niemand hat Gott je gesehen", Anfang des
Johannesevangeliums). Wir kennen nur Wirkungen, Wir selber sind die Wirkung
einer unendlichen Reihe von Einflüssen. Und sowohl die einzelnen Einflüsse als
auch unsere Identität sind gespeist von der gleichen Lebenskraft, die alle
Entitäten zur Selbstvervielfältigung drängt. Ein Teil der Einflüsse ist daher
immer auf unsere Zerstörung gerichtet und Teile von uns verbünden sich mit
diesen zerstörerischen Einflüssen, solange wir unfähig sind, die Tatsachen
anzuerkennen und unsere Situation nüchtern zu betrachten.
Unsere eigene Existenz ist
in mancher Hinsicht eine Bedrohung der Existenz anderer oder eine Einengung
ihrer Freiheit oder ihrer Möglichkeiten und das lassen sie wiederum uns spüren
als eine Bedrohung unserer Existenz. Eine weitere Bedrohung ist die
Faszination, die versucht, uns in eine Falle zu locken, damit wir Beute werden
für die Lebenskraft anderer. Es ist das eine natürliche Auslesefunktion.
Deshalb haben auch die Zerstörer ihre positive Aufgabe im Ganzen, als
Vollzugsorgan der Evolution.
Wir haben einen natürlichen
Schutz gegen diese Fallen eingebaut: Keine Falle ist perfekt getarnt, jede baut
auf unsere Unachtsamkeit. Unachtsamkeit wieder ist verursacht durch
Ablenkungen. Und Ablenkungen sind unerledigte Geschäfte. Sie drängen sich in
unser Bewußtsein und verdecken unseren Blick auf die Wirklichkeit. Erst wer
seine Schuld aufgearbeitet hat, ist frei zu sehen und ihm öffnet sich ein
Wahrnehmungsbereich, der dem Bewußtsein der meisten Menschen kaum zugänglich
ist: Er kann in der Form die dahinterstehende Intention erkennen und er spürt
auch die Intentionen räumlich und zeitlich entfernter Einflüsse, weil er alles
wahrnimmt, was für ihn relevant ist. Außersinnliche Wahrnehmung ist eine
natürliche Fähigkeit, die uns zur Verfügung steht, wenn wir uns nicht mehr an
das Gewohnte festklammern. Alles ist da. Unser Wahrnehmungsapparat filtert nur
aus und unsere Präokkupation beschränkt unser Bewußtsein.
Um die negativen Einflüsse
also auszuschalten, können wir nur auf unsere eigene Lebenskraft vertrauen. Das
ist das einzige Mittel. Alles andere kann nur eine Hilfe sein und wenn es das
nicht ist, dann heizen die Methoden nur das Feuer, in dem wir braten müssen,
bis wir weich genug sind, damit wir genießbar werden. Genießbar können wir
natürlich nicht sein, solange wir im Feuer sind. Wir müssen schmoren bis unser
Eigensinn weggeschmolzen ist, diese Angst, dieses Mißtrauen. Das wirklich
Eigene kann erst herauskommen, wenn wir vertrauen, wenn wir uns trauen -
"Eigensinn" ist das Muster der Schranken, die wir uns auferlegen
lassen, der Stereotype, die wir leben - bis wir uns trauen mit unserem Eigenen
herauszurücken. Das ist alles. Im Grunde geht es für jeden darum, seinen wahren
Beruf zu finden, seine Lebensnische, seine Chreode, den Platz der Harmonie.
Jedem teilt das Schicksal eine Rolle zu. Die müssen wir spielen und umso näher
wir ihr kommen, umso besser ist unser Leben. Es gibt keine Regeln, es gibt nur
statistische Naturgesetze und selbst die können wir überwinden: "Wer auf
dem Weg sucht, wird auf ihm finden. Und wer schuldig ist, wird auf ihm
entkommen", sagt Lao tse, und weiter: "Brich ab die Heiligkeit,
verwirf die Klugheit. So wird dem Volke hundertfältiger Nutzen."
Was bleibt da zu tun? Was
du willst. Nicht mehr und nicht weniger. Dein Wille ist der Wille Gottes. Aber
natürlich erst, wenn der Wille Gottes dein Wille ist, wenn "du und der
Vater eins" seid; wenn du dich nicht mehr selber bekämpfst durch
Heiligkeit, Klugheit, Menschlichkeit; wenn du demütig genug bist, einfach der
zu sein, der du bist. Sei wie du bist. Tu dir keinen Zwang an. Laß dich
anschauen. "Stell dein Licht nicht unter einen Scheffel" (Jesus).
Heraus mit dir. Gib dich. Alles andere schadet dir und den anderen, die du mit
deiner falschen Atmosphäre vergiftest, während du sie zu schonen meinst. Hab
keine Angst um deine Haut. Vertrau! Die Wahrheit kommt ohnehin ans Licht.
Welches Theater willst du
noch spielen? Welches Theater spielen wir oft, wenn wir jemand kennenlernen
wollen! Es ist umsonst. Wir können nicht unser Leuen lang Theater spielen. Es
ist besser, wenn wir uns gleich so zeigen, wie wir sind. Und wenn unsere
natürliche Neigung lebensgefährlich ist, müssen wir ihr dennoch folgen, wie die
Revolutionäre. Einzig das ist Leben. Wir alle wissen es und wir geben es zu in
der Faszination, die die archetypischen Helden auf uns ausüben. Alles
Sich-Verstecken zehrt am Leben. Es macht uns kraftlos und unser Leben
langweilig. Selbstzerstörung ist das.
Such dir die Stelle, an der
du heiß bist und benutze die Energie, die da gespeichert ist, nicht für einen
Ersatz, sondern für das Wirkliche. "Was keiner verlacht, ist nicht würdig
zum Weg genommen zu werden." (Lao tse). Das heißt jetzt nicht, daß du dich
einer absurden Sekte anschließen sollst - außer das ist dein Weg - sondern
einfach, daß du du selbst sein sollst, lächerlich für viele, glückbringend für
andere. Das ist das Kreuz, das die Christen tragen sollen, nicht irgendwelche
Leistungen der "Selbstverleugnung" sind verlangt, sondern eben diese
Selbsthingabe; daß du nicht eine "christliche" oder eine "menschliche"
Rolle spielst, sondern deine und keine andere. Das ist das erste und einzige
Gebot. Alles andere ergibt sich daraus. Wenn du dich dahin durchgerungen hast,
daß du dich traust, dann ist die Menschlichkeit und alle Tugenden ganz
natürlich für dich. Aber solange du fremden Zielen folgst, mußt du dich zur
Tugend zwingen. So ist die Nächstenliebe in Wirklichkeit Götzendienst, ein
Zeichen des Mißtrauens.
Und noch etwas sollte dir
keine Sorgen machen: Falls du dich in einer niedrigen, dienenden Position wohl
fühlst, gibt es keinen Grund für dich unbedingt sozial aufsteigen zu wollen,
auch wenn alle dich dazu drängen. Es gibt kein Soll als das, daß du dich wohl
fühlst. Das ist der Weg des Herzens. Und allein dieser enge Pfad ist der Weg
der Freiheit. "Fürchte dich nicht vor dem Abstieg" heißt es im
Brevier einer Sufi-Tarieqa. Der Abstieg in die Hölle ist dieses anfängliche
Wagnis "die Sau herauszulassen". Eine der Gründerinnen der
Findhorn-Gemeinschaft hat gesagt, die Wende sei bei ihr eingetreten, als sie
wieder begann zu rauchen und Whisky zu trinken. Arnold Keyserlings "Mensch
im All" sagt, unsere kleinen Süchte sind o.k. Wir dürfen das Leben
genießen. Wir dürfen nicht nur, wir müssen. Wer es nicht wagt, muß in der Rolle
braten zur "Strafe" für seinen Unglauben.
Erlaube dem kleinen
Süchtigen in dir so viel Kuchen wie er will. Laß ihn sich überessen, daß ihm
schlecht wird, das ist die natürliche Medizin. Gib es dir, wonach es dich
verlangt. Und benütze das Hirn dazu, die geeigneten Wege zum Guten zu finden -
wie der Hund seine Nase benutzt. Auf dem natürlichen Weg gibt es keine Gefahr,
die wir nicht sofort spüren würden, noch bevor sie uns nahe kommt. Und ohne
Vorsicht und Mißtrauen können wir ihr richtig begegnen, ganz von selber, aus
unserem Lebenstrieb heraus. Von dem stammt die Energie. In seinem Interesse
liegt es, daß wir nicht umkommen und daß es uns gut geht. Alle Zensurmaßnahmen
hemmen diese Energie, diese Schöpferkraft, die früher "Gott" genannt
worden ist. Wir müssen diese Kraft zulassen in allen ihren Bereichen, im ganzen
Spektrum unserer Existenz. Wir müssen jede Erwartung aufgeben und einfach
vertrauen.
Das ist "der Sprung in
den Abgrund" bei Castaneda und in der esoterischen Literatur. Es scheint
lebensgefährlich. Ja, das Leben ist lebensgefährlich, aber anders wäre es kein
Leben. "Wer sein Leben behalten will, verliert es. Aber wer es hingibt,
gewinnt ewiges Leben" (Jesus). Das ist das ewige Leben. Wir haben keine
Wahl, als zu vertrauen. Alles andere ist anmaßender Wahnsinn. Die Lebenskraft
selber ist unsere Rettung, wenn es eine Rettung gibt. Alle Methoden können
höchstens zu dieser Einsicht führen, wo wir dann einfach springen müssen.
Die in Methoden und Zwecken
steckenbleiben, sind Sklaven. Aber: Auch sie werden gebraucht: "Die Guten
sind die Lehrer der Schlechten und die Schlechten sind das Kapital der
Guten" (Lao tse). Sie können noch nicht zu ihrer Selbständigkeit
durchbrechen und ermöglichen so den Stars ihr Leben als Stars. Sie lassen sich
führen und sie gehen auf alle möglichen Trips. Sie folgen ihrer Faszination und
so sind sie schon auf dem Weg. Solange die Faszination anhält, sind sie erlöst
von sich selber. Und wenn sie aufhört, dann, weil etwas anderes in den
Vordergrund gerückt ist: Das war es wieder nicht; dieses "nicht dies und
nicht das" der Hindus. Das alles ist es nicht. Wenn wir mit unseren Trips
durch sind, indem wir unserer Faszination folgen, kommen wir an den Wendepunkt,
wo wir zu unserem Eigenen durchstoßen. Von da an kann die Schöpferkraft in uns
wirken.
Wir müssen uns ihr zur
Verfügung stellen. Wir müssen nichts anderes als ihr Instrument werden. Und
dazu brauchen wir "Selbstdisziplin". Wir müssen an uns arbeiten und
Schwäche um Schwäche besiegen, aber wir brauchen es nicht tun. Sie gibt die
Energie. Wir brauchen nur die Hindernisse registrieren und zuschauen, wie
dieses Etwas in uns sie überwindet. Eine Kraft steigt in uns auf (von den
Hindus "Kundalini" genannt), aus unserer Unbefriedigtheit - sofern
wir diese Kraft nicht lähmen, indem wir uns Ersatzbefriedigungen schaffen. -
Natürlich möchte ich hier nicht wieder ein Vorurteil erzeugen, etwa gegen die
Selbstbefriedigung, denn die kann ganz gut sein, wenn man schon droht zu
erschlaffen oder auch sonst, wenn man Lust dazu hat. Wir dürfen uns nämlich
nichts vorenthalten, in der magischen Annahme, daß wir unsere Kraft aufbauen,
indem wir uns etwas verweigern, als "Opfer" gleichsam, indem wir eben
einen magischen Tausch machen, ein Geschäft mit Gott. Beachte das Magieverbot
in den Religionen: Mit Gott kann man keine Geschäfte machen, "Gott"
gibt uns so und so alles. Wir sind es, die diese Kraft blockieren durch unsere
Annahmen. Aber als reine Beobachter ohne eigenen Willen sind wir besser dran.
Dann bildet sich nämlich der Wille von selber. Er braucht nicht erzeugt zu
werden.
Wenn wir nur genau
beobachten, was geschieht, dann spüren wir, wie sich etwas in uns
zusammenbraut, das nach Aktion strebt. Und im kritischen Moment können wir auch
sehen, welche Ablenkkanäle wir einsetzen, um die Ausführung zu verhindern. Das
tun wir, solange wir anderen folgen. So lange sind wir hingerissen und wir
wissen nicht, wie uns geschieht.
Die Ablenkkanäle beobachten
nennt Castaneda "Pirschen", sich anschleichen und die Kräfte
beobachten, die da im Spiel sind. Und dann in die andere Richtung schauen, in
die Zukunft. Und da die Schritte sehen, in die unsere Energie sich projektiert.
Dann kommt der erste Schritt der Verwirklichung. Wir schaffen uns eine passende
Atmosphäre, in der der nächste Schritt leichter sein wird, weil sie auf ihn
aufbauen kann. Dann warten wir wieder auf den nötigen weiteren Antrieb. Es hat
keinen Sinn, die Entwicklung künstlich beschleunigen zu wollen. Als nächstes
kommt die Suche nach der besten Methode. Wenn wir, durch unsere Unzufriedenheit
dazu gebracht, den besten Weg gesehen haben, folgen vorsichtige Gehversuche auf
dem Neuland. Nun können wir entweder zurückschrecken und in das alte
Verhaltensmuster zurückfallen, wir können das Glück haben, daß uns der Sprung
gleich gelingt oder wir lassen uns durch einige Niederlagen nicht aus der Ruhe
bringen und wir machen einfach weiter. Was immer es ist. Wir brauchen nicht
eingreifen, es genügt, zu beobachten. Die Energie unserer Unzufriedenheit tut
die Arbeit. Sie treibt uns, wenn wir sie nicht blockieren durch unsere Sorge;
wenn wir unsere Intelligenz nicht gegen uns, sondern für uns arbeiten lassen,
eben indem wir die Zensur aufheben. Es geht ja schließlich darum, die Tyrannei
abzuschaffen.
Die Zensur blockiert die
Wahrnehmung unserer wirklichen Situation Sie erzeugt ein Wunschbild, das mit
der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die andere Seite des Wunschbildes ist die
Sorge, die das Tun ersetzt. Wir blockieren den natürlichen Antrieb durch unsere
Meinung, wir müßten die Energie selbst erzeugen, also durch Sorge, Angst,
Unglauben. Wenn wir dagegen die Abläufe nur beobachten, schaffen wir dem
natürlichen Antrieb Raum. Dann "steigt der Wille aus der Erde auf",
wie Castaneda es ausdrückt. Allein durch die Beobachtung wird die Zensur sich
verringern, denn sie funktioniert nur unbewußt. Und in jedem Fall werden wir an
die Grenze stoßen, an die Komplexe verdrängten Materials, in denen unsere
Blockaden wurzeln. Diese Komplexe müssen aufgearbeitet werden und das geschieht
durch die Beobachtung. Ohne einzugreifen, können wir nämlich sehen, wie sich
die Energie sammelt und wie sie in die verschiedenen Stufen fließt. Deshalb
sagen die Taoisten, unser Tun müßte sein wie das des Wassers, das durch
Nicht-Tun überall eindringt. Indem wir uns zusehen, entwickelt sich ein
Schauspiel vor uns. Die göttliche Energie gibt es uns. Sie gibt uns alles, wenn
wir sie nur beobachten. Wir brauchen nichts glauben, wir brauchen nur schauen,
und wir werden uns in Freiheit sehen.
Wichtig ist nur, daß der
Beobachter nicht vergißt, zu handeln, wenn die Zeit reif ist. Wie die Schlange
ganz bewußt und absichtlich zustößt, so müssen wir das auch tun. Das Beobachten
bringt unseren Organismus dazu, selbsttätig zu funktionieren. So sind wir frei
für den Augenblick, in dem wir eingreifen müssen. Darin liegt unsere Chance der
Freiheit. Unsere Natur treibt uns dazu, aber wir dürfen unser Schauen nicht zur
reinen Gewohnheit machen, sonst können wir die Chance nicht ergreifen, wenn sie
auftaucht. Darüber spricht Jesus im Gleichnis von den klugen und den törichten
Jungfrauen, die auf ihren Bräutigam warten. Dieses "die Chance
ergreifen" ist nicht mehr eigensinnig willkürlich, sondern es entspringt
der Situation. Ganz spontan geben wir unserem Körper, was er braucht. In der
Methode des Schauens liegt auch die Gefahr der Ermüdung, die eintritt, wenn wir
unsere Entwicklung künstlich beschleunigen wollen. Dann geht es uns wie den
törichten Jungfrauen, denen das Öl in ihren Lampen ausgeht. Wir müssen daher
gleichzeitig in die andere Richtung arbeiten, nach innen und in die
Vergangenheit, und die Hindernisse unserer Wahrnehmung beachten. Es sind unsere
uneingestandenen Bedürfnisse. Wir müssen ihnen zu ihrem Recht verhelfen - die
Rolle Johannes des Täufers - indem wir die Situationen aufsuchen, die uns gut
tun und die meiden, in denen unsere Chancen sinken. Das verlangt
Aufmerksamkeit, Achtung vor uns selbst und vor der Welt.
Das ist die eigentliche,
die ureigenste Angelegenheit des "Ich". Wenn wir uns dieser Aufgabe
nicht unterordnen, wird unser Organismus uns durch unangenehme Symptome
belehren ("Er wird zurechtgewiesen durch seine Minister in ihren
scharlachroten Roben", I Ching). Das ist "die Strafe Gottes".
Ein natürliches Phänomen: Wenn wir eine Maschine nicht entsprechend warten,
geht sie kaputt. Die Bedürfnisse, die Anweisungen des Organismus sind die Wegweiser
zum Himmel.
Da treffen sich Theokratie
und Anarchismus. Im automatischen Funktionieren ohne äußeres Gesetz.
Die ganze Welt ist ein
autopoetisches System. Sie erzeugt sich selbst. Wir sind erzeugt von ihr und
wir zeugen fort. Zu sagen, wir erzeugen uns selbst jedoch, wäre ein Irrtum, wir
erzeugen nicht uns, sondern die neue Welt. Dadurch sind wir Teil der
Schöpferkraft, eine Blüte, ein Stern, ein Licht. Wir sind dazu da, dieses Licht
zum Leuchten zu bringen. So erlösen wir Gott. Alles, was wir tun müssen, ist,
ihn zum Vorschein kommen lassen, denn er ist bereits da. Er lenkt uns ohnehin.
Wir können ihm trauen, denn er ist unsere Natur. Wir sind also hervorragend
ausgerüstet. Alle Sicherungen sind eingebaut. Wir brauchen keine Angst haben.
Wir werden aufgefangen, wenn wir fallen, bis wir unseren Weg gefunden haben. Es
ergibt sich alles von selbst. Unsere Erfahrungen sind notwendig, damit wir das
sehen lernen. Wir brauchen keinen Don Juan, wie Castaneda. Das Leben lehrt uns
sehen.
Wenn wir uns irgendwo
festgefahren haben, hilft nichts, als daß wir zum Bewußtsein unserer Situation
kommen durch diese Erfahrung. Dann sammelt sich in uns die Kraft, die uns
herausführt aus den gefährlichen Kavernen des Lebensstroms. Dann kommt Hilfe
auf uns zu, weil in uns die Bereitschaft entstanden ist, die Hilfe, die immer
schon da war, anzunehmen. Und sogar für den Fall der tatsächlichen
Ausweglosigkeit hat die Natur vorgesorgt, indem der höchste Schmerz umschlägt
in ekstatische Lust. Davon jedenfalls sprechen Menschen, die von wilden Tieren
angefallen und fast getötet worden sind und andere. Aber umso eher wir uns
selber trauen, umso weniger wahrscheinlich wird so eine Abkürzung unserer
Lebenszeit.
Am besten sind die dran,
denen das Vertrauen nicht schon als Kleinkinder verlorengeht. Die anderen
müssen es sich nämlich mühsam erst wieder erwerben. Der I Ching behandelt das
als "Arbeit an dem, was von den Eltern verdorben worden ist". Die
meisten von uns haben damit zu kämpfen. Diese Bearbeitung unserer Geschichte
können wir, sobald wir die Notwendigkeit erkannt haben, systematisch betreiben.
Es ist nämlich nicht so, wie heute manche "körperorientierte"
Menschen meinen, daß wir nichts planen oder berechnen dürften, daß wir unseren
"Kopf" ausschalten müßten. Unsere Vernunft soll uns den Weg weisen.
Aber dann, bei unserem konkreten Schritt, müssen wir frei sein, Alternativen zu
sehen und ihre Chance zu ergreifen. An diesem Punkt liegt die Gefahr der
Vernunft. Wenn wir die Regel nicht als relativ groben Wegweiser betrachten,
sondern absolut setzen, wird sie gefährlich.
Wenn wir einen Mangel in
uns spüren, müssen wir unsere Vernunft einschalten und einen Weg entwerfen mit
den besten Methoden, die uns zur Verfügung stehen. Es wäre ein Unsinn auf
Methode verzichten zu wollen aus einem ideologischen Spontaneismus heraus. Stan
Grof illustriert diese Notwendigkeit der Methode mit seiner Interpretation von
Selbstmorden oder von Fällen extremen Masochismus , die er traumatischen
Erfahrungen während der verschiedenen Phasen der Geburt zuordnet: z.B. einen
Tod durch Schlaftabletten dem Beginn der Konstruktionen der Gebärmutter, denen
der Embryo entkommen möchte durch einen Versuch der Rückkehr in den Zustand
bewußtloser Geborgenheit. Die gewaltsamen Selbstmordarten rechnet er zur 3.
Phase, dem Stecken im Geburtskanal. Die Schwierigkeit, die also dem spontanen
Selbstmord Zugrundeliegen, kann durch das Wiederbeleben der entsprechenden
traumatischen Situation behoben werden. Der Selbstmord ist also ein Kurzschluß,
der vermeidbar ist, wenn ein Mensch sich daran erinnert, daß es diesen Ausweg
gibt. Es muß nicht so weit kommen. Wir können Methoden anwenden, die es uns
ermöglichen, unsere Sicht der Welt grundlegend zu verändern. Das ist auch der
Punkt, an dem der heute gängige Konstruktivismus ansetzt, der zu demonstrativen
Zwecken die Bedingtheit oft vernachlässigt.
Unsere Welt ist ein Produkt
unseres Bewußtseins und unser Bewußtsein ist ein Produkt unserer Geschichte.
Wenn wir daher etwas ändern wollen, müssen wir die Prägesituationen erneut
durchleben. Dann sehen wir, daß wir jetzt eine neue Chance haben, zu wählen.
Und wir sehen auch, daß diese Wahl nicht eine Sache der Willensstärke ist. Der
Antrieb ist bei allen da, nur unsere Widersprüchlichkeit hebt ihn isometrisch
auf. Aber alle unsere Schwierigkeiten lassen sich namhaft machen. Und wenn wir
bewußt an einem Problem arbeiten, werden wir durch Versuch und Irrtum unseren
Weg finden. Aber nicht ohne unsere Vernunft. Die Vernunft wird uns sogar sagen,
daß es in gewissen Situationen bessere Ratgeber gibt als sie. Unsere
Bedürfnisse sind nämlich die oberste Instanz, die Vernunft dient ihnen nur.
Der Übergang von der
Motivation zur Intention ist also der Übergang von teils widersprüchlicher
Geprägtheit zur Wahl, vom Getriebensein durch äußere Einflüsse zur Steuerung
durch unsere natürlichen Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse sind bei jedem in ihrer
ganzen Bandbreite immer da, denn sie signalisieren, was unser Organismus
braucht. Aber bei den meisten von uns sind sie teilweise überlagert von "Prinzipien",
von alten Loyalitäten, die uns in eine Rolle drängen, die unserer Natur nicht
entspricht. Und an diese alten Abhängigkeiten schließen sich die neuen an.
Alles hängt zusammen in so etwas, das Grof "COEX-Systeme" genannt
hat, Gefühlseinheiten, die auch bestimmen, daß wir die gleichen
"Fehler" immer wieder machen. So lange jedenfalls, bis sie uns
gründlich auf die Nerven gehen. Dann beginnen wir den Widerspruch klarer
wahrzunehmen. Das ist der natürliche Weg.
Bei manchen sind die
Blockaden zu stark, als daß sie durchdringen könnten, aber für die, die die
Notwendigkeit dazu erkennen, gibt es Methoden. Eine Therapie hilft die Sache
aufzuklären und den Sprung zum Bekenntnis zu unserem Bedürfnis vorzubereiten.
Wagen müssen wir ihn dann selber. Wenn uns in unserer Kindheit das
Selbstvertrauen genommen worden ist und wir uns einfach nicht trauen, brauchen
wir zuerst die Zustimmung von außen, die "Streicheleinheiten", damit
wir etwas Neues wagen können. Die Wirksamkeit einer Therapiemethode hängt davon
ab, wo das Problem liegt, ob es durch ein Zuviel oder ein Zuwenig an Zuwendung
ausgelöst worden ist. Wenn etwas fehlt, muß es zuerst ersetzt werden. - Das ist
der Grund für den Erfolg so vieler religiöser Sekten: Sie bieten die Zuwendung
einer Gemeinschaft, zwar bigott und inquisitorisch, aber doch bestärkend ist
für jeden der sich diesem System unterordnen kann. Für die, die sich nicht
unterordnen können, gibt es andere Möglichkeiten, ihrem Problem auf den Grund
zu gehen: Das Gedächtnis, also unsere Geschichte, ist nach wenigen
Gefühlsgrundmustern geordnet gespeichert. Um sie lagern sich jeweils ähnliche
Erfahrungen an und verstärken die Wirkung des Grundmusters - das sind die
"COEX-Systeme". Unser natürliches Entwicklungsprogramm fördert die
traumatischen Blöcke zutage. Unsere Spannung wird so stark, daß der Zwiespalt
klar zutage tritt, aber noch nicht unbedingt die auslösende, prägende
Situation. Deshalb wiederholen wir die gleichen Fehler immer wieder. Und eine
Therapie, die z.B. nur die persönliche Geschichte seit der Geburt als prägend
anerkennt, kann Probleme nicht lösen, die während oder vor der Geburt
aufgetaucht sind, usw.. Wir müssen aber an den Grund unserer widersprüchlichen
Prägungen herankommen. Erst dann löst sich ihre determinierende Kraft und wir
können frei entscheiden, also den Fluß zulassen.
Ähnlich wie die Theosophen
beschreibt Ken Wilber eine Stufenleiter des spirituellen Aufstiegs und er
ordnet den verschiedenen Stufen bestimmte psychotechnische oder spirituelle
Methoden zu. Aber er mißversteht als eine "Höherentwicklung", was nur
ein anderer Bereich des Spektrums der Widersprüche in den Prägungen ist. Nicht
auf eine Höherentwicklung kommt es an, sondern darauf, daß jeder seine
Prägungen in Einklang bringt mit seiner Natur. Darüberhinaus ist die Methode
klar und jedes Sektierertum hat sich aufgehört. Manche Menschen werden schon
durch eine gewöhnliche "Beratung" erlöst oder durch die
Psychoanalyse, manche erst durch Raja-Yoga oder durch Zen-Praktiken. Einige
sind eben (ohne persönliche Schuld oder Minderwertigkeit) besonders vernagelt;
sie brauchen längere und schwierigere Methoden. Es ist aber nicht so, daß
schwierigere Disziplinen ein besseres Ergebnis bringen, vielmehr hat jeder
seinen Weg. Und aus spiritueller Gier einen schweren Weg zu wählen, ist
selbstmörderischer Wahnsinn. Jeder hat seinen Weg. Für manche sind es die
Anonymen Alkoholiker, für andere ein Kanarienvogelzuchtverein, die Musik,
einfach ihre Arbeit oder was immer. Es ist sicher nicht nur ein Vorteil, wenn
man wie Gopi Krishna siebzehn Jahre meditieren muß bis zum Durchbruch der
Klarheit und weitere zwölf bis zum Leben aus der Inspiration. Das ist eine
lange Zeit nicht gelebt. Andere leben nach ihrer Inspiration schon mit zwanzig
ohne diese Phase harter Disziplinierung. Der natürliche Weg ist, daß man sein
Ding tut. Man tut es gerne und lernt ohne Streß viel schneller. Es ist wie
Castanedas Don Juan sagt: "Auf dem Weg des Herzens brauchst du nicht hart
arbeiten". Einen "objektiven" Himmel erreichen zu wollen, ist
Wahnsinn. Wer hat denn den "höheren" Himmel erlebt: Mike Jagger, Gopi
Krishna, Arnold Schwarzenegger, der heilige Franziskus oder Einstein? Jeder
Anspruch auf die höchste Stufe ist absurd. Es gibt nur das Leben aus der
spontanen Lebenskraft oder eine Blockade im Energiefluß. Leider erreichen die
meisten von uns, wie es scheint, das Leben aus der Inspiration nie. Sie richten
sich dauernd nach "objektiven" Kriterien, d.h. nach den Kriterien der
anderen. Deshalb haben wir diese selbstmörderischen Waffenarsenale. Wir werden zugrundegehen
an unseren Widersprüchen, wenn wir sie nicht bewußt und direkt zu lösen
versuchen, wenn wir nicht ganz zu unserem Selbst stehen. Nur indem wir uns an
uns selber orientieren, können wir spontan leben.
So stehen wir ständig
zwischen zwei Notwendigkeiten: Einerseits müssen wir unsere Vernunft einsetzen
und unser Leben methodisch lenken, andererseits müssen wir offen sein für eine
totale Veränderung; einerseits also brauchen wir Disziplin, andererseits müssen
wir es fließen lassen. Auch wir stehen in dem Dilemma: Welle oder Korpuskel. Es
durchzieht alles. Yin und Yang, die Kraft unserer Identität und die Kraft des
Alls in Interaktion, "Ohne Schweiß kein Preis", heißt es oder
"per aspera ad astras". "Es gibt nur einen Preis, lauft so, daß
ihr ihn gewinnt" (Paulus von Tarsus). Es ist die alte Weisheit: Hilf dir
selbst, dann hilft dir Gott. Wir müssen unser Ding tun, gleich welche
Schwierigkeiten zu befürchten sind. Auf diesem Weg schmeckt unser Schweiß
besser, jede Künstlichkeit dagegen erzeugt ein Gift in uns. Wir brauchen uns
nicht künstlich disziplinieren durch Askese, es gibt einen natürlichen Weg der
Erlösung.
Wovon wollen wir uns lösen,
wem sind wir versklavt? Buddha hat es "Gier" genannt, die Bibel nennt
es "Mammon" oder "das goldene Kalb". Es ist eine Angst, daß
wir nicht genug kriegen könnten, weil wir nicht genug gekriegt haben von dem,
was nötig gewesen wäre, weil wir zur Angst erzogen worden sind. Angst
determiniert unsere soziale Rolle, die "natürliche" Kastenordnung,
die Hackordnung, die Hierarchie eines Rudels. Die Rangordnung unserer Eltern
hat sich auf unser Selbstbewußtsein übertragen. Und im Maß ihrer Angst müssen
wir uns einen Ersatz suchen für unser Eigenstes, das wir unter diesen Umständen
nicht durchsetzen können. So entstehen die Süchte und unser
"Charakterpanzer". Die Zurückhaltung ist nicht mehr spontan, sondern
zur Gewohnheit geworden.
Die Religionen bieten eine
Versöhnung an, indem sie uns (im besten Fall) eine echte Autorität vorstellen,
der gegenüber unser eingeprägtes Unterordnungsprogramm angebracht ist. Aber
solange wir diese Autorität nicht wirklich gefunden haben, spüren wir in uns
den Drang "gegen den Stachel zu lecken", wie die Bibel es ausdrückt,
die Autoritäten herauszufordern, zu sehen ob ihre hypnotische Kraft wirklich so
groß ist, wie sie sich anmaßen. Das ist unsere Suche nach Wahrheit, nach wahrer
Kraft, bis wir unseren Meister finden - oder vielmehr gerade durch diese Suche
den Meister in uns erwecken. Ohne die Suche wäre es nicht möglich, weil wir ja
uns selber zuerst kennenlernen müssen. "Erkenne dich selbst". Dann
wissen wir, was wir wollen, dann brauchen wir "nur" noch die Mittel
finden. Dann erreichen wir selbst diese hypnotische Kraft, diesen natürlichen
"Magnetismus", der alles für uns in Bewegung setzt.
Wenn Macht nicht auf dieser
Kraft, sondern auf Waffengewalt beruht, ist die Ordnung gestört. Die heutige
hypnotische Kraft, die die Waffen erzeugt, ist ein Dämon. Es ist die Angst, daß
wir nicht so gut sein könnten, wie wir glauben, daß die Wahrheit an den Tag
kommen könnte. Wenn Amerika wirklich glauben würde, daß sein Weg so gut ist,
könnte es seine Waffen verschrotten. Dann wäre der amerikanische Lebensweg
nicht aufzuhalten. Auch nicht durch eine kommunistische Machtübernahme, die
vielmehr gerade dadurch total verwandelt werden würde: zu einem rationalen
System des Ausgleichs der Interessen. Und für die Kommunisten gilt das gleiche.
Wenn sie wirklich an ihren Weg glauben würden, brauchten auch sie keine Waffen
mehr. Der Glaube, daß Waffen Frieden sichern, ist ein Wahn. Waffen sind
Unterdrückungssysteme und wen unterdrücken sie? Nicht die Reichen, so viel
steht fest; es sind heute vor allem die Menschen in der dritten Welt. Sie
werden mit Waffengewalt abgehalten, in die ersten Welten vorzudringen. Die Waffen
sind ein Schutzwall vor den "wilden Horden des Südens" und vor ihrer
Konkurrenz auf dem Markt, die man zusätzlich noch dadurch neutralisiert, daß
man sich durch Waffengewalt und Bestechung auch das Geschäftsmonopol in diesen
Ländern sichert. So engagiert sich Amerika in Nicaragua, El Salvador, Chile,
Libanon usw., die Sowjetunion in Afghanistan und in den Ostblockstaaten. Was
geschaffen werden könnte, wenn die Rüstung überflüssig würde! Wahre Wunder.
Und wie die Abrüstung im
Großen Frieden und Wohlstand bringen kann, so ist es bei uns persönlich im
Kleinen. Wenn wir unseren Panzer verschrotten, haben wir endlich die volle
Energie zur Verfügung. Was könnte sich mehr lohnen? Was für ein Angst hindert
uns? Was haben wir zu verlieren, wenn wir endlich unserem Willen zum Durchbruch
verhelfen? Woher kommt diese Angst, die uns zurückhält? Aus unserer Erinnerung,
aus Erfahrungen der Vergangenheit? Was hat uns damals solche Angst eingeflößt?
Die Protestanten meinen,
sie läge schon in unserer Natur; die Katholiken dagegen sehen, daß es
"nur" die Erbsünde ist, von der wir erlöst werden können. Die Gefühle
unserer Eltern haben uns geprägt und die Fehler der Eltern rächen sich nach dem
Alten Testament bis in die 5. und vierte Generation. Das ist die Erbsünde. Sie
ist ein Handicap und gleichzeitig das Programm unserer Erlösung, denn die
Schwächen müssen aufgefüllt und die Überschüsse ausgegeben werden, damit die
Energie frei fließen kann. Unsere Angst ist also zuerst einfach ein Faktum,
dann wird sie zum Programm. Unsere gegenwärtige Situation, so schlimm sie sein
mag, ist der Ausgangspunkt. Da hilft kein Jammern. Wir beginnen mit einer
realistischen Betrachtung unserer selbst: Was wir gern tun, was wir
beherrschen, wovon wir beherrscht werden. Darauf bezieht sich unsere Angst,
Wenn wir sie einmal nicht mehr nur unbestimmt, diffus, sondern mit ihrem
jeweiligen Gegenüber wahrnehmen können, sind wir am Wendepunkt, denn von da an
können wir das Notwendige tun.
Unsere Natur lenkt uns zu
dieser realistischen Betrachtungsweise durch ihre "Methode" der
"Belohnung" und "Bestrafung", unmittelbar durch unsere
innere Richterinstanz und mittelbar durch die Wirkungen auf unseren Körper.
Wenn wir erst durch unseren Körper zum Bewußtsein gebracht werden, kann bereits
großer Schaden entstanden sein. Deshalb ist es eminent wichtig, die unserem
Körper eingeborenen unmittelbaren Signale des "Guten" und des
"Schlechten" wahrnehmen zu lernen. Was "innere Stimme"
genannt wird, ist jene Instanz in uns, bei der alle Ansprüche unseres
Organismus entsprechend dem Bedarf der verschiedenen "Teile"
angemeldet sind. Wenn wir aufmerksam sind, können wir jede Frustration eines
Teilbedürfnisses entsprechend abgelten. Unser "inneres Auge" sagt
uns, was wir brauchen, wenn die Funktion dieses Auges nicht durch Einbildungen
behindert wird. Tatsächlich ist die Sicht der meisten von uns behindert durch
solche Einbildungen.
Wir können uns helfen,
indem wir der natürlichen Anziehung folgen und Menschen suchen, die so leben,
wie wir leben möchten. In dieser Konfrontation können wir unsere Vorstellungen
korrigieren, denn wir sehen, was es braucht und wir können dann ermessen, ob
wir das auch geben wollen und können. So tasten wir uns vor, bis unser eigener
Wille erwacht. Das geschieht, wenn wir uns nicht mehr innerlich bekämpfen,
sondern allen Ansprüchen zu ihrem Recht verhelfen wollen. Das war die
ursprüngliche Bedeutung der Götterverehrung - doch in dem Augenblick, in dem
unsere Wertschätzung unserer natürlichen Bedürfnisse zur Verehrung bestimmter
Götter umstilisiert wurde, kam Entfremdung auf, ein Schematismus, und das kann
Natur natürlich nie gerecht werden. Aber im Ursprung gibt es für jeden Anspruch
unseres Organismus einen Gott und es kommt darauf an, allen entsprechend zu
dienen und zu opfern. Die spätere Moral hängt zusammen mit der didaktischen
Schematisierung, einem Ausdruck der Angst. Rationalisierung setzte ein. Das
eine bekämpfte das andere. Der Schatten entstand, also der Zwiespalt. Kain hat
Abel erschlagen, weil dieser Zwiespalt ihn dem Abel unterlegen machte. Die
Moral selbst hat Abel umgebracht und auch Jesus und alle die anderen. Es ist
ein didaktisches Mißverständnis. Auch die Opfer von Krankheiten sind Opfer der
Moral, die ja den Menschen gebietet, Teile ihrer selbst zu unterdrücken. Dabei
ist Moral an sich nicht schlecht; schlecht wird sie erst, wenn ihre didaktische
Schematik für die Wirklichkeit gehalten wird. Solange sie nur Aufmerksamkeit
ist, ist sie notwendig.
Aufmerksamkeit ist die
Anfangsbedingung. Von da an versöhnen wir uns mit uns selber und bringen das
Verdrängte ans Licht. Das ist die Arbeit des "New Age", unseres Neuen
Selbst, das beginnt, wenn wir unschuldig dastehen, indem wir uns geben, was wir
brauchen. Dann sind wir auch frei zu geben. Es gibt keinen Anlaß mehr für ein
Zurückhalten, denn es gibt keine Angst mehr. Was wir verbergen, macht uns Angst
und Sorgen. Die Angst, daß etwas herauskommen könnte über uns, verbraucht sehr
viel Energie. Alle Selbstvorwürfe, die wir uns machen, zehren an unseren
"Nerven", an unserer Lebenskraft. In Wirklichkeit haben wir nur noch
nicht begriffen, daß es da einen Teil von uns gibt, der andere Bedürfnisse hat
als Geltung. Irgendwann rebelliert dieser Teil und belehrt uns durch die
"Fehler", die er uns machen läßt, die aber eigentlich nur Folgerichtigkeiten
sind. Wenn wir etwas unterdrücken, entsteht ein Symptom. Ein Symptom ist eine
Art Anzeige auf unserer vollautomatischen organischen Anzeigetafel, wie am
Bedienungspult einer komplizierten Maschine.
Meditation kann das
Erkennen dieser Störfaktoren beschleunigen. Aber sobald sie erkannt sind,
müssen wir das Denken einsetzen, damit wir das neuerkannte Bedürfnis
befriedigen können. Damit ist der Zweck der Meditation erschöpft, außer jemand
meditiert aus Spaß daran. Das Wichtigste aber ist, daß wir dann tun, was wir
erkannt haben, daß wir uns nicht von den Sirenen der Visionen verführen lassen,
oder gar von unserer Angst vor dem Guru, der die letzte Verführung sein sollte.
Manche natürlich lieben das Leben als Schüler eines Guru oder eines Ordens,
warum auch nicht? Aber die, die einen Guru aufsuchen, um auf ihrem persönlichen
Gebiet weiterzukommen, müssen den Guru schließlich verlassen, um wirklich
weiterzukommen. Für den Guru ist es natürlich, daß er versucht zu
hypnotisieren, zu verführen, weil er ja überzeugt ist von seinem Weg. Dadurch
kann er zum "letzten Test" werden. Dann kommt das Eigene oder man
bleibt Sklave des Guru - was immer.
Als nächstes müssen wir dem
Selbst, das so hervortritt, das nötige Handwerkszeug verschaffen. Unser Ich ist
dann ein Instrument und damit in seiner natürlichen Rolle. Was uns, biologisch
gesehen, dann lenkt - wenn wir die Kontrolle über das Instrument, das Hirn, den
Körper haben - ist das Muster der Bedürfnisse, die aus unserem
Entwicklungsprogramm erwachsen. Wir haben eine Koordinationsinstanz in uns, die
alle Interessen überblickt und das jeweils Vordringliche vorläßt und genau
registriert, wann es genug ist.
Wir brauchen uns daher
keine Sorgen zu machen, wegen unserer Süchte und Abhängigkeiten. Wir brauchen
unseren Freiheitsdrang nur wirken lassen. Nur zusehen, wie er wirkt. Dann kommt
der Punkt, an dem wir unseren Standpunkt denen der anderen gegenüberstellen und
keine Versklavung mehr zulassen. Die Anonymen Alkoholiker sind durch so eine
Erfahrung hindurchgegangen. Sie haben sich gehenlassen bis zum Tiefpunkt, Und
als es hieß Tod oder Leben, haben sie sich für das Leben entschieden. Etwas in
ihnen hat sich gewehrt und sie haben sich befreit. Das ist der natürliche Weg.
Das heißt nicht, daß wir
uns alle bis an den Tiefpunkt sinken lassen müssen; wir können aus jeder Lage
heraus die Linie bis ans Ende ziehen und so mit unserem Tod konfrontiert
werden. Wir tun das normalerweise automatisch, so daß wir es kaum noch merken.
Die Instanz, die das tut, habe ich vorhin "Richterinstanz" genannt,
eine automatische Computation unseres Hirns. Hier spielt das "Jüngste
Gericht", immer jetzt. Jetzt ist unser Tod die Konsequenz unseres Lebens.
Er hat eine bestimmte Form, ein Muster. Er ist gegenwärtig in einem Symptom,
nicht verkleidet, sondern offenbar. Unsere Lebenshaltung formt unseren Tod. Wir
müssen diese gegenwärtige Entscheidung zwischen Leben und Tod in ihrer vollen
Bedeutung erfahren. Denn wir werden sterben! Was ist dann unser Leben vor dem
Tod? Haben wir überhaupt gelebt oder haben wir bloß alles über uns ergehen
lassen, diesen ganzen Kampf ums Dasein. Asketen sind nicht zu beneiden, sondern
zu bedauern. Das Leben geht an ihnen vorbei, während sie sich unsterbliche
Verdienste erwerben wollen - außer sie sind echte Forscher, die systematisch
eine neue Welt erforschen, getrieben von ihrer natürlichen Neugier. Askese als
Mittel zu einem Zweck muß sich rächen, entweder in Selbstzerstörung oder in der
Zerstörung anderer, was die Geschichte auch bestätigt.
Was ist also der ursprüngliche
Sinn der Enthaltsamkeit? Es braucht eine Anstrengung. Das ist die Grundform der
Askese: "Jeder nehme sein Kreuz auf sich". Bewußtsein ist
anstrengend, jedenfalls in der Phase, in der wir von unbewußten Motivationen
umschalten auf bewußte Intention. Wenn wir die Verantwortung für unser Leben
übernehmen, gibt es Dinge zu tun, Arbeit.
Es gibt Tricks, diese
Arbeit schmackhaft zu machen. Die Gefühlsbindungen einer Religion können das
bewirken, genauso wie eine Verliebtheit ungeahnte Kräfte hervorbringen kann.
Auch die Höllenangst bewirkt einiges. Wir heute brauchen allerdings nicht auf
diese mythologischen Tricks zurückgreifen. Eine realistische Betrachtung
unseres Schicksals kann uns den gleichen Dienst erweisen, denn die Realität
enthält Himmel und Hölle. Es kommt schließlich darauf an, zu fühlen, was im
Augenblick notwendig ist. Die Energie für die Ausführung liegt in der
Notwendigkeit selber. Was wir tun müssen, ist, wachsam sein. Damit uns auch die
feinen Unterscheidungen gelingen, ohne daß uns eine Vorstellung in die Quere
kommt. Wenn wir den Tod und das Leben sehen, die aus unseren Handlungen
resultieren, haben wir ein Kriterium. Und das wird automatisch verglichen mit
den sich verändernden Zuständen unseres Organismus. Die Resultante aus dem
Vergleich bezeichnet uns den optimalen Kurs. Es ist einfach eine Sache der
Wahrnehmung, der Offenheit für die Wirklichkeit, die Wahrheit. Die Wahrheit ist
in uns. Wir können sie wahrnehmen. Die Wahrheit wird uns frei machen. Aber nur
die ganze Wahrheit, die immer ein yin und ein yang, Offenheit und Aggression
enthält. Das schwarze und das weiße Loch zusammen ergeben das Nichts, das wir
sind. Wenn beide oszillieren, fließt die Energie, dann sind wir frei.
Der Fluß hat zwei
Bedingungen: Die erste ist die Lebensenergie selber, die immer da ist; das
zweite aber ist, daß sämtliche Funktionen des Instruments ausgebildet sein
müssen. Was wir als den spontanen Fluß bewundern, ist entweder angeboren oder
in der eigenen Lebenszeit ausgebildet. Jede Tätigkeit verlangt Beherrschung.
Wie das Kleinkind nach und nach spielerisch lernt, seinen Körper zu gebrauchen
durch tausendfache Wiederholung, so bildet auch ein Erwachsener durch
tausendfache Wiederholung eine Fähigkeit aus. Wenn wir das Wort
"Spontaneität" hören, vergessen wir leicht, daß für jede Tätigkeit in
unserem Hirn ein Koordinatensystem geschaffen werden muß (vgl. M. Feldenkrais).
Damit wir aber beim Lernen keinen inneren Widerstand erzeugen, der unsere
Bemühungen zunichte macht, müssen wir dem "Weg des Herzens" folgen, unserer
natürlichen Neugier. Wir müssen die Dinge ausprobieren, die uns interessieren.
Keine Berechnung kann uns sagen, was es ist. Wir können aber die Berechnung
brauchen, wenn wir es wissen, damit wir den besten Weg finden. Aber bei jedem
Schritt müssen wir haltmachen und uns vergewissern, ob wir auch noch immer den
Weg des Herzens gehen, sonst könnten bald die Mittel den Zweck verdrängen. Wir
wollen ja unser Glück, den freien Fluß der Energie, und nicht als Sklaven einer
Idee, eines Dämons enden. Aber Ausbildung ist notwendig, auch die Übung von
Einstellungen. Bei den Völkern der Steinzeit erfüllen diese Aufgabe die
Übergangsriten, in den Hochreligionen wird sie jeweils von den
Religionsgründern verkörpert. Die richtige Einstellung, die Intention, die Ausrichtung
auf unser Ziel, geht uns nämlich leicht verloren, weil es viele Ablenkungen
gibt, viele Versuchungen, wie auf dem Weg des Odysseus. Die Moslems stellen die
richtige Einstellung, in der die Energie fließen kann durch
"Mohammed" dar. "Mohammed" heißt nämlich übersetzt:
"der, dem man dankt". In allen Religionen ist es letztlich das.
Einer, dem man dankt, setzt seine Energie ein und er hilft anderen, ihre
Energie einzusetzen. Es geht um die Schöpferkraft, daß wir die Nachfolge Gottes
antreten und nicht die des Verweigerers, den die Religionen "Teufel"
nennen, denn diese Straße erschöpft die Energie.
Die Alternative ist nicht
"gut" oder "böse", sondern Schöpferkraft oder Verweigerung,
Fluß oder Zurückhaltung. "Tu, was du willst, aber tu es ganz", sagte
der große englische Heilige Thomas More. "Ach wärst du doch heiß oder
kalt, aber weil du lau bist, will ich dich ausspeien aus meinem Mund"
(Apokalypse). Der Verweigerer ist nicht heiß und nicht kalt, das Feuer ist da,
aber es wird gedämpft durch Bedenken, durch Vorurteile. Deshalb sagt im Koran
Gott zu Luzifer "Ich weiß etwas, das du nicht weißt". Der Verweigerer
weiß nicht, daß die Verweigerung niemand mehr schadet als dem Verweigerer
selber. Das Wort "Verweigerung" könnte allerdings zu
Mißverständnissen Anlaß geben, denn oft ist Verweigerung auch notwendig: Den
Sirenen müssen wir uns verweigern, wenn wir nicht wollen, daß unsere Knochen an
ihren Gestaden verbleichen. Ja, die Verweigerung muß alles betreffen, außer
eines, die Wahrheit, die uns in jedem Augenblick vor die Wahl stellt: Tod oder
Leben. Hier liegt unsere Freiheit.
Daß wir uns verweigern,
d.h. daß wir unser Leben nicht leben aus Angst oder aus Trotz, stellen wir
irgendwann in unserem Leben zuerst einmal fest, aber sobald wir unsere
Situation erkennen, wird es zu unserer Schuldigkeit. Unser "Ich" muß
zu der Einsicht kommen, daß das und nichts anderes seine Lebensaufgabe ist: die
Aufgabe der Angst und des Trotzes. Dann beginnt die Arbeit das zu entfalten,
was in uns angelegt ist, unser magisches Erbe.
Viele mißverstehen die
Magie als ein Wundermittel, das bewirken soll, daß sie, zu Hause sitzend und
die entsprechenden Formeln aufsagend und Riten abspulend, etwas herbei oder
wegzaubern könnten. Aber das ist nur die Verlockung, mit der ein bestimmte Eingangstor
zur Wirklichkeit bemalt ist, um die zu verführen, die noch nicht begreifen, daß
Riten und Formeln für jeden Zauber anders sein müssen! anders, wenn ich ein
schönes Auto will, als wenn. ich Präsident werden will. Für alles ist ein
Ritual festgelegt und in allen Fällen ist zusätzlich Improvisation nötig. Der
Ritus wirkt erst, wenn wir ihn im Schlaf beherrschen. Dann nämlich erst kann
der Geist die Führung übernehmen. Und dann ist unser Tun magisch, ganz gleich
was es ist. Wenn wir etwas gegen jemand unternehmen wollen, laufen wir immer
Gefahr, an eine stärkere Magie zu geraten. Die stärkste Magie hat die Unschuld
und jedes private Interesse muß an ihr zerbrechen.
Es gibt keine Magie gegen
die Wahrheit. Ihr kann keine Kunst widerstehen. Die Magie des Könnens hat ihre
Schranke. Sie liegt in dem, was die Buddhisten "Gier" nennen und die
Christen "Egoismus". Was sich so laut gebärdet, ist in Wirklichkeit
eine Angst. Es ist wie mit der persischen Geschichte von dem Spatz, der ein Pfau
sein möchte. Wir können so eine Prozedur nicht heil überstehen, aber wir können
daraus lernen und sie rechtzeitig abbrechen, wenn es an unsere Substanz geht.
Der "Streß" und die ihr entsprechende Sucht sind das Warnsignal, das
jeder wahrnehmen kann. Wenn uns unsere Arbeit zu anstrengend wird, wollen wir
etwas Unerrreichbares, das einfach unserer Natur nicht entspricht. Nicht die
Anstrengung ist das Gefährliche sondern die Anstrengung für einen eitlen Zweck.
Auch für den Nichtehrgeizigen gibt es Anstrengungen - manchen werden sie sogar
als "übermenschlich" erscheinen - aber es gibt keinen Streß, denn er
kennt sich selber, d.h. er hat weder Angst noch Eile. Es kommt von selber, ohne
unser "Verdienst"; es ist "Gnade", es liegt in unserer
Natur, daß wir unsere Fähigkeiten entwickeln. So wie es für eine Rose natürlich
ist zu duften. Das ist die wahre Magie. Auf dem Weg stehen auch alle
"übernatürlichen" Kanäle offen. Wir können zur rechten Zeit das für
uns Nötige erfahren, über alle Entfernungen hinweg. Was wir brauchen kommt zu
uns, weil wir es zuinnerst wollen. Unser ganzes Wesen ist auf eines
ausgerichtet. Wir sind da. Konzentriert. Wir "sehen" und
"hören" und wirken in alle Dimensionen. Gedankenlesen, Hypnose und
alle magischen Künste lernt man am besten nicht durch die Übung solcher Künste,
sondern durch Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung. Das ist das Einzige,
das zählt. Nicht "was sollen wir wollen?", sondern "was wollen
wir wirklich?" Das ist die Frage. Was bewegt unser Handeln? Was bewirkt
es? Bekommen wir, was wir wollen oder täuschen wir uns immer wieder? Welche
Wünsche sind offen? Was haben wir, wenn sie erfüllt sind? Sind wir dann erfüllt
oder sind wir ein Faß ohne Boden? Wo waren wir echt glücklich in der
Vergangenheit? Von was haben wir uns da leiten lassen? Es ist auch jetzt da.
Unser innerster Traum ist unser Wille, unser spezielles Programm. Es ist in uns
gespeichert. Wir brauchen es nur wirken lassen. Es treibt uns wie ein Kind zu
immer größerer Beherrschung der Welt, aber nicht im "egoistischen" Sinn,
sondern im Interesse der Gattung.
"Den Schwachen Kraft
geben" lautet das Programm. Der Weg zur Kraft führt über die Weggeben der
Kraft, das "Give-Away" der Indianer. Hingabe ist die tiefste Mystik,
das "Paradox", die "Dialektik" des Lebens. Gewinnen können
wir nur, indem wir unsere Kraft den Schwachen weitergeben; wenn wir also nicht
auf uns selber bezogen handeln, sondern "nach außen" orientiert, an
der jeweiligen Notwendigkeit. Was wir zu tun haben ist unser Innerstes
herausbringen. Dabei gibt es Kampf gegen alles, was uns unsere
Daseinsberechtigung streitig machen will, gegen das, was früher "das
Böse" genannt worden ist. Es sind Menschen und menschliche Eigenschaften,
die die Wirklichkeit auf ihren beschränkten Horizont begrenzen wollen, die das
volle Spektrum der Wirklichkeit nicht anerkennen wollen, die sich verrannt
haben in Ideen. In diesem Kampf allein können wir auch unsere eigenen
Ideologien erkennen und auflösen. Die Welt setzt uns zu jeder Zeit genau den
Widerstand gegenüber, den wir für unsere Entwicklung brauchen. "Das
Wahrzunehmende ist für den Wahrnehmenden bestimmt", sagt Patanjali. Es ist
weder ein Zufall noch eine mysteriöse Fügung, daß wir so lange in
Schwierigkeiten sind, so lange wir unsere Schwäche nicht erkannt und gelöst
haben. Die Schwäche zu stärker ist unser biologisches Programm. Das haben
ehedem die Propheten verkündet im Namen eines ewigen Gesetzes. Es gilt wie eh
und je. Frei sein heißt, unsere Liebe zum Durchbruch bringen. "Kümmert
euch zuerst um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, alles andere wird euch
nachgeworfen werden", sagt Jesus. Was verdeckt unsere Liebe? Wo ist sie
uns abhanden gekommen? Welche Rücksichten stehen davor?
Die Auflösung des Trotzes
geht unter Tränen vor sich. Es tut uns leid und wir zeigen unsere Trauer.
"Selig die Trauernden", sagt Jesus daher, "denn sie werden
getröstet werden". Das Jenseits, in dem sie getröstet werden, ist das
Jenseits des Trotzes. Da liegt der Himmel. "Egoismus" ist Trotz, alle
auf uns selbst bezogenen Aufmerksamkeit, alles für uns privat haben wollen,
kommt aus der Hölle des Trotzes. Trotz führt nicht in die Hölle, er ist die
Hölle, das Jenseits des Himmels. Beide sind auf der Erde hier und jetzt.
Dennoch führt der Weg in den Himmel durch Tod und Wiedergeburt, denn der Himmel
ist im Jenseits vom Standpunkt des unerlösten "Ichs" aus gesehen. Die
Schwelle bildet der Tod des trotzigen "Ich", dieser Instanz, die
glaubt, alles unter Kontrolle haben zu können, die sich ständig beweisen möchte,
um für besser gehalten zu werden und die zu diesem Zweck oft die vitalsten
Bedürfnisse zurückdrängt. Ich meine das vitalste Bedürfnis ist nicht Sex,
sondern die Selbsterkenntnis und in dem Maß, in dem dieses Bedürfnis
unterdrückt wird, wird das Leben selbst unterdrückt und beschädigt. "Was
nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, wenn er dabei seiner
Seele schadet".
Es gibt ein biologisches
Entwicklungsprogramm im Menschen, das von. der Zeugung bis zu Tod wirkt, wie es
von Anfang der Welt an in allem gewirkt hat. Dieses Programm steuert zur
Selbsterkenntnis, kollektiv und individuell. Selbsterkenntnis bedeutet totale
Demut, die nüchterne Wahrheit, das Sehen der ganzen Wirklichkeit ohne
ideologische Filter, selbst ohne Sprache. Da sieht das "Ich" sich in
seiner wahren, untergeordneten Rolle, die aber dennoch wichtig ist und zwar so
wichtig, wie sonst nichts auf der Welt für uns. Das muß uns klar sein. Wir
müssen uns durchsetzen in unserer Eigenart! Aber dieses Durchsetzen muß Regeln
folgen; wir sind biologische Automaten, die bestimmten Gesetzmäßigkeiten
gehorchen. Wenn wir das nicht beachten, geraten wir immer wieder in
Schwierigkeiten. Wir können uns unmöglich durchsetzen, wenn wir die Welt nicht
nehmen, wie sie ist. Die Regeln sind bekannt. Wenn. wir uns über sie erhaben
fühlen, dann nur zu unserem Schaden. Wir müssen die Regeln zuerst einhalten,
dann können wir sie überwinden, denn dann haben wir gelernt, unsere Bewegungen
zu beherrschen. Dann können wir improvisieren. Improvisieren ohne Kenntnis des
Instruments ist nicht möglich. Nicht zu sehen, daß wir ein Instrument sind, das
nach gewissen Gesetzmäßigkeiten funktioniert, ist verhängnisvoll. Das heißt
aber nicht, daß wir die Gesetzmäßigkeiten lernen müßten in einer Schule. Sie
sind uns angeboren in Form von "archetypischen" Situationen. Aber bei
den meisten von uns ist die Wahrnehmung durch Vorstellungen blockiert. Und
dieser Mauer können wir tatsächlich von beiden Seiten gleichzeitig zuleibe
rücken, indem wir die Gesetze äußerlich lernen und bewußt beachten und
gleichzeitig innerlich aufmerksam werden auf die auftretenden inneren Impulse,
bis beides zusammenfällt und von selber läuft. Bei den "primitiven"
Völkern wird diese Korrektur erreicht durch die Übergangsrituale. Wir müssen
heute selber danach sehen.
Wir müssen uns öffnen für
den Einfluß "Gottes", für dieses innere Programm, das auf Freiheit
drängt, auf die Überwindung der Entropie. Das ist ja das Wesen des Lebens. Die
Weisheit der Unschuld kann daher unterscheiden zwischen gut und schlecht; die
Fantasie zeigt uns den Weg und mit unserem Willen, als unser "Ich",
als wir selber, müssen wir den Weg gehen, im Bewußtsein des Risikos, die
Propheten haben dieses Risiko vorgeführt bis zur Aufgabe ihres Lebens für
diesen inneren Willen, diese Lebenskraft, die im Selbstopfer aufs Hellste
erstrahlt und über sich hinaus wirkt und damit weiterlebt nach dem Tod und
aufersteht in Nachfolgern wie Elias in Johannes oder Moses und Abraham in
Jesus.
Es ist immer einfach der
alte Geist, der sich in uns ausdrücken möchte. Manche reden da von
"früheren Leben". Sie meinen genau das. Der alte Geist erscheint in
uns in vielen seiner Gestalten. Diese Gestalten machen unsere biologische Natur
aus; sie bilden unser biologisches Gedächtnis, das unsere ganze Evolution
enthält. Manche können sich einzelne Stationen dieser Evolution bewußt machen,
die vertikale Ebene der Zeit. Sie sprechen von "früheren Leben".
Andere nehmen die gleichzeitige Verbundenheit mit allem wahr, die
Synchronizität. Die Identifikation mit einer historischen Persönlichkeit oder
einem Zeitgenossen zeigt eben unsere Verbundenheit, unsere "Kette",
wie die Sufis sagen würden. Es ist eine fast unendliche Reihe von Erfahrungen,
aus deren spezieller Konstellation wir bestehen. Jede einzelne Gestalt taucht
bei jedem Menschen auf, aber mit anderen Schwerpunkten. Trotz aller Vielfalt
sind wir daher gleich. Ungleich sind wir aber vor allem im Grad unserer
Selbsterkenntnis.
Selbsterkenntnis wird
immens gefördert durch Menschen, die uns durchschauen, weil wir uns in ihnen
spiegeln und daher selbst sehen können. Das ist die Magie der Meister. Nichts
Menschliches ist ihnen fremd, daher erkennen sie alles. Unsere Miene verrät
unsere Gedanken, unsere äußere Haltung sagt alles über uns. Der Meister liest uns
wie ein Buch. Solange wir uns nicht selber sehen können, werden wir uns
abschirmen, indem wir den Meister verleugnen oder verhimmeln. Aber der Meister
wird uns, wenn er kein Scharlatan ist, immer wieder enttäuschen, bis uns klar
ist, was wir sind. Die Disziplin seiner esoterischen Lehre erzeugt den nötigen
Druck. Er drängt zur Selbsterkenntnis. Bis dahin brauchen wir Methoden, dann
ist alles klar. Dann gibt es keine äußeren Meister mehr, sondern nur noch den
inneren, die "anima naturaliter christiana", den "spirituellen
Willen (= "hinma", Ibn Arabi), die Kraft der Evolution. Da stehen wir
im Dienst dieser höheren Macht und darin, und nur darin, sind wir frei. Diese
Macht, dieses innere Programm drängt uns zur Autonomie. Wir sind unzufrieden,
solange wir das Leben nicht beherrschen und wir beherrschen es nicht, solange
wir uns nicht in seinen Dienst gestellt haben. Im Alten Testament heißt der
Auftrag "macht euch die Erde untertan" im Neuen Testament
"werdet Menschenfischer", im Koran "Werft euch nieder vor dem
Menschen und betet ihn an", im I Ching "der überlegene Mensch duldet
nicht, daß sich bei ihm Güter anhäufen. Er gibt sie nach unten weiter".
Das ist ein natürlicher Drang, der Drang der Evolution, der Drang zum
Durchbruch. Dagegen wirken die Kräfte der Trägheit, der Entropie, die eben das
Untaugliche, das die Hürde nicht überwinden kann, ausmerzen und insofern der
evolutiven Kraft helfen, als sie die Bausteine zur Verfügung stellen.
Die Gefahr der Trägheit ist
real. Die Hölle gibt es wirklich. Es beginnt schon beim Wettlauf der Spermien
zum Ei. Millionen bleiben auf der Strecke. Sie kehren zurück zur Erde, die die
Elemente wiederaufbereitet für einen neuen Einsatz im Zyklus des Lebens. Und im
Leben des Menschen wiederholt sich das Spiel. Etwas in uns drängt und wir
wissen, wenn wir ihm nicht nachkommen, sind wir des Todes. Das Drängen
konzentriert sich besonders in den Übergängen zwischen den Lebensphasen und
immer wieder werden wir mit den selben Problemen konfrontiert, bis wir sie
gelöst haben, bis wir uns tatsächlich durchgesetzt haben.
Jeder hat eine andere
"Berufung", ein anderes Talent und genau das ist zu entwickeln, darin
liegt unsere Chance und unser Dienst gleichzeitig. Beides ist das Gleiche.
Demut ist es, die Chance zu ergreifen und unser Stolz muß darin liegen, auf
diese Weise dem höchsten zu dienen. So stirbt unser "Ich" nur um
augenblicklich wiedergeboren zu werden, aber nicht mehr eigensinnig, sondern
mit der Kraft der höchsten Autorität, nämlich unserem Selbst, das sich jetzt verwirklichen
kann, während es vorher durch viele Rücksichten behindert war, die,
rationalisiert, als unser spezifischer Eigensinn in Erscheinung traten. Wir
hatten aus unserer Not eine Tugend gemacht und deshalb in ihr verharrt. Jetzt
sehen wir die Untugend und wenden uns von ihr ab. So werden wir als Krieger der
Freiheit in die "Streitscharen Gottes" aufgenommen, die die Schöpfung
vorantreiben. Aber der Weg führt nicht über die Askese. Die führt nur zur
Einbildung. Sie ist ein Eigensinn, ein Strebertum. Wir müssen die Dinge sein
lassen, wie sie sind und uns ihrer bedienen. Wie könnte jemand sein Glück
erreichen und dabei verleugnen, was er ist? Wir haben ein Instrument höchster
Präzision zur Verfügung, aber dieses Instrument hat seine Regeln, seine
Bedürfnisse. Wenn wir sie verleugnen und alle unsere Energie bündeln auf ein
Ideal hin, ein vorgestelltes Bild, dann müssen wir damit rechnen, daß wir
irgendwann zusammenbrechen, weil die 'Wirklichkeit sich auf Dauer nicht
verleugnen läßt. Und ein Ideal an ihre Stelle setzen - und sei es das höchste
Ideal - ist Götzendienst. So lange es nicht mit unseren tatsächlichen Gefühlen
übereinstimmt, ist es nur spirituelle Gier. Wir können uns nirgends
hineindrängen. Wir brauchen eine Berufung. Dann haben wir keine
Schwierigkeiten. Dann öffnen sich die Tore zu gegebener Zeit: wenn wir bereit
sind.
Es gibt eine indische
Geschichte von einem Yogi, der schon dreißig Jahre meditiert und schon so lange
still sitzt, daß die Ameisen seine Beine zerfressen haben. Da kommt ein Gott
vorbei. Der Yogi fragt ihn, wie viele Leben er noch brauchen wird, bis zu
seiner Erlösung. Der Gott sagt "vier Leben" und läßt den Yogi
bestürzt zurück. Er geht weiter und trifft einen anderen, der singend
daherkommt. Der Gott unterhält sich mit ihm und weil der Wanderer nicht danach
fragt, fragt der Gott ihn, ob er denn gar nicht wissen wolle, wie viele
Wiedergeburten er noch erdulden müsse. Der Wanderer lacht und sagt "von
mir aus noch fünfzig oder hundert". Der Gott wundert sich und sieht: Der
ist schon erlöst.
Warum nicht den Herrgott
einen lieben Mann sein lassen? Warum muß er der drohende Verdammer sein, vor
dem man sich in Acht nehmen muß? Kein Wunder, daß da der Satan eine stärkere
Attraktion besitzt. Höchste Zeit daß er sich die halb erfrorenen Seelen in seine
gemütliche Hölle holt. Wenn man sich schon diszipliniert, dann doch höchstens
um diese Starre abzuschütteln, die unsere himmlische Ideologie uns gebracht
hat, um offen zu werden für die Wirklichkeit unserer selbst und unserer
Umgebung. Es ist nicht getan mit der Einsicht in die kosmische Einheit, die wir
vielleicht einige Male gehabt haben. Wir müssen auch aus dieser Einheit heraus
leben, indem wir genau unsere Position einnehmen, weil sich unsere Fähigkeiten
nur da optimal entfalten können. Genau wo drückt dich der Schuh? Wenn du es
weißt, kannst du etwas unternehmen.
Wir müssen unterscheiden
lernen zwischen Idealen, realen Gefühlen und Sentimentalitäten. Allein auf die
realen Gefühle kommt es an. Alles andere ist nur eine Form des Nachtrauerns
einer vergangenen Zeit, die wir dadurch nicht wiederbeleben können. Vorwärts
geht der Weg. Auch ein Ideal ist nach rückwärts gebunden. Es hängt an der
Situation, die es uns eingeprägt hat und an dem magischen Glauben, wir könnten
damit diese Situation aufrechterhalten oder wieder herbeiführen. Es ist eine
Angst, ein Mißtrauen uns selber gegenüber, ein Mißtrauen der gottgegebenen
Natur gegenüber. Wir setzen etwas, ein Bild an die Stelle der Wirklichkeit. Was
herauskommt, wenn einer der Wirklichkeit folgt und das Ideal fortwirft, ist
etwas, das aussieht wie ein Ideal, das aber als Ideal niemals erreicht werden
kann. Ein Ideal ist immer künstlich, unser Körper ist aber real. Das heißt
nicht, daß wir keine geistigen Mittel einsetzen dürften, etwa das Gebet oder
Rituale oder andere Übungen. Wir dürfen alles benützen, was uns gut tut. Die
Welt steht zu unserer Verfügung. Aber bedienen müssen wir uns selbst nach
unseren realen Bedürfnissen. Sich da etwas auszusuchen, das gar nicht zu uns
paßt, wäre dumm. Deshalb sagt Jesus: "Seid schlau wie die Schlangen, aber
einfältig wie die Tauben". Die Einfalt rät uns, das auszusuchen, was uns
paßt, die Schlauheit zeigt uns den Weg. (Es umgekehrt zu machen wäre
verhängnisvoll). Es ist allerdings schwer, wieder einfältig zu sein, wenn man
schon alles intellektualisiert hat. Da müssen wir dann auch unsere Vernunft
überzeugen. Demütig sein heißt, die Dinge nennen wie sie sind, sich nichts
einzubilden, was nicht ist. Und wenn du nicht religiös bist, dann bist du es
nicht. Auch gut. Jeder hat seinen Platz. Und die, denen es nicht gut geht,
haben den ihren noch nicht gefunden. Mit "gut gehen" meine ich nicht
unbedingt das physische Wohlbefinden, aber die Instanz, die die Gesamtlage
beurteilt, muß sagen "es ist gut", "es könnte nicht besser
sein". " Inschaallah" sagen die Moslems und wenn sie es meinen,
ist es gut. In dem Geist hat sich Jesus aufhängen lassen. Er war auf alle Fälle
besser dran als Judas, der sich selber aufgehängt hat. Judas wollte Karriere
machen. Jesus wollte nur er selber sein, ein Menschenfischer. Und die Netze,
die er ausgeworfen hat, haben eine ganz schöne Menge Fische eingefangen - die
dann gebraten und verspeist wurden, als sie sich Jesus nicht mehr zum Vorbild
nahmen und es aufgaben, selbst Menschenfischer zu werden.
Wie stelle ich nun den
Bogen her zwischen dieser Mystik und der Gehirnphysiologie? Es gibt ein
natürliches Lernprogramm in jedem Menschen, das von Anfang an wirkt. Niemand
braucht dem Baby die Körperbewegungen beibringen. Es strampelt einfach und
gewinnt dabei ein Bewußtsein der Muskelbewegungen, die es dadurch nach und nach
kontrolliert einsetzen kann. Kinder können stundenlang einen Gegenstand drehen
und wenden, ihn in den Mund nehmen, ihn durch das Zimmer werfen und so
programmieren sie automatisch ihren Körper. Wenn diese natürliche Lernbewegung
nicht unterbrochen wird, kommen sie an den Punkt perfekter Körperbeherrschung.
Ganz natürlich wird das erreicht, was Erwachsene sich dann oft in mühsamem
Training aneignen wollen, woraus aber nie etwas wird, solange ihr Ehrgeiz sie
plagt. Gute Musiker "üben" nicht, sie spielen mit ihrem Instrument,
bis sie es beherrschen. Üben ist der verkehrte Weg. Das Lernen ist dort leicht,
wo uns unsere Neigung unterstützt, aber der Ehrgeiz macht es höllisch schwer. W
das Spiel fehlt, ist das Leben erloschen. Die warten nur noch auf den Tod -
eine nicht allzu erstrebenswerte Perspektive. Und aus dem erhofften Himmel nach
dieser Plage kann da leider auch nichts werden: "Die hineingehen ohne
hochzeitliches Kleid werden hinausgeworfen werden in die Finsternis"
(Jesus). Das Vergessen wird ihre Erlösung sein. Aber die Vergangenheit kommt
nicht wieder. Versäumt ist versäumt. Lassen wirs gut sein und schauen wir, was
ist. Jetzt ist unsere Gelegenheit zu leben.
In der Bibel heißt es:
"Wenn es die Auferstellung der Toten nicht gibt, dann laßt uns essen und
trinken, denn morgen sind wir tot". Und wenige nur begreifen, daß die
Auferstehung der Toten gerade darin besteht, daß wir unser Gluck nicht mehr
beschränken auf Essen und Trinken, daß das dann nebenrangig ist. Wer nur für
seinen Bauch lebt und alles andere verleugnet, ist schon tot. Eine Auferstehung
gibt es für ihn nur, wenn. er das volle Leben wieder an sich heranläßt. Und das
schließt auch Sentimentalitäten und Dummheiten ein, die sich auch erst dann als
solche offenbaren können, wenn man sie wirklich zuläßt. Friß daher, bis dir
schlecht wird, wenn dir danach ist, dann lernst du deine Grenzen kennen. Du
brauchst nur auf deine Gefühle achten, dann wird sich bald herausstellen, was
du wirklich willst oder was du noch alles willst und wie du das alles unter
einen Hut bringen kannst. Du kannst tun, was du willst, das ist die
"Freiheit des Christenmenschen", aber du mußt es tun. Wenn du dir
nicht hilfst, wer soll dir sonst helfen? Es gibt nur einen Weg zur Hilfe und
wir können diesen Weg in uns selber aufspüren. Er ist uns vorgezeichnet in
unserem Entwicklungsprogramm, das eben tausend Fehlversuche vorsieht, durch die
wir uns langsam, wie ein Baby, herantasten an den perfekten Kurs. Das ist der
Weg. "No blame".
Es gibt Menschen, bei denen
dieses natürliche Lernprogramm nie gestört worden ist. Jesus war einer von
ihnen. Diese Menschen sehen ganz klar, was in den anderen läuft. Deshalb gibt
es die Wunderheilungen. Menschen werden erkannt. Das Unbewußte wird bewußt.
Seine hypnotische Kraft löst sich auf und der Lahme geht. Selbsterkenntnis ist
der Schlüssel. Wenn der Querschnittsgelähmte den Rest seines Lebens damit
verbringt, wieder gehen zu lernen, wird er es schaffen. Schwierigste Dinge
werden möglich durch den Einsatz des Lebens. So verwandelt sich der Mensch in
einen Gott, in einen unsterblichen Helden.
Nicht jedem ist es gegeben,
daher kann nicht jeder den Heldenweg anstreben. Aber alle sollen wissen, daß es
diese Möglichkeit gibt und daß die Freiheit nicht in diesem oder jenem Ideal
liegt, sondern in unserer realen Situation und in den Impulsen, die von ihr
ausgehen. Die Impulse nehmen wir wahr in Form von Gefühlen, die eigentlich
Beziehungen sind, von einer Situation zu etwas in uns. "Lichtfäden"
sagt Castaneda. Ein "Lichtbündel" tritt aus unserem Bauch aus und
berührt die Dinge. Japaner und Chinesen nennen es das "Ki". Diese
Beziehungsfäden sind die Wahrheit. Es ist ein ganzes Netz, das uns mit der Welt
verbindet und das sich mit jedem Schritt ändert. Es gibt keine Lehre als die
der spontanen Anziehung, der Neugier. Das war die Lehre Jesu und letztlich ist
es auch die Lehre Buddhas, denn die Aufmerksamkeit führt auf diesen Weg.
Wenn du also einem
abscheulichen Laster frönst, dann tu, was du tust, einmal voll freiwillig ohne
Angst und ohne Trotz, dann wird das Laster seine zwingende Kraft verlieren und
nach einiger Zeit wird es von dir abfallen wie die alte Haut von der Schlange.
Folge deiner Neigung und fühle, was sie bringt, dann wirst du im Fall einer
Illusion schnell zur Besinnung kommen und auf alle Fälle schneller als mit
jeder künstlichen Methode deinen natürlichen Weg finden.
Die Kurve des Fortschritts
läuft hier anders: Einer, der aus Zwang lernt, wird anfangs schnelle
Fortschritte machen, aber es wird zunehmend mühsamer; einer, der durch Versuch
und Irrtum lernt, wird am Anfang viele Fehler machen, aber dann wird es besser
und besser. Und von Anfang an gibt es keinen Streß. Beim ehrgeizigen Lernen
bestärken die Fehler den natürlichen Widerwillen, bis der Versuch endgültig
fehlschlägt. (Ich mußte in der Schule Klavier lernen und noch zehn Jahre nach
meiner letzten Klavierstunde war es mir ein Genuß ein Klavier im Garten
verrotten zu lassen). So lernen wir, daß das nicht der Weg ist. Unsere Neugier
wird uns allerdings ebenso ehrgeizige Ziele stecken und wir müssen sie auch
anstreben, solange wir den Ehrgeiz haben. "No blame". Der Weg selbst
wird uns zeigen, daß es so nicht geht. Von vornherein den Ehrgeiz als
"Untugend" ausschalten zu wollen, ist der noch größere Ehrgeiz. Wie
groß immer unser Ehrgeiz und Wahnwitz sein mag, "no blame". Wir
müssen ihn erst einmal akzeptieren, erst einmal voll hinter dem stehen, was wir
tun, dann erst erweist es sich, ob es tatsächlich nur Ehrgeiz ist oder eine
echte Berufung, ein Weg des Herzens. Wenn es nur eine Illusion war, wird es von
uns abfallen und wir werden weiser sein.
Es gibt keine Regel als
"Tu, was du willst und sieh". Erst im Nachhinein können wir
feststellen, daß unsere Natur selber den optimalen Weg für uns hat und daß auf
diesem Weg die moralischen Gebote tatsächlich wie statistische Naturgesetze
gelten: Wenn jemand eine Fähigkeit nicht im Sinne des Ganzen einsetzt, sondern
sich privat bereichern will, wird er diese Fähigkeit dadurch hemmen, seine
schöpferische Kraft wird versiegen und er, der frei sein hätte können, wird
wieder ein Sklave sein. Viele Künstler haben das mitgemacht, Schauspieler,
Sänger, Ärzte und andere. Anstatt offen zu sein, haben sie einen Bereich für
sich zurückbehalten. Das Gleiche bei Ananias und Saphira in der
Apostelgeschichte, wo dem Petrus nichts zu sagen bleibt als "die Füße
derer, die deinen Mann begruben, sind schon vor der Tür und werden auch dich
hinaustragen". Diese Regel ist keine Moral, sondern eine Realität, die wir
wahrnehmen können - oder müssen, wenn wir uns der Einsicht verschließen.
Unser natürliches
Lernprogramm lenkt unser Interesse von uns weg auf die Beherrschung der Welt.
Wir sind "Abbilder Gottes", wir sind dazu berufen Schöpfer zu sein.
Das ist unser natürlicher Weg, denn die Kraft, die uns treibt, die das Leben
vor dem Tod auszeichnet, ist eben die göttliche Evolutionskraft, die
Schöpferkraft, die durch uns ihr "Werk" vorantreibt. Nun sind wir
schon wieder bei der Mystik, aber beobachten können wir diese Kraft schon in
der Physik: wie die freie Kraft des Lichts sich konkretisiert über die
verschiedenen Stadien der Materie und des Lebens und sich schließlich in uns
selbst erkennt. Was in uns läuft, ist nichts Neues, sondern die alte Formkraft,
die alle Dinge durchdringt und verwandelt . Sie tut es, wenn wir uns nicht
einbilden: "Wir taten es". Denn dann haben wir plötzlich die Last zu
tragen und bald werden wir feststellen, daß sie allzuschwer ist, daß wir es
nicht schaffen.
Die Gnade setzt nicht nur
die Natur voraus, wie die alten Theologen sagten, die Natur ist die Gnade, wenn
wir sie wirken lassen. Die Lebenskraft findet den Weg von selber. Wir müssen
nur aufpassen, daß wir uns durch unsere Fehlversuche nicht in Panik stürzen
lassen. Wir müssen unser Vertrauen bewahren in allen Situationen. Daran und
allein daran erinnern sich die Sufis in ihrem Dhikr. Diejenigen, die daraus
eine Mystifikation machen und sich ausrechnen wollen, welche Stufe sie schon
erreicht haben, haben noch einen langen Weg vor sich bis in die Freiheit, bis
zum Frieden des Islam. Es gibt keine Stufen, es gibt keine spirituellen
Verdienste, es gibt nur den einen Weg, auf dem alle gleich und Brüder sind.
Einer ist für den anderen da. Das ist die natürliche Ordnung und es ist bedauerlich
für die, die sich exkommunizieren - ich meine nicht von der Kirche, sondern von
ihrer Natur. Die Front der Gläubigen und der Ungläubigen geht quer durch alle
Bekenntnisse.
Wer kann dann beurteilen,
ob ich den richtigen Weg gehe? Nur ich allein. In mir ist eine Stimme, die sagt
"richtig" und "falsch", ja es sind viele Stimmen und wir
müssen sie alle hören und unterscheiden lernen, indem wir sie anhören. Dann
kennen wir uns. Dann ist unser Weg klar. Was immer die anderen
dazu sagen mögen. Wir
wissen, daß unser Weg richtig ist. Wir spüren die Übereinstimmung, den
unbehinderten Kraftfluß, der überall eindringt, wo er will. "Der Geist
weht, wo er will", wenn wir ihn nicht abblasen, weht er in uns.
Die Tiere leben noch voll
in dieser Spur. Die Menschen verlieren periodisch immer wieder ihren Kontakt.
Gerade diese Herausforderung aber führt sie zur höchsten Erkenntnis und
Hingabe, in der die Kraft sich selber erkennt, "o felix culpa", sagt
deshalb die katholische Kirche in der Osternacht. Damit sind wir wieder zurück
beim Licht, von dem alles seinen Ausgang genommen hat. Damit ist die
Selbstentfremdung Gottes aufgehoben. Hier ist Freiheit: In der Determination,
der die Kraft unterliegt, indem sie genau die der Situation entsprechende
Antwort gibt: wie die Noten der Musik genau in der richtigen Reihenfolge kommen
und die Stimmung des Zuhörers beeinflussen. So geht die Kommunikation, die
Konversation, das Vogelgezwitscher, das Ineinander der Vegetation, die
Verteilung der Klimazonen, der Wolken, der Meeresströmungen, der
Planetenbahnen, der Bewegungen der Milchstraßen wie der Elektronen. Wenn die
Situation paßt, kann das Elektron springen und wir auch. Wir gleichen die
Spannungsunterschiede aus. In der Spannung ist die Kraft zur Veränderung.
"Wir leisten unser bestes, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen",
sagt Don Juan bei Castaneda, "und ich wünsche es mir nicht anders".
Wenn wir das einmal sicher
erkannt haben, haben wir keine psychologischen Probleme mehr, sondern nur noch
physikalische und viele unserer Probleme, die wir in der Vergangenheit für
psychologische gehalten haben, waren ebenso nur physikalische. Wir haben uns
ins Bockshorn jagen lassen von der psychologistischen Ideologie unserer Zeit.
Wir suchen und grübeln, wo denn unser Fehler liegt und beschuldigen und quälen
uns, weil wir keine Fortschritte machen, dabei haben wir nur auf unsere
Ernährung nicht geachtet oder uns darin von einer Ideologie leiten lassen,
statt von unserem echten Gespür. Und daneben haben wir für das, was uns
entgangen ist, kompensieren müssen.
Oft haben unüberwindlich
scheinende Probleme eine überraschende Auflösung. Allerdings sind es
psychologische Gründe, die uns die physikalische Lösung nicht gleich erkennen
lassen. Wir sind noch nicht bereit, das Leben einfach in die Hand zu nehmen und
so zu gestalten, wie wir es wollen. Wir sind noch determiniert, unsere Absicht
frei zu sein, hat sich noch nicht kondensiert. Wir probieren alles, um die
einfache Einsicht zu vermeiden, daß wir es tatsächlich selber tun müssen, daß
uns keine Technik die Arbeit abnehmen kann. Und so lange wir in diesem Zustand
verharren, finden wir zwar viele Genossen, aber keiner hilft uns, denn keiner
kann uns helfen. Der beste Dienst, den sie uns leisten können, ist der, daß sie
uns aussaugen, bis wir erwachen, bis unserer Erkenntnis keine Wahl mehr bleibt,
bis die Entscheidung Leben oder Tod klar vor uns steht, wie vor dem Anonymen
Alkoholiker am Tiefpunkt seiner Trinkerkarriere. Das ist der Wendepunkt. Aber
die Arbeit liegt noch vor uns. Denn bis jetzt haben wir uns gehen lassen. Und
jetzt kommt auch schon wieder die Versuchung, die Disziplin ad absurdum zu
führen, sie so weit zu treiben, daß das Lernen kein Spiel mehr ist. Diese
Gefahr müssen wir beachten. Dann steht uns nur noch die Unausgebildetheit
unserer Fähigkeiten im Wege und wir beginnen im Spiel Bereich um Bereich zu
erforschen und zu erobern. "Wenn ein König diesen Punkt erreicht hat,
braucht er keine Angst haben vor einer Veränderung; dann soll er sein wie die Sonne
am Mittag" (l Ching). Dann gibt es keine Eile mehr. Dann haben wir das
Vertrauen, daß sich alles recht lösen wird. Wir sind, wo wir sind. Und es ist
recht so. So schlecht es sein mag. Der Schmerz selber sorgt für Abhilfe. Wir
brauchen ihn nur wirken lassen. Dann ist auch der Schmerz nicht mehr, als er
ist. Er ist keine Drohung mehr, sondern eine Verheißung: die Verheißung der
Erlösung, die aus dem Schmerz selber geboren wird.
"Du fühlst Dich
schlecht, weil Dein Körper Dir zeigt: Er will es besser haben. So arbeitet das
Leben in uns. Es will das Angenehmste" (Shinmei Kishi, ein japanischer
Seiki-Meister). In dem Bewußtsein gibt es keine psychologischen Probleme mehr,
sondern nur noch physikalische. Wir brauchen nur noch das arrangieren, was
unser Körper will, was er uns zeigt. Natürlich lassen sich nicht alle seine
Probleme von heute auf morgen lösen. Aber der Weg ist jetzt klar. Nun gibt es
keine einander bekämpfenden Parteien mehr in uns. Wir arrangieren unsere
Beziehungen so, daß sie angenehm werden, indem wir allen das Ihre geben.
"Dem Kaiser, was des Kaisers und Gott, was Gottes ist" (Jesus).
"Teile und Herrsche".
So ist es, wenn der Trotz
sich aufgelöst hat. Dann stehen wir in einer neuen Welt. Alles ist verwandelt.
Wir erleben wie die Leute uns ganz anders behandeln, wie sie uns willkommen
heißen. Abgesehen von einigen Verstockten werden sie uns in jeder Hinsicht
helfen, so weit es in ihrer Macht steht, sobald wir sie um Hilfe bitten. Und
sie warten nur darauf, daß wir sie um Hilfe bitten, denn darin sind sie
anerkannt. Natürlich kostet die Hilfe etwas, aber wenn wir die rechten Leute
bitten, nämlich die, die uns wirklich etwas zu geben haben, ist der Preis die
Sache wert. Solange wir von der Meinung ausgehen, daß wir einen Anspruch auf
Hilfe hätten, können wir nichts bekommen. Es gibt nichts umsonst. Alles Leben
ist Geben und Nehmen. Wir müssen auch die anderen leben lassen, erst dann sind
wir frei. So wird das christliche gleichzeitig mit dem kommunistischen Ideal
erfüllt, das heißt "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen
Bedürfnissen."
So ist es, wenn wir die
Gier überwunden haben. Damit ist aller Ziel erreicht. Allen Ansprüchen
gegenüber jedoch folgt logisch das "Fuck You" (selbst den eigenen
Kindern gegenüber), während jedem Bedürfnis ganz selbstverständlich abgeholfen
wird. Das ist der normale Gang der Welt, Wir haben aufgehört zu projizieren.
Wir sind frei.
Es geht immer um den Weg
der Selbstverwirklichung. Was muß ich tun und was muß ich meiden, um zur vollen
Entfaltung zu kommen? Aber die Antwort darauf kann nie in einem einfachen
Rezept bestehen. Wir müssen wissen, daß jeder Satz zugleich wahr und falsch
sein kann. Das ist kein philosophisches Theorem, sondern eine beobachtbare
Tatsache, die wir der Bequemlichkeit halber allzugern vergessen. Die Welt kann
nicht in absoluten Wahrheiten definiert werden. Sie ist ein Gefüge von sich
ständig wandelnden Beziehungen. Unsere Frage lautet daher nach dem Weg, diese
Beziehungen zu gestalten. Denn das werden wir tun, sobald wir zu uns selbst
gekommen sind, sobald wir die volle Komplexität unserer Wirklichkeit akzeptiert
haben. Es ist dies eine Angelegenheit der Physik, nämlich daß wir unserem
Körper zu jeder Zeit genau das geben was er unbedingt braucht, nicht mehr und
nicht weniger; dann kann unser Körper uns genau in die Position führen, in die
wir passen. Auf dem Weg herrscht Friede, auch wenn es ein Kampf ist. Im
Zen-Buddhismus entstehen aus dieser Stimmung die bekannten Haikus, die das
Gefühl der Faktizität ausdrücken, das aus der Erleuchtung hervorgeht.
Hier sind auch unsere
psychischen Barrieren einfach physikalische Fakten. Sie machen uns keine Angst
mehr, wir können sie nüchtern betrachten. Und wir können systematisch an ihnen
arbeiten, statt ihnen einfach ausgeliefert zu sein. Hier kommen die Techniken
zu ihrem Recht, die uns an den Ursprung der Hemmung zurückführen und uns über
die Schwelle hinweghelfen. Das war gemeint mit der sokratischen Hebammenkunst
und mit der Funktion des Pontifex, des Brückenbauers. Heute sind die besten
Methoden bereits wissenschaftlich untersucht und wir können relativ leicht die
richtige Methode und den richtigen Führer für uns entdecken. Es ist nur in
Sonderfällen ein Guru, ein religiöser Meister; gewöhnlich ist es einfach ein
Mensch, der das Gebiet, das wir kennenlernen wollen, beherrscht. Es wäre daher
ein Unsinn mit Sexualstörungen zu einem schüchternen Psychiater zu gehen -
außer wir haben vor zu viel Offenheit noch zu viel Angst. Aber dann sollten wir
uns auch nicht allzuviel erwarten. Außerdem sollten wir uns überlegen, ob der
Grund unseres Problems nicht einfach in einem "künstlichen" Bedürfnis
liegt, das uns durch die Mode in die Schicht unseres Geltungsbedürfnisses
eingeprägt worden ist unter dem Motto "freier Sex ist in" oder
dergleichen. Diese Dinge passen nicht für jeden. Manche sind von Natur aus
monogam. Sie sollten sich genausowenig draus machen, wie die notorisch
Promiskuen. Sie sollten nur auf ihr ehrliches Gefühl hören. Dann gibt es keine
Gefahr. Dann ist alles richtig, Wir brauchen uns nicht schuldig fühlen, wenn
wir soziale Normen verletzen. Wir brauchen keine Angst haben, denn die beste
soziale Norm haben wir bereits in unseren Genen: Unsere "Natur"
veranlaßt uns zur Einfühlsamkeit etc.. Wenn sich also unsere Angst, schuldig zu
werden, auflöst, weil wir sehen, wie das alles gekommen ist und weil wir uns
daher frei für unsere Vorliebe entscheiden können und darauf vertrauen können,
daß unsere schlechten Gewohnheiten beizeiten aufhören werden - nämlich sobald
wir genügend begriffen haben, daß sie uns wirklich schaden - wenn wir also die
Angst, schuldig zu werden, verlieren, klärt sich unser Sinn und unsere Miene
und unsere Körperhaltung. Und das ruft Reaktionen hervor in uns und in unserer
Umgebung, die den Prozeß unserer Entwicklung weiter beschleunigen. Das
"Willkommen", dem wir begegnen, stärkt unser Vertrauen; wir wagen
mehr und mehr zu sein, was wir sind.
Ein schwarzer Amerikaner
erzählte mir von einem Freund, der seit einiger Zeit nur noch in einem der
"Baths" von San Francisco lebt ("Baths" sind Häuser mit
verschiedensten Bädern und dunklen Räumen für Sex in fast vollständiger
Anonymität, nur noch Körper an Körper). Er geht nur heraus, um Geld zu
verdienen, "und du brauchst nicht meinen, daß das ein schlechter Mensch
ist", sagte er. "Er folgt einfach seinem Gespür, das Gott ihm gegeben
hat." Ich war verblüfft, aber mir ist ein Licht aufgegangen bei dieser
Geschichte: "Und wenn sie Gift trinken, wird es ihnen nicht schaden",
sagt Jesus. Wem wird es nicht schaden? Dem, der seinem inneren Gespür gegenüber
ehrlich ist. Er kann alles tun. Und auch die Geschlechtskrankheiten treten am
ehesten dort auf, wo einer mit sich selber uneins ist. Ein Krankheit braucht
eine Schwäche um einzuhaken. Diese Schwäche kann rein physisch sein oder psychisch,
ein Zweifel.
Deshalb müssen wir unseren
Zweifeln nachgehen und herausfinden, was es damit auf sich hat. Und damit ist
schon der Weg zu unserer Entfaltung beschrieben. Indem wir unsere eigenen
Zweifel überwinden, werden wir fähig, anderen mit den ihren zu helfen. So
wechseln wir von der Opferrolle zum selbstverantwortlichen Leben. Die Freiheit
beginnt nicht erst dort, wo sämtliche Zweifel überwunden sind, sondern bereits
an dem Punkt, an dem wir unsere Zweifel nüchtern als unsere Aufgabe annehmen. Irgendwie
haben wir das immer schon getan. Immer schon haben wir ausprobiert, wie weit
wir gehen dürfen und wo es unserer Gesundheit zu schaden beginnt. Aber oft
haben wir den Schaden schon gesehen und doch nicht stehenbleiben können oder
nicht weitergehen können, obwohl das Problem des allzulangen Stillstands schon
offensichtlich war. Nun sehen wir die Zusammenhänge und die Quellen der Kraft.
Das Leben bewegt sich in Wellen. Nun wehren wir uns nicht mehr dagegen. Wir
können warten bis die Kraft da ist. Das braucht Flexibilität. Aber keine Angst.
Das ist nicht eine neue moralische Forderung. Wir sind von Natur aus flexibel.
Und wenn wir erstarrt sind, gibt es einen Weg zur Lösung der Starre. Und sobald
wir anfangen, ihn zu gehen, hilft uns das Universum. Das ist ein Naturgesetz.
Dem, der es versucht, begegnen Sympathien - natürlich auch Anfeindungen von den
Zurückbleibenden, aber deren Zustand kennen wir; wir sind aus ihm
hervorgegangen, wir brauchen daher nicht zurückschauen. Wir dürfen es auch
nicht, sonst erstarren wir zur Salzsäule beim Anblick der Zerstörung, die sich
an den Zurückbleibenden vollzieht. Das ist der Sinn der biblischen Geschichte
von Sodom und Gomorrha. Wie Odysseus mit dem Schwert müssen wir die Schatten
abwehren, die Zombies, die uns auf ihrer Ebene zurückhalten wollen. Und wieder
brauchen wir keine Angst haben, denn es sind nur "Phantome", wie Don
Genaro bei Castaneda sagt, die uns auf unserer "Reise nach Ixtlan",
ins "Nirvana", nicht wirklich aufhalten können. Es gibt keine
Wegweiser da hin, aber wir kennen den Weg, denn wir sind "schon einmal
dort gewesen". "In einem anderen Leben", würden manche sagen.
Dieses andere Leben aber ist in uns. Wir sind ständig verbunden mit diesem
anderen Leben, mit der ganzen Welt, bzw. dem Ausschnitt, der für uns in Frage
kommt. So kann Edgar Cayce seine Rezepte diktieren und Joan Grant ihre
Geschichte von einem ägyptischen Leben in der Pharaonenzeit erzählen. Was uns
betrifft, ist da. Ein echtes Bedürfnis wird auch beantwortet.
Die Moslems erzählen die
Geschichte von Abraham, den Gott in ein Feuer stellte, um ihn zu testen.
Abraham beklagte sich nicht und er betete auch nicht um Erlösung. Gott sandte
daraufhin den Erzengel Gabriel zu ihm ins Feuer, um ihn zu fragen, warum er
nicht bete. Abraham antwortete: "Gott weiß doch, daß ich hier bin. Wenn er
will, wird er mich befreien". Gott hat ihn natürlich befreit, bei so viel
Vertrauen!
Etwas Ähnliches beschreibt
Castaneda in der Episode von seinem Kampf gegen die Zauberin: Er hatte einen
Stein, um sie abzuwehren. Aber Don Juan hatte ihm aufgetragen, den Stein nicht
zu werfen, bevor er nicht die Kraft aus der Erde in ihm aufsteigen gespürt
habe. Wir müssen die Angst ertragen, bis sich in uns die volle Kraft gesammelt
hat zum Durchbruch. Und gerade deshalb brauchen wir uns nicht fürchten. Die
Natur hat vorgesorgt. Deshalb können wir frei atmen noch bevor wir alle
Probleme überwunden haben. Wir können darauf vertrauen, daß es dieses
"emergency-program" gibt in uns, das sich automatisch einschaltet,
wenn Gefahr da ist. Wir brauchen uns nicht schon vorher fürchten "Und wenn
sie euch vor die Gerichte schleppen, überlegt nicht im Voraus, was ihr sagen
sollt", sagt Jesus sogar. Und damit ist unser Geist frei, sich den
aktuellen Themen zu widmen, unserer Aufgabe wie unserer Unterhaltung.
Wir brauchen keine Angst
haben. In der Gegenwart ist alles da und wir selber sind voll da. Wenn uns
nichts ablenkt, können wir uns voll konzentrieren. Keine Kraft geht verloren.
Bei unserer "normalen" Lebensweise sind viele unserer Kräfte gebunden
in Vor-Ur-Teilen, in geprägten Abhängigkeiten, Gewohnheiten, alten Loyalitäten.
Der einzige Weg, das aufzulösen, ist Vertrauen. Uns ist nämlich eingeredet
worden, wir dürften uns selber nicht vertrauen, wir müßten uns den Autoritäten
unserer Klasse anschließen. Unsere Klasse gibt uns nicht viel
Bewegungsspielraum; das Eigene soll möglichst unterdrückt werden: Wir sind
eingespannt in unseren Beruf, unter bürokratische Normen. Wir müssen auf
unseren Ruf achten. Wir sollen es zu etwas bringen. Aber die Konkurrenz ist
hart. Wir müssen uns anpassen und daher die Spontaneität unter Kontrolle
halten. Und da ist uns das Vertrauen abhanden gekommen. Der "Wächter"
hat sich in einen "Wärter" verwandelt, wie Castanedas Don Juan sagt.
Alles richtet sich nach Zwecken. Das Leben ist rationalisiert und abgetötet.
Wir sehen bei unserem Erwachen: Wir hängen fest. Es gibt nur einen Weg: Wir
müssen uns lösen. Es ist möglich. Aber nicht durch Selbsterlösung. Die einzige
Rettung ist das Vertrauen. "Hoffnung" nennt es der Apostel Paulus.
Wir müssen an unsere " Auferstehung" glauben, sonst bleiben wir
eingespannt. "Wer nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Geist,
kann nicht in das Reich Gottes eingehen" (Jesus), also wer sich nicht
abwäscht, wer sich nicht löst und aus dem Geist lebt, kann kein Schöpfer sein.
Alle echten Stars mußten sich lösen von ihren Hemmungen, mußten den Sand aus
ihrem Getriebe waschen. Jesus war der Gelösteste von allen. Das konnten die
Autoritäten nicht tolerieren. Macht dir das Angst? - Wenn dich sonst nichts
motiviert, tu es um der Menschen willen. Die Welt ist heute zu gefährlich, als
daß das gehemmte Leben fortgesetzt werden dürfte. Wir brauchen unsere ganze
Kraft, um dieser Gefahr der Auslöschung unserer Kultur und eines großen Teils
der Art begegnen zu können.
Es gibt tausend Gründe, es
zu tun, aber letztlich müssen wir uns gerade von den Gründen lösen. Wir müssen
die Sachen einfach tun, um ihrer selbst willen. Wenn wir uns auf das
konzentrieren, was wir tun, werden wir mehr und mehr tun, was wir lieben. Wenn
wir dagegen unsere Unzufriedenheit zudecken mit Ersatzbefriedigungen, werden
wir das Ungute tolerieren, bis es uns auffrißt. Das, was nicht das Unsere ist,
ist das Böse. Die moralischen Gebote existieren, um uns von Ersatzbefriedigungen
abzuhalten, damit wir das Ungute nicht zudecken. Damit wir nicht einschlafen.
Nicht Askese wird verlangt, sondern Bewußtheit. In dem Sinn muß die Moral auch
heute neu formuliert werden. Manche Gebote können wahrhaftig ungut sein, nicht
zu uns gehörig. Welche wir aber einhalten müssen und von welchen wir
ausgenommen sind, kann uns nur der Geist sagen, der Geist der Gegenwart. Wir
können ihn erkennen an unserer unrationalisierten ehrlichen Absicht. Diese
ehrliche Absicht blitzt anfangs nur gelegentlich auf. Aber wenn wir achtsam
sind, können wir auf ihr reiten, wie auf einer Welle. Sie wird uns befördern.
Wir brauchen es nicht selber tun. Wir können es niemals selber tun. Der Wille
muß uns gegeben sein und er ist uns gegeben, aber wirken kann er nur, wenn wir
uns nicht einbilden, er müßte auf etwas anderes gerichtet sein, auf irgendein
Ziel, das wir uns einreden haben lassen. Das Ziel ist niemals willkürlich,
sondern es ist eine Absicht, eine Intention, eine Kraft in uns, die immer auf
etwas ausgerichtet ist, was unserer Natur entspricht. Die Richtung hängt ab von
unserer Situation, aber es gibt auch langfristige Strömungen, die sich aus der
Harmonisierung des Zeitgeists mit unserer Eigenart ergeben, die ihrerseits
wiederum zum Teil aus dem Zeitgeist hervorgegangen ist. Aus diesem Wechselspiel
ergibt sich unser biologisches Entwicklungsprogramm, das uns durch alle Zwänge
hindurch in die Freiheit zu führen bestrebt ist.
Manchmal geraten wir in
Zustände, die uns deprimieren. Was aber ist eine "Depression"? Sie sieht
aus wie ein Mangel an Antrieb, an Kraft, aber das ist es nicht. Der Antrieb ist
da, aber er wird zurückgeschlagen. Es ist, wie wenn wir einen Motor ankurbeln:
Wenn wir nicht die nötige Drehgeschwindigkeit erreichen, schlägt die nicht
überwundene, aber bereits erreichte Kompression zurück und macht damit nicht
nur unsere Anstrengung zunichte, sondern verbraucht durch den Gegenschlag diese
Energie ein zweites Mal. So ein Rückschlag ist jede Depression. Eine
Depression, die ohne bestimmbaren äußeren Anlaß einsetzt, ist auf akkumulierte
Rückschläge zurückzuführen. Hier besteht größte Gefahr. Wenn die Antriebskraft
nämlich von vornherein nicht sehr stark ist, wird einer dieser Rückschläge
tödlich sein - nicht unbedingt unmittelbar, aber als Wendepunkt, von dem an die
Kraft stetig abnimmt und die Gegenkräfte die Oberhand gewinnen. Das Ergebnis:
eine Krankheit, ein Unfall, jedenfalls ein vorzeitiger Tod. Wie wenige doch
sterben heute "alt und lebenssatt" wie die biblischen Väter!
Fast alle erwischt es. Auch
Leute wie Sigmund Freud, Wilhelm Reich, sogar Aldous Huxley; auch er konnte
einen Teil des Lebens nicht integrieren. Krankheit und vorzeitigen Tod hat man
früher für eine Wirkung des Teufels gehalten und den Zustand "Hölle"
genannt. Aber auch religiöse Stars sterben an Krebs. Sind sie unschuldig? Nein
und Ja. Es ist ihnen einfach nicht gelungen, sich vollständig zu lösen von
ihren Vorstellungen über das Leben. Die Bindungen an ihre soziale Klasse war zu
stark, sie konnten nicht vollständig vertrauen. Etwas haben sie noch
festgehalten, etwas ist noch dazwischengestanden: eine Einbildung, eine
allzustarke Spur ihres "egoistischen" "Ich", ein
"Ich", das noch nicht identisch ist mit der Totalsituation, die alle
Beziehungen in dem Kräftenetz der Welt einschließt. Das vollkommene Leben
verlangt die vollständige Aufgabe aller Vorstellungen.
Diesen Prozeß beschreibt
der Koran in der Episode der Begegnung des Mose mit Khidr ("Khidr",
arab. "der Grüne", d.h. die Natur): Mose konnte Khidr nicht
begreifen. Obwohl Mose einer der größten religiösen Stars der Weltgeschichte
war, war er nicht gelöst genug, um der Natur und ihren spontanen Bewegungen zu
folgen - aber allein darauf kommt es an. Da ist Wahrheit, Echtheit, nur in der
totalen Spontaneität. Wir müssen unser Instrument zwar ausformen, bevor der
Geist es spielen kann, aber gerade die Ausformung ist auch wieder das
Hindernis. Es ist notwendig den genauen Rhythmus "des Himmels und der
Erde", also von allem, zu erspüren und sich darin einzuschwingen, bis sich
Angebot und Nachfrage voll ergänzen.
Aber keine Angst! Nichts
übermenschliches wird verlangt, sondern nur das, was in dir ist. Es gibt immer
Menschen, die dich und deine Fähigkeiten brauchen, ganz gleich, was es ist.
Nichts ist zu verrückt und sogar für Monotonie gibt es Abnehmer. Es gibt daher
keinen Grund, es aufzugeben. Es ist tatsächlich nicht so schwer. Du brauchst
dich nicht quälen mit Selbstdisziplin. Du brauchst nur immer deiner größten
Neigung folgen. Wenn du ihr traust, führt sie dich zum Strom des Lebens und zum
Meer. Es ist der taoistische "Talgeist", der Weg des
"Gottvertrauens". "Sündige tapfer, aber glaube noch
tapferer", sagte Martin Luther. Die vertrauende Spontaneität heilt sich
selbst. Das Erlernen der Spontaneität dagegen ist nie ganz möglich. Wir können
Spontaneität nicht anstreben, denn das Wesen der Spontaneität ist ja das
Nicht-Streben, das bei Castaneda und bei Lao-tse "Nicht-Tun" genannt
wird und im Buddhismus "Leere".
Ich entleere meinen Geist
von allen Absichten und lasse meine Hand aufschreiben, was sie will. So
entsteht dieser Text. Manche würden diesen Vorgang als "Assoziation"
bezeichnen, andere als "Inspiration", wieder andere als
"Besessenheit"; aber es ist einfach der Zusammenfluß meiner
Erlebnisse. Wie sich im Gebirge die Wasser sammeln, die der Regen niederbringt,
so sammeln sich die Ströme von Gefühlen, die von unseren verschiedenen
Begegnungen ausgehen. Diese Ströme gilt es zu erspüren, dann können wir auf
ihnen navigieren. Erst sind wir wie ein Schiff im Nebel, das keine Orientierung
hat, dann erkennen wir Einzelheiten, Landmarken in den Strömungen, aus denen
wir zusammengesetzt sind. Und so werden wir voll, was wir sind - wir werden uns
unserer selbst bewußt.
Hier kommt allerdings eine
neue Gefahr auf, nämlich daß wir uns auf unser Bewußtsein etwas einbilden. Und
schon versiegt der Fluß. Wenn wir ihn aber nicht für irgendwelche vorgefaßten
Zwecke ausnutzen, sondern ganz unschuldig tun, was in unserem Interesse ist,
indem wir einfach unserer Neigung folgen, erfüllen sich unsere Bedürfnisse von
selber. Durch die Einschränkung unserer Neigung verhindern wir die Erfüllung.
So versickert und verdunstet unser Lebensgeist. Allzuleicht lassen wir uns auf
diese Weise aussaugen.
Es ist charakteristisch,
daß Knoblauch das magische Mittel gegen Vampire ist: Sein Geruch hält uns die
Leute fern, die unsere Eigenart nicht anerkennen wollen. Unsere Eigenart ist
nichts Separates, nichts Privates. Alles hat seine Eigenart. Deshalb ist die
Welt so schön bunt. Und deshalb zollt jede echte Spontaneität dem einen
Lebensprinzip, das diese Vielfalt hervorbringt, seine Anerkennung. Es braucht
dazu keinen moralischen Appell. Alle, die bewußt oder unbewußt aus der Kraft
ihres Ursprungs heraus leben, zeigen das in ihrer Demut, die sich gut mit
kindlicher Selbstzentriertheit verträgt. Psychologen halten das oft für
"Narzißmus", aber es ist nur eine Folge des unschuldigen natürlichen
Antriebs. Selbstliebe und Liebe zur Welt sind hier ausgewogen und es besteht
kein Grund, die natürlichen Neigungen zu verleugnen. Überraschenderweise (für
manche) sind nämlich alle Neigungen gutartig, sobald keine mehr unterdrückt
wird. Echte Ökologie kann es nur geben, wenn die ganze Realität unserer selbst
anerkannt wird. Unsere Freiheit besteht daher darin, daß wir der Natur ihren Lauf
lassen, daß wir uns von ihr führen lassen. In der echten Freiheit sind wir
nicht mehr da. Weder verleugnen wir unsere Gefühle, noch versuchen wir sie zu
steuern, denn wir wissen, daß wir niemals wissen können, wie wir sie steuern
müßten; wir wissen, daß alle Vorstellungen darüber, wie es sein sollte,
bestenfalls statistische Mittelwerte sind, meistens aber einfach Ideologien,
gesellschaftliche Kräfte, die uns in ihren Dienst zwingen wollen. In der echten
Freiheit sind wir daher überflüssig - und erst da sind wir voll da. Erst da
kann sich unsere Eigenart unbehindert durchsetzen. Erst da kommen wir zu uns
selber.
Der ganze Weg dort hin, auf
dem wir nach Regeln gesucht haben, durch die wir das Leben meistern könnten,
war geprägt von Angst und Mißtrauen. Aber: kein Vorwurf. Wir mußten diese
Erfahrung machen, daß wir letztlich keine Wahl haben, als unserer Natur ihren
Lauf zu lassen. Wir wissen jetzt, daß wir unsere Angst nicht durch
Rücksichtnahmen überwinden können, sondern nur indem wir zu uns selber stehen,
ganz gleich was wir sind. Selbstverleugnung in diesem Sinn ist die "Sünde
gegen den Heiligen Geist", die einzige Sünde, die nach Jesus nicht
vergeben werden kann. Im Christentum wird gesagt, daß Gott sich auf die Suche
macht nach den Sündern. Und so ist es. "Das, was du suchst, ist das, was
sucht", sagte der heilige Franziskus. Uns ist ein Programm eingebaut, das
uns nach aller Indoktrination und Verformung im Lauf unserer Entwicklung näher
und näher an unseren Kern heranführt. Und wenn wir auf ihn gestoßen sind, sehen
wir: Unsere Freiheit besteht darin, ihm zu folgen, und ihm allein, dem
"JAHWE" der Bibel, dem "ich bin der ich bin". Es gibt keine
Alternative als den Tod. Leben oder Tod, wir haben die Wahl.
Nun sind wir frei. Wir
dürfen unserer Liebe folgen. Wir können endlich tun, was wir immer schon tun
wollten. Das ist das Evangelium, die gute Botschaft. Wir sind frei!
"Kümmert euch daher zuerst um das Reich Gottes, alles andere wird euch
nachgeworfen werden." Wir verstehen jetzt, was das heißt. "Let's go
crazy", heißt es in einem Hit dieser Tage (Prince and the Revolution,
1984). "Let's go crazy". Wir brauchen keine Angst mehr haben. Es ist
gut. Unser innerster Kern ist gut. Er führt uns recht. Wenn wir ihm folgen,
ereignen sich Wunder.
"Du brauchst nur zwei,
drei Schritte tun in die Richtung, die dein Innerstes dir zeigt, nur einige
Schritte heraus aus deinen Gewohnheiten und schon kannst du sehen, wie die
richtigen Dinge auf dich zukommen. Plötzlich geschehen Wunder", sagte mir
kürzlich ein Freund. Ich habe es gleich ausprobiert und sofort war die Wirkung
da. Ich habe mein Innerstes beschworen, sich zu zeigen und es hat nicht auf
sich warten lassen. Wie aus dem Nichts haben sich neue Aussichten aufgetan.
Aber zuvor mußte ich
hindurchgehen durch die bitteren Erfahrungen dessen, was geschieht, wenn wir
uns nicht dazu aufraffen, das lang Verschobene endlich zu beginnen. Es hat mich
aufgefressen im buchstäblichen Sinn. Es hat meine Eingeweide in Feuer versetzt.
Und erst als die Bedrohung als physische Realität offensichtlich war, habe ich
angefangen. Und schon spüre ich die Wirkung der natürlichen Steuerung. Ich
mußte erleben, was Don Juan zu Castaneda sagt, daß bei vielen der Wille erst
auftaucht nach großen Bauchschmerzen. Andere sind glücklicher dran, "mir
ist der Wille einfach zugeflogen", sagt Don Juan von sich selber; andere
lassen sich durch mythische Höllenängste bekehren; manche begreifen es, wenn
sie sich verlieben; manche haben ein "mystisches Erlebnis"; manche
haben den Kontakt zu ihrem Innersten nie verloren; manche allerdings erkennen
erst im Tod, wie sie hätten leben müssen. Das ist die echte Hölle. Aber
nocheinmal erhalten sie das "Angebot der Vergebung" und wenn sie es
annehmen, wird ihr Tod zu einer Ekstase, in der alle Reue verschwindet. Ob
irgend jemand sich bis zuletzt weigert, weiß niemand. Wir wissen aber, daß es
schade ist um jede Minute, in der wir nicht leben, in der wir nicht voll hinter
uns selber stehen. Dennoch, sobald sich die Wende vollzogen hat, sobald sich
unser Trotz aufgelöst hat, haben wir keinen Grund mehr zu Reue oder Schuld. Wir
sind tatsächlich frei.
Nun beginnt unsere Arbeit.
Aber sie ist jetzt kein Streß mehr. Wir folgen nur noch unserer Liebe. Gott ist
die Liebe.
Die Theorie Freuds und der
meisten Psychologen geht davon aus, daß die Kultur durch Triebunterdrückung
hervorgebracht worden ist. Tatsächlich hat diese Unterdrückung die Gefahr
erzeugt, in der die Welt heute lebt. Die Unterdrückung des Lebens hat ein
Krebsgeschwür hervorgebracht, das, wenn die weltweite Wende nicht bald
eintritt, die ganze Gattung vernichten wird. Aber die Rettung ist bereits
unterwegs und jeden Tag stellen sich mehr und mehr Menschen in ihren Dienst.
Die Kultur bricht nicht zusammen, wenn wir die Unterdrückung aufgeben. Im
Gegenteil, nur darin liegt die Chance ihres Überlebens und nicht nur des
Überlebens, sondern des Fortschritts auf eine neue Stufe, in der das
Lebensrecht aller Kulturen anerkannt ist. Dann kann sich jeder der Kultur
anschließen, die ihm erlaubt, sich zu entfalten. So wird sich eine neue Kultur
entwickeln, deren Leistungen alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt,
weil sie auf Liebe beruht, statt auf Gier. Es ist möglich. Aber wir müssen bei
uns damit anfangen.
Die Linken argumentieren
mit der Pflicht zur Solidarität und so sagen sie, daß wir keine Zeit haben für
Selbstverwirklichung, daß das eine Flucht ist, weil die sozialen Probleme zu
dringend einer Lösung bedürfen, daß wir uns daher dem Kampf des Proletariats
anschließen müssen. Wenn sie wüßten, daß unsere menschliche Natur ohnehin jeden
zur Gemeinschaft hindrängt, daß diese äußeren Gebote gar nicht notwendig sind,
wenn wir unsere Natur wirken lassen, wenn wir unser Selbst verwirklichen, wenn
sie das also wüßten, würden sie zwar nicht ihren Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit
aufgeben, aber sie würden sehen, daß die Selbstverwirklichung kein Hindernis
und keine Verzögerung des sozialen Wandels ist, sondern gerade deren stärkster
Antrieb. Wir brauchen keine Angst haben. Alles ist zum Besten, wenn die Liebe
regiert. Für manche ist der bewaffnete Freiheitskampf etwas Natürliches. Es muß
auch Revolutionäre geben. Jeder hat seine "Berufung", aber es ist
eine Tragödien, wenn jemand sein Leben verliert ohne eine solche Berufung.
"Drum prüfe, wer sich ewig bindet..." (Goethe). Auf die Liebe allein
kommt es an.
"Berufung" ist
der .Ruf eines Archetyps, der ins Bewußtsein drängt. Unsere
psycho-physiologische Realität will erkannt werden. Der Grad der Bewußtheit ist
der Grad unserer persönlichen Entfaltung, die dann über die Bewußtheit -
Castaneda sagt dazu "Klarheit" - hinausgeht zur Fähigkeit, die
archetypischen Zusammenhänge praktisch zu manipulieren, d.h., die eigenen
Bedürfnisse zu erfüllen und auf die physische und soziale Umwelt Einfluß zu
nehmen (Castanedas Stufe der "Macht"). Von dort treibt unser
natürliches, archetypisches Entwicklungsprogramm uns weiter zur Erfahrung
unserer genauen Position in der Vielfalt des Ganzen des Lebens und damit zur
Erfahrung der Vergeblichkeit aller Zwecke. Castaneda spricht hier von
"kontrollierter Torheit". Hier ist die archetypische Sphäre bekannt,
d.h. das biologische Entwicklungsprogramm hat das Bewußtsein bis an die Grenzen
der menschlichen Existenz hin ausgeweitet.
Die politischen
Revolutionäre oder diejenigen, die unter dem Einfluß eines anderen Archetyps
stehen, sind davon noch weit entfernt, aber dennoch trifft sie kein Vorwurf.
Solange sie ehrlich ihrer Liebe folgen, sind sie auf dem richtigen Weg, auf dem
die "unterste Stufe" so gut ist wie die oberste.
Die Inder sprechen von der
Notwendigkeit mehrerer Wiedergeburten auf dem Weg zur Erlösung. Weil klar ist,
daß die meisten Menschen den "Individuationsprozeß", wie Jung es
nennt, zu ihren Lebzeiten nicht bis zur vollen Entfaltung durchmachen, sondern
unterwegs von archetypischen, in ihrer äußeren Entsprechung durchaus
physischen, Mächten gefangen und schließlich verschlungen werden. Die meisten
Menschen haben von ihrer Erziehung her keine Ausgangsposition, die ihnen die
Entfaltung leicht machen würde. Nur in wenigen Familien werden die Erfahrungen
vieler Leben so weitergegeben, daß der neue Mensch damit diese vielen Leben
gewissermaßen schon hinter sich hat, obwohl auch er noch alle Stufen des
Individuationsprozesses durchschreiten muß, aber eben mit der entsprechenden
Hilfe (der "Kette", wie die Sufis sagen) im Hintergrund. Diejenigen,
die diese glücklichen Voraussetzungen nicht haben, haben "nur" ihr
eigenes biologisches Entwicklungsprogramm, das aber oft durch äußere Einflüsse
übertönt und unterbrochen wird.
Ein Mensch, der auf diesen
inneren Antrieb hört jedoch, wird sich von nichts festhalten lassen, ganz
gleich welche Erziehung er genossen hat. Im Leben jedes Menschen nämlich gibt
es die Momente der Klarheit und jeder hat dadurch die Chance, sich aus den
Bindungen seiner Gewohnheiten und der Normen seiner Klasse zu befreien. Und das
ist die wahre Befreiung, die Freiheit, das natürliche Entwicklungsprogramm, wie
es in den Heldenmythen beschrieben wird, zur Wirkung kommen zu lassen und damit
durch alle Gefahren und Versuchungen hindurchzugehen. Im Vertrauen auf die uns
eingeboren innere Führung ist es möglich.
Die Religion ist also
letztlich eine biologische, ja eine physikalische Tatsache. Sie ist uns
eingebaut, ja wir sind Ausflüsse jenen "Wesens", das all diese
verschiedenen Formen hervorgebracht hat. Es ist nicht einfach eine blinde
Energie, sondern sie hat von Anfang an die Tendenz zur Entwicklung in immer
kompliziertere organische Strukturen. Bei uns Menschen zeigt sie sich klar in
dem, was C.G. Jung und E. Neumann "Individuationsprozeß" nennen, also
einen in jedem Menschen vorprogrammierten Entwicklungsvorgang, der seit je her
im Bewußtsein in Form von Heldensagen repräsentiert war. Das Beispiel der
anderen wird zum Modell des Handelns und ein angeborenes Wissen um Richtigkeit
und Falschheit läßt uns die Führer von den Verführern unterscheiden - auch wenn
dieses Wissen überblendet ist von dem "double-bind", den Loyalitäten
ins Verderben, von Ängsten, die über die reale Situation hinauswirken.
Die Angst ist anfangs
stärker als diese innere "Stimme". Deshalb ist die Überwindung der
Angst die erste Stufe auf dem Weg in die Freiheit. Es gibt viele Methoden
dafür: Manche Sufi-Meister, wie andere religiöse Orden und Sekten etwa lassen
ihre Schüler in unzeitgemäßen Kostümen herumlaufen. Diese Distanzierung von der
Mode erzwingt einen Bruch mit der Angst und den Loyalitäten, die uns bisher
behindert haben. Allerdings ergeben sich bei den Sekten neue und oft nicht
weniger behindernde Loyalitäten. Schließlich geht es ja darum, genau diesem
biologischen Programm zu folgen, unserer "inneren Stimme", der
Resultante des mathematisch exakten Vergleichs von innerer und äußerer
Realität. Die Instanz, die diesen Vergleich vornimmt, ist sie noch materiell
oder liegt sie in einem "geistigen" Bereich? Sowohl historische
Strömungen, die uns physisch nahegebracht werden, als auch eine Art kollektives
Bewußtsein der Gattung spielen mit. Dieses "Überbewußtsein" kennen
alle Religionen. Es hat zu tun mit dem "Schicksalsbuch", mit den "akhasischen
Aufzeichnungen", aber es beschränkt nicht, wie es bei diesen scheint, den
Handlungsspielraum, sondern es zeigt vielmehr die beste Möglichkeit. Vielleicht
ist es auch so, daß dieses "Überbewußtsein" uns erst hervorgebracht
hat, etwa durch ein "morphogenetisches Feld" (R. Shelldrake),
vielleicht ist die Materie nur die sichtbare Seite einer sonst unsichtbaren
intentionalen Formkraft, die die Welt am Dasein erhält, in der trotz der
Vielfalt alles gleichzeitig da ist. Jedenfalls haben wir das Bewußtsein von so
einer Kraft in uns und wir können über sie verfügen, solange wir uns ihr
beugen. Hier liegen die Möglichkeiten der Magie, die "siddhis", die
"okkulten Kräfte".
Okkulte Kräfte als solche
anzustreben, ist ein Weg ins Verderben, außer bei einigen, denen sich der Weg von
selber auf tut, denn es geht ja um unser ganzheitliches Glück. Und das können
wir nicht durch einen Trick erreichen. Es liegt allein darin, daß wir die Dinge
herausbringen, die in uns angelegt sind, in dieser inneren Urteilsinstanz, sei
sie nun materiell oder "geistig". Wenn wir diesen Weg gehen, öffnen
sich die Quellen dieser "synchronistischen" Information genau dann,
wenn wir es brauchen. Dann hört uns der Gralsritter oder der
"Christus" oder der Amithaba Buddha, also der in allen Exemplaren der
Gattung vorhandene "Archetypus" derselben und wir selber werden zum
"barmherzigen Samariter". Ein professioneller barmherziger Samariter
zu sein dagegen, ist etwas ganz anderes. Einigen ist es gegeben, aber viele von
ihnen sind nur auf der Flucht vor sich selber und sie reißen andere mit in ihr
Unglück, die nämlich, denen sie ungebeten "helfen". Viele verstehen
"christliche Nächstenliebe" falsch. Anstatt offen zu sein für ihre
Mitmenschen, verschreiben sie sich der "Nächstenliebe", aber es ist
nur Feigheit vor dem Leben.
Die Bhagavadgita beginnt
mit dem Problem: Ardschuna zögert den Kampf zu beginnen. Alle möglichen
humanitären Argumente fallen ihm ein und es braucht Krishna, um ihn zu
erinnern, daß es ja sein Wille war, und daß der Kampf für den eigenen Willen
unausweichlich ist. Die Leute mit der Art Nächstenliebe, die die Eigenliebe
nicht einschließt, sind es dann, die im konkreten Fall am ehesten an dem
Überfallenen vorbeigehen, wie der Priester im Gleichnis Jesu, weil sie die
Liebe nicht spüren sondern nur vorschriftsmäßig erfüllen. Das kommt daher, daß
sie die Welt eingeteilt haben in "gut" und "schlecht" - das
ist die Essenz des Baumes der Erkenntnis, die Ursünde - und das
"Schlechte" tolerieren sie weder in sich noch in anderen. Sie
begreifen nicht, daß die Gebote für den Menschen da sind und nicht umgekehrt.
Und weil sie einen Teil von sich und von der Welt ablehnen, ist ihnen das
Gespür abhanden gekommen, die Liebe. So ist die Hilfe zu einer Falle geworden.
Ich sage nicht, es sollte keine Gebote geben oder sie sollten geändert werden.
Sie können nicht geändert werden, denn es sind statistische Naturgesetze. Aber
wie diese müssen sie durchlässig sein für individuelle Abweichungen - wie es
auch manchmal nötig ist vom Weg abzuweichen, wenn wir ein bestimmtes Ziel
erreichen wollen. Jesus hat verboten zu urteilen, aber viele von denen, die
sich für seine treuesten Anhänger halten, verbringen gerade damit ihre Zeit.
Kein Wunder, daß Jesus über sein "Jerusalem" weinen mußte, das seine
Abweichung nicht duldete.
Die japanischen Meister
Honen und Shinran haben festgestellt, daß es zwei Wege gibt: den schweren der
Selbsterlösung und den leichten des Vertrauens auf die andere Kraft, nämlich
die, aus der wir bestehen, auf unsere "Buddhanatur", unsere biologische
Natur, die für jeden einen Weg zum Himmel hat. Wir können ihn nicht aus eigener
Kraft erreichen. Das sehen schließlich auch die ein, die alle Anstrengungen
unternehmen, um das Gegenteil zu beweisen, weil gerade ihre Mühe sie
unausweichlich in eine Depression führt - an deren Talsohle plötzlich das
auftaucht, nach dem sie sich immer gesehnt hatten. Der Himmel besteht im
Erleben des Lebensflusses, der da immer schon war. Früher hat man deshalb
gesagt, daß die Heiligen im Himmel Gott schauen. Was sie sehen, ist dieser
Fluß. Es ist richtig, zu sagen, daß man erst sterben muß, bevor man den Himmel
erleben kann, aber der Tod, der hier gemeint ist, ist nicht der physische Tod -
was für eine Perversion! - sondern der Tod der Einbildung, daß wir es wären,
die diese Kraft erzeugen.
Wir können aber auch nicht
einfach warten darauf, daß diese Kraft uns abholt, obwohl so eine Ahnung da
ist, solange wir die "Ungerechtigkeit des Schicksals" beklagen und
Hilfe von außen erhoffen. Es ist sinnlos, all das "Karma" zu
beweinen, das auf uns lastet. Wir müssen da beginnen zu gehen, wo wir sind. Das
ist alles. Das ist das Ende des Trotzes und die einzige Erlösung, die es gibt.
Von da an wissen wir, daß uns keiner helfen wird, wenn wir uns nicht selber
helfen. So fangen wir von selber an und siehe da: Der Himmel steht uns bei.
Unversehens stehen wir mitten im Lebensstrom. Der optimale Fluß des Lebens kann
nicht berechnet werden, weil uns die Daten nicht bekannt sind und nie bekannt
sein können. Aber das macht nichts, denn wir haben eine Instanz in uns, die
sowohl über die Daten unserer ganzen biologischen Geschichte verfügt, als auch
über die emotionale Ausstrahlung des Rests der Welt, von der sie alles das
wahrnimmt, was für uns von Bedeutung ist.
In uns ist etwas wie ein
universaler Computer, dem sämtliche Daten zur Verfügung stehen. Nur
verschleiern wir dieses Wissen oft vor uns selbst. Und erst wenn wir uns in
jeder Beziehung ganz akzeptieren, das "Gute" wie das
"Schlechte", beginnt der Strom zu fließen.
Warum gibt es dann zwei
Wege? Das erscheint nur so, denn im Weg der Erlösung durch die andere Kraft ist
auch der schwere Weg der Disziplin und der Übungen enthalten für die, die sich
unbedingt einen Zwang antun müssen, die getrieben sind von Ehrgeiz. Für die
Erlösung selbst aber hat der Zwang nur die Bedeutung, daß er das Feuer schafft,
in dem wir braten müssen, bis wir herausspringen, bis es uns reicht. Erst dann
kommt die Lebensenergie von allein. Die schweren Übungen und Methoden können
sie nicht erzeugen, sie können uns nur kneten und schlagen, bis wir uns ihr
öffnen. Warum dann nicht gleich? Ohne diesen Firlefanz von Yoga, Zazen,
Mantras, Gebeten und Opfern? Wir sind eben hypnotisiert und leider sehr
begriffstutzig und die Intellektuellen haben eine besonders lange Leitung. Für
sie ist es wie beim Pokern: Sie haben schon zu viel eingesetzt, um jetzt noch
aufhören zu können. Da brauchen sie so einen wie Gurdieff, der sie in
Bedingungen führt, die sonst nur in KZ's anzutreffen sind. Und manche erwachen
nichteinmal dadurch.
Obwohl es keine Methode
gibt, die die Erlösung bewirken könnte, gibt es doch eine Mitarbeit am
natürlichen Entwicklungsprogramm. Und der Ablauf dieser Entwicklung läßt sich
beschreiben. Er ist immer wieder beschrieben worden in den tausenden von
Mythen, die die archetypischen Abfolgen zeigen. Auch wenn die Geschichte bei
jedem anders verläuft, die Mythen, die uns anziehen, zeigen uns den Weg. Und so
leisten unser Bewußtsein und unser Streben ihren Beitrag auf unserem Heldenweg.
Wir folgen einfach der natürlichen Anziehung, dem "Talgeist" des Tao
und auf dem Weg liegen auch unsere spirituellen Übungen - bis wir erkennen, daß
wir sie nicht brauchen, weil unsere Bedürfnisse selber uns Aufgaben und Übung
genug geben. Wenn wir sie nur anpacken, werden wir von selber gesund und
zusätzliche Übungen und Askese werden überflüssig. Die Übungen sollen zu dieser
Erkenntnis führen, aber wir können schon viel früher auf den Punkt kommen, denn
er ist immer da; wir brauchen uns nur lösen von unserem ängstlichen
Festklammern an starre Vorstellungen. Keine Angst! Die Welt, die da
zusammenbricht, ist nicht die wirkliche, sondern eine Illusion. Do it! Now!
Jetzt ist die Zeit. Was wünscht du dir jetzt? Tu es! Schau dich nicht um! Du hast
es nicht nötig. Dein Gespür sagt es dir schon richtig. Tu, was du siehst!
Ergreif deine Chancen! Sei ein Mann, eine Frau oder was du bist. Wirf ab deine
Unentschlossenheit. Sieh das Leben als ein Geschäft, nüchtern, als eine Serie
von Verträgen, die gelten und aufgehoben werden je nach Bedarf. Und tu kein
Ding länger als nötig für dich.
In dem Leben nach der
Wiedergeburt herrscht die Vernunft, aber eine geläuterte Vernunft. Nicht mehr
eine, die sich Tricks ausdenkt, um nichts tun zu müssen, sondern eine, die sich
dem natürlichen Bedürfnis zur Verfügung stellt, dem ganzen Menschen, nichts
ausgenommen. Wenn wir annehmen, daß wir Menschen ein perfektes Abbild der
kosmischen Energie sind (wie jede andere organische Einheit auch), die in uns
zum Bewußtsein gekommen ist, können wir verstehen, daß in uns ein Programm
gespeichert ist, das den besten Kurs aus sämtlichen möglichen Schicksalen
wählt. Und daß dieses Programm der sicherste Führer ist, den wir haben. Es
scheint so etwas wie "Bestimmung" wirksam zu sein oder einfach
physikalische Determination, aber nur so lange, als ein Mensch nicht zu sich
selber gefunden hat. Dann nämlich übernimmt er seine Bestimmung freiwillig und
aktiv. Und nun ist er der Zeit voraus und kann sich einrichten nach Belieben.
Die Hindernisse, die nun auftreten, werden strategisch bezwungen. Sowohl
Castaneda, als auch der I Ching zeigen das.
Daß diese Selbstbestimmung
nun nicht mehr die alte "egoistische" ist, ist klar, denn das
"Egoistische" war die Angst, die jetzt überwunden ist. Der
"Egoist", der alles an sich rafft, ist noch nicht durchgebrochen zur
Vernunft. Er ist noch getrieben von von außen kommenden Illusionen. Er ist zu
seiner Natur noch nicht vorgestoßen. Allerdings kann ein sogenannter
"Egoist", ein Geizhals etwa, durchaus authentisch sein. Aber von
denen spreche ich hier nicht, sondern von denen, die sich einbilden jemand zu
sein, der sie nicht sind. Und das ist der Fall bei einem gewissen Anteil der
Karrieristen. Auf die Authentizität kommt es an. Wer sie nicht erkennen kann,
ist nicht befugt zu urteilen über irgend jemand. Nicht weil sie ungerecht
urteilen würden, sondern weil sie sich durch ihr voreingenommenes Urteil nur
selber den Weg verbauen. Denn was sie den anderen nicht zugestehen, ist meist
gerade was sie selber insgeheim möchten. Das darf nicht an den Tag kommen. Aber
es muß an den Tag kommen. "Von den Dächern müßt ihr es verkünden"
(Jesus, Mt 10,27). Das ist die Erlösung von der Qual des Zurückhaltens und
Versteckens. Nichts wirkt befreiender als die Wahrheit.
Falls es eine Verirrung
ist, was wir wollen, kann es sich je herausstellen, wenn wir es nicht tun, wenn
wir es verstecken? Eine Krankheit kann ihre Kur nur finden, wenn sie
herauskommt. Es ist also in jedem Fall gut, wenn es herauskommt, im "guten"
wie im "schlechten". "Qui tollis peccata mundi", Du nimmst
hinweg die Sünden der Welt. Nur die tatsächliche Konfrontation befreit uns.
Erst da kann unser innerer Korrekturmechanismus in Aktion treten, der
Schaltkreis Schmerz - Heilung. Wenn wir den Schmerz vermeiden, indem wir unsere
Wünsche verheimlichen, was soll sich da ändern? Da können wir nur noch
kapitulieren und uns bescheiden. Aber ohne den realen Kampf und der Niederlage
in dem Kampf, werden diese Wünsche da bleiben und an unserer Entschlußkraft
nagen. Sie werden uns zweifeln machen und unsicher. Es ist bei uns wie bei den
Tieren: Wir müssen uns unser Revier erobern, unsere biologische Nische. Wir
müssen ins Gelobte Land ziehen und die Anweisungen befolgen, die die Bibel
dafür gibt, denn das ist das Leben nach unserem biologischen Plan. Nicht weil
es in der Bibel steht oder weil schon die Tiere es tun - es ist einfach
logisch. Es ist die Logik der Schöpfung.
Die Eroberung des Gelobten
Landes verlangt Energie. Und eine Zeitlang sieht es so aus, als müßten wir
diese Energie selber erzeugen, als müßten wir den schweren Weg der
Selbstdisziplinierung gehen. Aber tatsächlich ist es ein inneres Gesetz des
Kosmos, daß der Trieb ins Gelobte Land bei allen vorhanden ist, daß also alle
nötige Energie schon bereitgestellt ist für den Augenblick, an dem wir unsere
lächerlichen, ehrgeizigen Versuche, die Gottheit zu bezwingen, aufgeben und uns
vertrauensvoll bekehren zu unserer Natur, zu unserem persönlichen Grund und zu
der Energie, die daraus fließt. Da nämlich erst sind wir im Vollbesitz unserer
Kräfte, Da strahlt unser ganzes Wesen auf.
Wir alle können uns
erinnern an solche Situationen. Denk daran, versetz dich hinein in sie und
übertrage diesen Geist auf deine Gegenwart. Dann siehst du, was du in der
Zwischenzeit verleugnet hast. Bring es heraus. Widme ihm die gebührende
Aufmerksamkeit bei klarem Verstand. Überlege die Risiken und die Vorgangsweise
und dann vertrau auf die innere Führung. Dann tauchen die Chancen auf. Sei
vorsichtig, aber laß nicht locker. Es wird immer Rückschläge geben, aber mit
zunehmender Erfahrung wirst du den richtigen Weg finden. So erweitert sich dein
Horizont Schritt für Schritt. Aber nun tust du es nicht eigenmächtig, sondern
immer in Übereinstimmung mit deinen echten Bedürfnissen. Am Anfang ist dies
nicht leicht, denn sie zeigen sich nur in blitzartig aufleuchtenden Bildern,
denen du nicht gleich trauen wirst. Aber beobachte sie einfach und überzeuge
dich von ihrer Richtigkeit und mach dir nichts draus, wenn dir der Mut fehlt,
ihnen zu folgen. Irgendwann kommt dann der Zeitpunkt, wo du dir ein Herz nimmst
und es tust. Und du tust es öfter und öfter, bis du wieder ein Gebiet in deinem
Himmel "hinzugewonnen" hast. Diese Eroberung des Heiligen Landes ist
keine "egoistische" Tat und auch keine Übung der Selbsterlösung,
sondern es ist die Konsequenz der Erleuchtung, d.h. der Einsicht, daß dieser
Weg unser menschliches Schicksal ist, das keine Verweigerung duldet. Lange
genug braucht es bis zu dieser Einsicht und manche erreichen sie anscheinend nie
oder erst auf ihrem Totenbett. Das ist schade. Nicht daß es unsere Aufgabe
wäre, die Uneinsichtigen zu bekehren - das wäre "Perlen vor die Säue
werfen". Wir brauchen nur denen beistehen, die sich bereits auf. die Suche
gemacht haben, die bereits ihrem inneren Muster auf der Spur sind und sich
umsehen nach Hilfe.
Es gibt keine gewaltsame
Bekehrung. Das wäre wieder ein Mißtrauen der Natur gegenüber, die ja ohnehin
alle in diese Richtung drängt.
Wenn wir diesem Muster
folgen, verschwindet auch unsere Angst vor Umweltverseuchung und Atomgefahr.
Wir brauchen auch da niemand bekehren. Wir brauchen es nur selber anders
machen. Nicht gegen jemand, sodaß eine neue Opposition entsteht, ein neuer
Kampf, sondern für diejenigen, die sich gleich uns befreien möchten von dem
Wahnsinn des Gegeneinanders. Dadurch erst werden die Paranoiker mit ihren
Waffensystemen von ihrer Angst befreit werden. Strategisch sind sie nicht zu
schlagen.
Deshalb sagte Jesus zu
Petrus "Steck dein Schwert in die Scheide, denn wer das Schwert ergreift,
wird durch das Schwert umkommen." Das heißt nicht, daß die
Green-Peace-Leute auf dem Holzweg wären. Solange sie ehrlich auf dem Weg in ihr
Paradies sind, wird ihr Werk auch entsprechend wirken. Diejenigen aber, die
nicht bereit sind auch die andere Backe hinzuhalten, werden dem Streit kein
Ende setzen können. Das ist eines der Gesetze der Entspannung. Wie außen, so
auch innen und umgekehrt. Um mit uns selber klar zu kommen, müssen wir auch
unseren paranoiden Teil akzeptieren, und uns schlagen lassen, bis das Ganze von
uns die Paranoia abschüttelt. Einfach so.
Immer wieder bin ich dort
hingeführt worden und dennoch möchte ich immer wieder meine Entwicklung
künstlich beschleunigen auf dem schweren Weg der Selbsterlösung. Und jedesmal
erlebe ich dabei eine Abfuhr. Und so begreife ich langsam, langsam, daß ich es
nicht aus eigener Kraft tun muß, daß mich ein inneres Programm durch einen
Entfaltungsprozeß führt und daß sich die richtigen Kontakte rechtzeitig von
selber einstellen - aber eben nur solange ich es nicht auf eigene Faust,
"egoistisch" (gierig) versuche. Schon bei Mose war es so: Zuerst
wollte er künstlich eingreifen und so hat er einen Sklavenaufseher erschlagen.
Und darauf mußte er in die Wüste fliehen. Aber trotz oder vielleicht sogar
wegen seines Fehlers, weil er nicht warten konnte, kam die Einsicht und die
Kraft von selber. Seine innere Führung gab ihm das Dornbuscherlebnis, als er
"reif" dafür war, als ihm seine Vorstellungen nicht mehr im Weg
waren. Und bei uns ist es genauso. Vor-Stellungen, Vor-Lieben, Vor-Sicht
stellen sich zwischen uns und unsere Sinneseindrücke, wie ein Verzerrer
zwischen Instrument und Verstärker. Unser Bewußtsein bestimmt unser Sein und
unser Sein bestimmt unser Bewußtsein, aber die Determinationskraft beider wird
aufgehoben, wenn wir total da sind, wenn wir unsere Situation selber wirken
lassen. Da tun sich plötzlich wundersame Auswege auf, da steht plötzlich die
ganze Bandbreite der Möglichkeiten vor uns und wir sind weder gebunden an
persönliche Vorlieben noch an die Normen unserer gesellschaftlicher Klasse. Es
zeigt sich die optimale Lösung.
Es gibt ein Spiel, bei dem
man zu einer aufgedeckten Karte immer eine identische zugedeckte Karte finden
muß ("Memory"). Am Anfang kann keiner wissen, wo sie liegt und doch
gibt es dabei erstaunliche Trefferserien. Kinder, die dieses Spiel mit
Erwachsenen spielen, gewinnen fast immer. Und wenn Kinder es untereinander
spielen, verlieren immer die, die eine restriktive Erziehung
"genießen". Intuition? Es gibt viele Namen dafür, aber es ist das
Allergewöhnlichste, das nur ungewöhnlich wird, wenn wir unsere Angst durch ein
Schema, eine Methode oder einen Ersatz zudecken.
Viele Menschen wissen sich
selbst nicht mehr zu helfen. Sie suchen die Hilfe eines Arztes, eines Meisters,
eines Guru. Und das ist gut so, denn so erfahren sie, was los ist mit ihnen.
Aber viele verlassen sich dann auf den Guru, auf ihre Methode und erwarten sich
das Heil als eine Belohnung ihres Gehorsams. Sie begreifen nicht, daß die Hilfe
nur zeitweilig sein kann, nämlich bis da hin, wo sie ihren inneren Guru hören
können und ihm zu folgen ist der einzig richtige Weg. Der innere Guru war schon
vorher wirksam. Er hat sie zu dem äußeren geführt, weil sie eine Bestärkung
brauchten oder einen Schock, um fähig zu werden, ihre Vorurteile abzuschütteln.
Sobald das geschehen ist, haben sie Klarheit, d.h. "Erleuchtung"
erlangt. Das ist aber nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Es ist nur das
Ende der Suche nach der eigenen inneren Führung. Sie ist jetzt klar. Da war sie
immer schon, aber verschleiert durch Abhängigkeiten. Alles, was uns gefehlt
hat, war, daß wir die Verantwortung für unser Wohlbefinden nicht übernommen
haben, daß wir statt dessen anderen die Schuld gegeben haben. Der springende
Punkt ist, daß weder andere noch wir selber Schuld haben im moralischen Sinn.
Wir sind nur abhängig. Und Abhängige brauchen jemand, den sie natürlich
bezahlen müssen für seine Dienste. Es gibt gute menschliche Führer, die ihr
Geld wert sind, aber der beste Führer ist kostenlos, er ist uns gratis (gratia)
zur Verfügung gestellt. Es ist unser Christus, unsere Buddhanatur oder einfach
unsere Natur, der alle für uns nötige Information zur Verfügung steht. Einzig
unser Mißtrauen steht im Weg.
Das Leben ist im Grund
einfach - schwer macht es nur unser Eigensinn, denn dieser Eigensinn ist
tatsächlich kein Eigensinn, obwohl er so aussieht. Er besteht nämlich aus
Koppelungen ambivalenter Erfahrungen, G. Batesons "double-bind" also
aus den Elementen unserer persönlichen Geschichte, in denen eine
Konditionierung, eine Dressur stattgefunden hat mit Zuckerbrot und Peitsche. Da
liegen unsere "Hang-Ups", da hängen wir, da kann der Strom des Lebens
nicht durch. Nun - wie viel Karma wir auch aufgeladen bekommen haben, für alle
gibt es einen Ausweg, nämlich die sichere Führung aus unserem Inneren. Und
Glück oder Heil hängen allein an unserer Übereinstimmung mit dieser Führung.
Die Suche wird ausgelöst
durch Unglück, dadurch, daß diese Führung überlagert ist von allen möglichen
Bindungen. Die Suche gilt dieser inneren Instanz, die alles weiß. Und wir
nähern uns an, indem wir immer wieder die Grenzen überschreiten, so weit es
geht. Es ist unsere innere Führung, die das tut. "Gott" ist es, der
uns zur "Sünde" verführt; es ist einfach der notwendige natürliche
Prozeß des Unterscheiden-Lernens zwischen Echtem und Unechtem. Deshalb führt
unser Weg so Zickzack. Meister Eckhart sagt, die Sünde sei dazu da, daß der
Mensch sich nicht zu viel einbildet auf seine Fähigkeiten. Das sagt er vor
allem zu den spirituellen Karrieristen, den Pharisäern, den professionellen
Frommen. Aber auch außerhalb des mythologischen Rahmens hat es seine Bedeutung,
weil wir nur durch Versuch und Irrtum lernen können, unser inneres Instrument
zu kalibrieren für das Leben. Die äußeren Eichtafeln, die Gebote, können zwar
als Richtmaß dienen, aber sie sind nur Näherungswerte, die im Einzelfall
kontraindiziert sein können. Das Leben hält sich nicht an Tafeln. Khidr hat es
Mose gezeigt und Jesus hat dafür sein Leben gelassen. Wenn wir das Leben
wollen, muß unsere "Gerechtigkeit größer sein als die der Schriftgelehrten
und Pharisäer" (Jesus), wir müssen also über die Maßgenauigkeit
hinausgehen und den Strom selbst fließen lassen. Und dorthin führt kein Weg und
keine Wissenschaft. Da beginnt der Dschungel, das Unbekannte, in das keine
Berechnung eindringen kann. Ohne absolutes Vertrauen geht hier nichts. Aber
absolut vertrauen können wir auf keine Regel, denn es fehlt die Evidenz.
Evidenz gibt nur das innere Wissen, diese Instanz, die mit allem verbunden ist
und ohne alle Berechnung den rechten Kurs. kennt.
"Aber die
Verhungernden in Afrika! Sind das nicht gerade Menschen, die so spontan leben,
die also ihrem inneren Führer folgen? Warum rettet er sie nicht?" Dadurch,
daß sie ihr Schicksal akzeptieren oder dadurch, daß sie kämpfen, je nach ihrer
Art, gibt das Leben ihnen das Beste, das in dieser Situation möglich, ist. Und
viele von ihnen haben trotz ihres Elends ein besseres Leben als so mancher
verknöcherter Intellektueller hier bei uns. Und selbst ihr Sterben, es ist wie
bei den Tieren oder bei Jesus, still und doch ein Aufschrei, der die Kräfte der
Welt mobilisiert, die Verhältnisse zu ändern. Vielleicht ist ihr Opfer es, was
uns vor dem Atomtod rettet! Was wissen wir schon über das Leben? Über seine
verschlungenen, unentwirrbaren Energiequellen!
Von wo her kommt unsere
Kraft? Von überall her. Wir brauchen nur unsere Schleusen zu öffnen, unsere
Verdammung beenden. Sesam öffne dich! Das ist alles. Castanedas Zauberermythos
kann auch nur höchstens dahin führen. Nicht daß da die Endstation wäre. Da
fängt das Leben erst an. Und es zeigt sich, daß alles eins ist. Alles steht uns
offen und wir erforschen Bereich um Bereich, bis wir dorthin kommen, wo es uns
gefällt. Eine Reise. Der Geist stirbt nicht, er lebt fort in allem. Nichts geht
verloren.
Auch diejenigen übrigens,
die zeitlebens nie wirklich bewußt diese Kraft gespürt haben, die sie treibt,
die zu sehr eingespannt waren in ihre sozialen Zirkel, für die sie gelebt
haben. Auch die sind natürlich gesteuert von dieser Kraft, die nicht nur
individuell wirkt, sondern alle sozialen Sitten und Unsitten erzeugt und jede
Entfremdung. "Gott" "kann", wie viele Fundamentalisten
irrtümlich glauben, jemand zur Hölle determinieren. Einem armen entfremdeten
Menschen seine Schuld vorzuhalten, wäre unmenschlich. Er hat keine Schuld. Du
hast keine Schuld, ganz gleich wie schlecht es dir geht. So viel ich auch hier
schon über Schuld gesprochen habe. Du hast keine Schuld. "Gott" hat
dich an den Platz gesetzt, an dem du bist, mit allen deinen Eigenschaften. Du
hast keine Schuld. Du bist darin schon erlöst. Nicht weil Jesus für dich am
Kreuz gestorben ist oder weil Amida ein Versprechen abgegeben hat, dich zu
erlösen oder weil du offiziell den Islam angenommen hast oder dergleichen. Du
bist erlöst, weil du von jedem Punkt aus deine Reise ins Paradies beginnen
kannst. Das ist alles. Alle auf dieser Reise sind gleich viel wert, die
"Bösen", wie die "Guten". Wenn du also böse bist oder schlecht
oder unfähig, mach dir nichts draus. Gott wollte dich so. Dein Zustand ist
deine Aufgabe. Natürlich kann dir jeder nur raten, auf deiner Reise ins
Paradies nicht zu zögern und dich nicht aufzuhalten bei den Dingen, die dich
abhalten wollen vom Paradies.
Es gibt da einiges zu
lernen auf dem Weg. Wie lange es bei den meisten von uns schon dauert, bis wir
wissen, was wir wollen! Und dann bis wir es bekommen. Und kaum haben wir es,
geht es schon wieder weiter. Es gibt kein Ende, aber es ist ungeheuer spannend
und interessant. Das ist das Leben, von der untersten bis zur obersten
Gesellschaftsklasse. Die Position ist relativ, aber die Gefühle sind die
gleichen, nämlich gut, solange wir den Himmel ansteuern und schlecht, sobald
wir uns von etwas fesseln lassen. Es ist ja nur logisch. Und manche steuern
gerade durch die Fesseln den Himmel an. Der Himmel ist nämlich für jeden
anders. "Es gibt viele Wohnungen im Hause meines Vaters", sagt Jesus.
Da herrscht Freiheit.
Warum verschieben die
Religionen den Himmel auf die Zeit nach dem körperlichen Tod? Einerseits weil
ihre Anhänger dem Ideal ihrer Gründer nicht folgen können, andererseits aber
auch als Methode: Sie erreichen damit bei einfachen Menschen Gelassenheit, eine
Abwendung der Aufmerksamkeit von "egoistisch Interessen, also von
Einbildungen. Das Problem ist, daß sich viele gerade auf ihre Religiosität
etwas einbilden, was natürlich die Wirkung dessen, was sie so eifrig tun,
zunichte macht. "Sie haben ihren Lohn schon" (Jesus). Schade um jede
Minute für religiöse Übungen, die nicht aus dem ehrlichen Herzen kommen. Nicht
bloß gute Vorsätze pflastern den Weg zur Hölle, auch gute Taten. Wer ehrlich
ist mit sich selber, braucht keine guten Taten. Er tut sie von Natur aus und es
fällt ihm gar nicht auf. "Seine Linke weiß nicht, was seine Rechte
tut" (Jesus). Wie viele guten Taten ein Unehrlicher auch anhäufen mag, er
kann den Himmel damit nicht erreichen. So müssen sie ihn ins Jenseits
verschieben.
Aus eigener Kraft gut sein
wollen, ist ein Widerspruch in sich selber. Aus eigener Kraft kann man sich nur
dressieren. Man wird dann zum dressierten Affen, obwohl man gerade das Äffische
weit von sich weisen und zudecken möchte. Es ist umsonst. Da kommt es erst
richtig heraus. Krishnamurti beschreibt es recht gut, wie da so spirituelle Karrieristen
zu ihm kommen und ihm etwas Gescheites vorplappern, alles gut rationalisiert,
aber eben nur hohle Masken. "Übertünchte Gräber hat Jesus sie genannt.
Dabei sind sie natürlich völlig unschuldig und ich habe auch nicht die Absicht,
sie zu verurteilen. Nur lache ich manchmal über sie und manchmal muß ich
weinen. Sie sind leider echte Ungeheuer.
Nicht das Tierische in uns
ist der Feind, nicht die "niederen Instinkte", es ist die Einbildung,
diese Instinkte überwunden zu haben - als ob jemand, der seine Natur tötet,
überleben könnte! Übertünchte Gräber. Und sie suchen die ganze Welt mit sich zu
reißen. Der Feind ist real. Es ist die Einbildung, die die Menschen dazu
bringt, jemand anderer sein zu wollen, als sie sind, den Christus in sich zu
verleugnen. Wozu? Es ist umsonst. Alle die Mühe ist umsonst, bloße Eitelkeit.
Bescheidenheit dagegen ist nicht Selbstverleugnung, sondern sich selber nehmen,
wie man ist. Selbstverleugnung ist (intellektueller) Schwachsinn. Das hat Jesus
nie gewollt. Hätte er sich selber verleugnet, wäre er ein braver Pharisäer
geworden. "Warum aber sagt er dann: 'Wer mein Jünger sein will, verleugne
sich selbst; er nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach'?"
Was Jesus meint, ist der Abstand von unseren Gewohnheiten, von dem Schema, von
den Vorstellungen, mit denen wir uns so oft identifizieren: jedesmal, wenn wir
uns einer bestimmten Kategorie zurechnen, sei es unsere soziale Gruppe, unser
Beruf, unsere Hobbies, unsere Routine. Aus diesen Identifikationen besteht das
Selbst, das wir los werden müssen. Sie sind unser Kreuz, das wir tragen müssen,
bis es abgetragen ist. Und das ist der Weg in die Freiheit.
Das einzig richtige Tun ist
das Nicht-Tun. Ihr seid zwar alle erlöst, aber fahrt nur fort mit euren
verrückten, besorgten Streben. All das ist eingeplant. Das dürft ihr glauben.
Macht also nur weiter so. Das ist der einzige Weg. Nur das Leben selbst kann
euch lehren.
Die priesterlichen Kreise
der christlichen Ökumene haben zunehmend Schwierigkeiten, die Notwendigkeit ihrer
Funktion zu rechtfertigen. Mit letzter Kraft halten sie sich fest an
metaphysischen Kategorien und, weil das heutige Weltverständnis kein
metaphysisches mehr ist, verleugnen sie den symbolischen Charakter der
Glaubenswahrheiten - obwohl die Bekenntnisformeln seit je her
"Symbolon" genannt werden - und stilisieren sie um zu
quasi-physischen Realitäten: Weil sie die Atrozitäten des Nazi-Regimes in
keiner Weise mit sich in Verbindung gebracht sehen wollen, haben sie so, z.B.,
im Rahmen einer ökumenischen Textrevision das (faktische) "Übel" des
Vaterunsers in das (metaphysische) "Böse" verwandelt. Aber zu spät.
Es ist Zeit, daß wir uns zu unserer Natur bekennen, daß wir nicht länger
verdrängen und all das Abscheuliche in uns in ein Jenseits von uns verweisen.
Schließlich war genau das die Taktik der Nazis. Die Fundamentalisten in aller
Welt aber hegen und pflegen immer noch ihre projizierten Greuel. Es kann ihnen
so verborgen bleiben, daß sie und niemand anderer diese Feinde erzeugen. Das
"Böse" ist das Produkt der "Guten". Die Bösen sind nämlich
böse, weil die "Guten" ihnen durch ihre Abwehr übel mitspielen. Wie
lange soll das noch so weitergehen? Sollen wir die Fundamentalisten ausrotten,
um das Übel zu beseitigen? Nein, wir fragen besser, warum sie so böse sind auf
ihre Feinde. Es ist ein altes Mittel der schwarzen Magie: Wo die
Selbsterkenntnis zu schmerzhaft wäre, benutzt man die drohende Gefahr dieses
Schmerzes (=die Höllenangst) als Triebmittel. Das meinte Jesus, als er vor dem
"Sauerteig der Pharisäer" warnte. Es ist einfach Besessenheit. Aber
von wem oder was sind diese Menschen besessen? Von der Angst vor dem Leben.
Anstatt Gott als liebenden Helfer zu sehen, fürchten sie ihn so, daß sie heulen
und mit den Zähnen knirschen. Es ist zum Weinen! "Und erlöse uns von dem
'Bösen'", sagen sie und zur Vorsicht bauen sie sich Arsenale von Waffen,
um es notfalls selber erledigen zu können. Die alte Hexereil Dabei könnte von
dem Geld, das so in die Beschwörung des Bösen gesteckt wird, das
"Übel" tatsächlich beseitigt werden. Eine Ironie des Schicksals?
Nein, nur eines der fundamentalen Gesetze des Lebens, seit den ältesten Mythen
bekannt, von allen Propheten unter Lebensgefahr vorgeführt und sofort wieder
verdrängt. Wird es je anders werden? Kann es je ein Paradies geben?
Die Menschen werden immer
versucht sein, sich für besser zu halten als ihre Artgenossen, sich Vorteile zu
verschaffen auf Kosten anderer, sich wichtig zu nehmen, zu meinen sie hätten
Anspruch, ohne etwas geben zu müssen - und das ist ganz natürlich, denn jedes
Wesen ist tatsächlich das Zentrum der Welt. Es braucht allerdings eine Weile
bis wir erkennen, daß für die anderen das gleiche gilt. Und dieses Erkennen
bedeutet für die meisten von uns eine harte Erfahrung. Aber sie wirkt. Es ist
dann nicht eine von außen kommende Moral, die uns zum Verständnis für die
anderen führt, sondern die Einsicht in die Realität. Und das sollte die, die
heute den Zerfall der Moral beklagen, beruhigen. Der Ausgleich der Interessen
auf diesem Planeten läßt sich heute nicht mehr durch äußerliche Gebote
erreichen. Sie lassen die Menschen kalt. Aber es gibt einen anderen Weg, es hat
ihn immer schon gegeben und heute ist es der einzige, der bleibt: Wie das
Individuum am Boden seiner Depression die realistische Lösung findet, die ihm
durch seine Einbildung bis da hin verborgen war, so kann das auch Gruppen,
Völkern, Rassen und schließlich auch der Gattung insgesamt gelingen. In der
tiefsten Not gebiert die Erde die Erlösung, wie es in einem Adventlied heißt.
Das ist nicht bloß eine "geoffenbarte" Verheißung, das ist ein
Naturgesetz. In der tiefsten Not wird die Einbildung gegenstandslos und ein Weg
tut sich auf, der bisher verstellt war: der Weg des Verstehens, des Begreifens,
des Berührens. Die Liebe, die gibt ohne zu verlangen, löst den Trotz, die
Paranoia, die Angst und die Gier. Diejenigen, die hinuntergestiegen sind in die
Hölle, wie Jesus und viele andere (vgl. u.a. die Berichte von Menschen, die
klinisch tot waren und wiederbelebt worden sind), sind imstande, diese Aufgabe
zu erfüllen, die Unheilbaren zu heilen, durch ihr Beispiel die Einbildung
aufzulösen. Das ist Offenbarung - etwas ganz Realistisches, im Gegensatz zu dem
mystisch vernebelten Begriff, den die Theologen benützen um ihre Existenz zu
rechtfertigen - die sie gar nicht rechtfertigen müßten, wenn sie wüßten, wovon
sie sprechen. Habt keine Angst, liebe Theologen, auch wenn keine Vermittler
zwischen Gott und Mensch gebraucht werden, so werden doch die gebraucht, an
denen alle den "Gott mit uns" (= "Immanuel" = der Messias)
sehen können. Das sollt ihr sein, nicht Interpreten irgendwelcher
"geoffenbarter" mysteriöser Worte.
Aber wie werden wir zu
diesem sichtbaren "Gott mit uns"? In einer dunklen Zeit (es gibt auch
"helle" Zeiten, wo alle diese Notwendigkeit begreifen) geht der Weg
da hin durch Versuch und Irrtum und über die schmerzhafte Überwindung
eingeprägter Einbildungen. Wenn wir die Wege, die zu einer realistischen
Einstellung dem Leben gegenüber führen, vergleichen, können wir sehen, daß wir
den Maßstab für das Richtige in uns haben, daß wir aber lernen müssen, diesen
Maßstab anzuwenden. Es ist bei uns wie mit der Instinktsteuerung der Tiere: Das
Programm ist da, aber es muß nachvollzogen werden, damit es wirksam werden
kann. Bei den Tieren geschieht das im Spiel und auch bei uns wäre es so, wenn
wir uns nicht so viel auf unsere Intelligenz einbilden würden. Dadurch nämlich
unterdrücken wir die spielerische Auseinandersetzung und müssen die Dinge, die
wir lernen möchten systematisch üben.
Aber Übung kann nicht zum
gewünschten Ergebnis führen und sie ist sogar schädlich, solange wir von einem
fremden Geist abhängig sind - das Bateson'sche "double-bind" -
solange wir uns verpflichtet fühlen, unserer eigenen Einsicht zu mißtrauen.
Denn so lange trainieren wir nur unsere Spaltung. Deshalb heißt es in allen
spirituellen und esoterischen Schulen, wir müßten nicht lernen, sondern
verlernen, wir müßten alles vergessen, was wir jemals gelernt haben. Und
schließlich müssen wir auch das vergessen, was unser Guru oder sonstwer lehrt:
"Und triffst du Buddha unterwegs, töte ihn!" Wenn unser
Selbstbewußtsein erwacht, müssen wir den Meister verlassen, der für eine Weile
die Stelle unserer Eltern übernommen hatte, weil wir darauf trainiert waren,
einem fremden Willen zu gehorchen. Unser eigener Wille ist blockiert durch
unbewußte Tabus und die Botschaften, die unserer Dressur durch die Familie
widersprechen, können wir als echte Möglichkeiten nichteinmal wahrnehmen.
Letztlich muß uns daher auch unser Meister unverständlich bleiben (vgl. das
Problem des Mose mit Khidr) und wir sind genötigt, sein Verhalten zu
mystifizieren. Das "double-bind", unsere Besessenheit durch einen
fremden Geist ist immer noch aufrecht und es bleibt aufrecht, solange wir den
Sprung in die Selbständigkeit nicht wagen. Alles Lernen (Batesons Lernen 0 -
II) bleibt äußerlich und keine Disziplin einer Schule oder eines Ordens kann
uns zu uns selber führen. Immer bleibt ein unendlicher Abgrund. Jedes
Lernprogramm ist erneut ein fremder Geist und wir würden den Teufel durch
Beelzebub austreiben wollen. Jesus hat es nicht so gemacht. Er hat den fremden
Geist erkannt und bloßgestellt. Nur so konnte er ausfahren. Es gibt keinen
anderen Weg. Übungen können uns höchstens zur Erkenntnis ihrer Absurdität
führen, also dazu, daß wir diesen eigenmächtigen Weg aufgeben.
Aber wir tun alles, um
dieser letzten Konsequenz zu entkommen. Alle möglichen Methoden erlegen wir uns
auf, um uns von eben dieser Erkenntnis abzuhalten, denn, es ist uns eingeprägt,
wie Bateson festgestellt hat, die Wahrheit darf nicht ans Licht kommen, das
wäre unser Untergang. Wessen Untergang? Der Untergang der (möglicherweise
posthumen) Herrschaft unserer Eltern und deren Eltern über uns. Die Tradition
der Besessenheit reicht weit zurück. Unsere Eltern haben sie uns übertragen und
eingeprägt, indem sie uns bestraften und uns klar machten, daß sie unsere
Existenz nicht weiter fördern würden, wenn wir sie verrieten. "Aber,
aber", wirst du nun vielleicht sagen, "meine Eltern liebten mich
doch. Sie wollten nichts Böses". Richtig! Aber gerade dadurch ist ja diese
Doppelbindung entstanden. Hätten sie dir die Fußtritte gegeben, die sie
manchmal im Sinn hatten, wärst du nicht gespalten worden. (das hat Rollo May
festgestellt, als er untersuchte, warum Frauen, die von ihren Eltern schwer
mißhandelt und vom Vater vergewaltigt wurden, nicht neurotisch geworden sind),
aber sie durften ihre "bösen" Gedanken nicht zugeben, sie mußten sie
verbergen. Hätten sie ihre Gefühle unzensuriert ausgedrückt, so hätten ihre
Zeit- und Stammesgenossen so getan, als könnte ihnen etwas so Abscheuliches
niemals in den Sinn kommen. Sie hätten endlich ein Opfer gehabt, auf das sie
ungehemmt ihren Ärger loslassen konnten. Und sie wären nicht stark genug
gewesen diese Schande zu ertragen und noch viel weniger, diesen Scheinheiligen
entgegenzutreten. In der Todesangst also, die ihnen selber nie ganz zum
Bewußtsein kam, haben sie die "bösen" Gedanken in sich verdrängt und
dich dazu veranlaßt, das Gleiche zu tun.
Vielleicht ist dir diese
Todeangst jetzt ganz nah, in dem Widerwillen, den du vielleicht in dir
aufsteigen spürst gegen meine Aufforderung, das Böse herauszulassen, ehrlich
deine Gefühle zu leben, so gräßlich sie dir zu sein scheinen, dich zu deiner
Tierheit, deiner Bestialität zu bekennen. "Oh wie garstig", höre ich
dich sagen. Ja dann, suche nur weiter nach der perfekten Methode der
Selbstbeherrschung und pflanze das Böse fort, indem du es versteckst. Willst du
aber, daß es seine heimtückische Macht verliert, dann gib endlich zu, daß es in
dir ist, daß du das Tier bist, das Ungeheuer, das dich in deinen Träume
verfolgt. Erkenne dich selbst und leugne es nicht länger. Dein
Heiligkeitsstreben ist die letzte Ausflucht, das letzte Versteck deiner Bosheit
(vgl. Lao-tse 19: "Brich ab die Heiligkeit, verwirf die
Klugheit..."). "Nein, nein, nein, nein, das kann nicht sein"
zetert es in dir, du versteifst deinen Nacken, hebst den Brustkorb und setzt
die milde Miene des Wissenden auf. Du hast es geschafft. Du hast dich selber
überzeugt. Beinahe wäre es schiefgegangen! Beinahe wärst du erkannt worden!
Aber - du bist erkannt worden, du hast es nur wieder einmal geschafft, dich
selber zu täuschen. Wie oft willst du der Wahrheit noch davonlaufen? Aber lauf
nur, lauf! Es macht nichts, noch nicht, obwohl es schade ist um jeden Tag, den
du dich verleugnest.
Du mußt wissen, diese Welt
ist dialektisch aufgebaut; ohne das "Böse" zu akzeptieren, kannst du
auch das "Gute" nicht haben. Du kannst zwar die Wellenbewegung
einschränken, indem du dich versteifst (denk daran, wie steif die Weißen
geworden sind im Vergleich zu den Schwarzen), aber meinst du, daß in dem, was
da herauskommt, noch Leben ist? Du sagst zwar, du fühlst dich ganz gut, aber in
Wirklichkeit bist du nur abgestumpft. Das einzige, das du noch fühlst, sind
deine, vielleicht frommen, Rationalisierungen. Damit will ich nicht sagen, daß
es keine echte Frömmigkeit gibt, ja nichteinmal, daß Frömmigkeit nicht ein Weg
für alle sein kann, sondern daß niemand ohne Schaden zu nehmen den Weg der
Frömmigkeit gehen kann, dem das Leben diesen Weg nicht bestimmt hat, der ihn
nicht gehen kann ohne etwas in sich zu verleugnen. "Wer aber die Welt
verläßt und doch an Sinnendinge denkt, den hat ein heuchlerischer Wahn"
(Bhagavadgita 3,6).
Was motiviert Menschen, den
spirituellen Weg einzuschlagen. Oft ist es eine Mischung aus Selbstmitleid und
Machtgier. Das Selbstmitleid führt uns in die Obhut einer Religion, wo wir
insgeheim hoffen, ohne Gefahr, durch magische Praktiken Macht über die (Kräfte)
zu bekommen, von denen wir uns bedroht fühlen. Die anscheinend wundersamen
Kräfte der "Erleuchteten" faszinieren uns. Wir wollen sie auch haben.
Und so tun wir mit unserem Guru, was Verliebte mit ihren Geliebten tun, wir
hüllen sie in einen Glorienschein, in dem sie den Schwierigkeiten des Lebens
schon entrückt erscheinen. Und das erzeugt neue Mißverständnisse. Es ist zwar
so, daß der Erleuchtete nicht mehr beherrscht wird von Einbildungen, aber den
Tatsachen des Lebens bleibt er ausgesetzt, denn unser Körper mit all seinen
Bedürfnissen ist eine Tatsache für alle. Aber gerade das wollen wir nicht
wahrhaben. Das zu leugnen verlangt unsere double-bind-Loyalität, die unseren
Körper und seine Ansprüche zu unserem Problem macht, die uns zwingt, ihm
entfliehen zu wollen in ein esoterisches Reich, in dem wir der Materie nicht
unterworfen sind, in dem wir die Materie beherrschen durch unseren
"Geist". Und daher interpretieren wir die Aussagen der spirituellen
Lehrer nur allzugern in dieser weltflüchtigen Weise. Aber die
gnostisch-dualistische Sicht von Geist und Materie, von Gut und Böse, ist eine
Illusion, die auf unserem psychischen Zustand beruht, der uns noch nicht
erlaubt, die Realität zu sehen, wie sie ist. Die Wirklichkeit macht uns noch zu
viel Angst.
Wir wissen zwar
(intellektuell), daß wir werden sollen wie die Kinder, aber wir können es nicht
glauben, uns fehlt das Vertrauen. Wir wollen bestimmen, aber gleichzeitig wagen
wir uns nicht auf die freie Wildbahn. Wir wollen auf Nummer Sicher gehen und
daher im Voraus wissen, was gut ist und was schlecht (die Ursünde). Deshalb
wollen wir das Schlechte ein für allemal ausrotten und uns fortan in einer
rational geordneten Welt auf unseren Lorbeeren ausruhen. Aber leider läuft die
Sache nicht so (Es wäre auch traurig). Was uns als rational erscheint, ist
nämlich völlig irrational, weil es von einer Rationalisierung, einer zum Zweck
der Verschleierung eingebildeten Idee, ausgeht. In Wirklichkeit sind gut und
böse immer relativ und keine Position läßt sich ein für allemal erringen. Wenn
wir das aber akzeptieren, können wir werden wie Kinder, wie Jesus es verlangt.
Dann sind wir konfrontiert mit der ganzen Bandbreite der Wirklichkeit. Die
Automatik unseres Organismus läßt uns jeweils der Situation angemessene
spontane Gefühlsausbrüche erleben, die uns anfangs oft schrecken werden, aber
es gibt nun keine Fixierungen, keine Hang-ups mehr. Und so können wir jetzt
klar sehen, daß auch ein Erleuchteter das "Böse" in sich nicht
unwiderruflich besiegt hat und daß er es auch gar nicht besiegen will. Und so
brauchen wir keine mysteriöse Theorie mehr, um uns zu erklären, warum er böse
wird, wenn ihn etwas ärgert. Es ist ganz natürlich, wie es auch natürlich ist,
daß er zugreift, wenn sich eine Chance bietet. Wenn er eine Übereinstimmung
erkennt, fragt er nicht nach Formalitäten.
Auf diese Weise hat,
beispielsweise, die "Jungfrau" Maria Jesus empfangen, getreu ihrem
ehrlichen Empfinden, über das sie keinem Eherechtler Auskunft geben muß. Das
Ergebnis war ein Messias. Empfangen im Zeichen der Wahrheit des Erkennens,
hatte er keine Erbsünde. Er brauchte von Anfang an nichts verleugnen. Von
Anfang an konnte er sein, was er war, ein Gott, wie nach Jesu eigenen Worten
(Jo 10,34f) alle Götter sind, die zu ihrer Wahrheit gekommen sind - oder, wie
AI Ghazali es sagt: "Da ist nichts als Allah unter meinem Gewand".
Und du erwartest immer
noch, daß da jetzt nichts Böses mehr ist, nur noch Mitleid und Güte? Die
heiligen Schriften sollten dich eines besseren belehren. Sie sprechen vom
"Zorn", ja sogar von der "Rache" Gottes. Die ganze
Bandbreite der Natur findest du in Seinen Namen.
In mir ist das All, ich bin
Gott an dem Punkt, an dem ich bin. Und da verwirkliche ich, was in mir angelegt
ist, ohne Angst und ohne Zögern. Wenn es sein muß, gebe ich den Tod und wenn es
sein kann, genieße ich die Freuden dieses Lebens, eben wie ein Kind es tun
würde. Es gibt keinen Grund zur Zurückhaltung. Der Unschuld ist alles erlaubt.
Und du brauchst auch nicht auf die Erleuchtung zu warten. Du kannst es gleich
tun, dann bist du schon erleuchtet. Daß du es tust, ist die Erleuchtung, sonst
gar nichts. - "Aber heißt es nicht 'Quod licet Jovi non licet bovi'?"
Nun, wenn du ein Rindvieh bist, dann darfst du es natürlich nicht. Du darfst
nicht das, was die tun, die dich faszinieren; du bist du, du darfst nur tun,
was du liebst.
Nun ist auch klar, daß
keine Übung dich dort hin führen kann. Nur daß du es tust. Vielleicht
schüchtern, ängstlich zuerst, aber tun mußt du es, auch wenn deine Schritte
noch so unsicher sind. Wenn du den Schmerz des Fallens vermeiden willst, gibt
es nichts, das dir helfen könnte. Du kannst tausend Jahre lang spirituelle und
esoterische Übungen machen, in den Himmel kommst du dadurch nicht, höchstens in
den Himmel der Angeber, was natürlich auch etwas ist: ein Jammer, der allen
offensichtlich ist, außer dir. - Womit ich nichts gegen die Angeberei sagen
möchte. Auch Kinder geben an, aber sie brauchen keine verschämt hinterhältige
Theorie zur Rechtfertigung. Benütze alles, befreie dich von deinen Tabus. Alles
ist drin. Anything goes. Und solltest du noch irgendwelche moralischen Bedenken
haben, solltest du noch irgendetwas schlecht finden, was irgend jemand tut und
sollte noch irgendein menschliches Verhalten jenseits deiner Vorstellungswelt
liegen, dann sollst du wissen, daß der Fehler nicht bei denen liegt, die das
Gräßliche tun, sondern bei deinem beschränkten Einfühlungsvermögen. Gott tut
alles. Er liebt, er haßt, er zeugt, er mordet, er vergewaltigt, er lügt, er
hurt, er verfolgt Hexen und hext selber. Alles ist drin. Nur was deines ist,
das steht nirgendwo geschrieben als in dir selber.
Es ist ja unwahrscheinlich,
daß du "berufen" bist ein Gangster zu werden, aber ebenso
unwahrscheinlich ist es, daß du berufen bist irgendetwas anderes zu werden. Für
jeden hat das Leben etwas Eigenes. "Dieses Tor war nur für dich
bestimmt" sagt der Torhüter zu Kafkas "K.", als er es
abschließt. Schade, wenn du es erst erkennst, wenn es nicht mehr aufgeht.
Und doch gelten die Gebote
und ihr karmisches Gesetz: Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Wer davon lebt
andere umzubringen, wird vermutlich irgendwann selber umgebracht werden. Und an
den Gestaden der Sirenen bleichen tatsächlich die Gebeine der Verführten. Wenn
du daher nicht sicher bist, daß das, was du vor hast, dein ehrlicher innerster
Wunsch ist, dein Weg des Herzens, dann folge lieber dem Gebot, bevor du dich
ruinierst. Dazu sind die Gebote da. Sie beschützen niemand vor Mördern und
Betrügern (eher machen sie die Allzufolgsamen anfällig), aber sie schützen
jene, die nicht berufen sind, Mörder und Betrüger zu sein davor, auf diese
gefährlich Bahn zu geraten. Für einige wenige dagegen ist es natürlich, sie
haben eine kathartische Funktion, und manche von ihnen lassen nach vielen
Morden immer noch unschuldig ihr Leben. Auch Kinder sind grausam, wie jeder
weiß.
"Das ist doch
haarsträubend, so etwas zu behaupten!" Nicht die Behauptung, das Leben ist
haarsträubend. Täusche dich nicht, überlege lieber, wo deine Schwelle liegt.
Sie ist bei jedem anders, das Ergebnis seiner Programmierung.
Ist unsere Programmierung
dann unser "Weg des Herzens"? Nein, aber sie ist unser Ausgangspunkt.
Der Weg des Herzens ist der biologisch vorprogrammierte Weg aus der
persönlichen Programmierung, aus der Dominanz der Ideale, die uns eingeprägt
worden sind. Was uns anzieht, markiert den Weg. Der Weg des Herzens ist wie der
Weg des Wassers, der Talgeist ist unser Führer (Lao-tse 6).
Nicht unser Streben führt
uns in den Himmel, sondern die natürliche Gravitation. Unsere menschliche Natur
ist zum Glück so stark, daß sie alle unsere Verirrungen korrigieren kann. Aber wir
können sie nicht korrigieren, wir können sie nichteinmal erkennen, wie die
Erfahrung zeigt, weil wir völlig gefangen sind in unseren eigenen
Rationalisierungen, die aber eben gar nicht unsere eigenen sind, wie wir
gesehen haben. Wir leben in der paradoxen Situation, daß das, was wir uns
selber zugute halten, womit wir uns gegen die anderen abheben, was wir für
unser "Ich" halten, nur ein Programm ist, das unsere Eltern uns
eingepflanzt haben, um ihre Schwäche, ihre Angst zu verbergen. Und was soll
dieses "Ich" zudecken? Die Wahrheit, daß wir Tiere sind, daß wir
unser Leben nicht in der Hand haben und letztlich, daß wir nicht der Einsicht
unseres Herzens folgen, sondern dominiert sind von fremden Mächten, deren
Wirken wir rationalisieren.
Jedesmal, wenn das Volk
Israel in so einer Situation war, kam ein Prophet, der versuchte den Leuten
klar zu machen, daß sie von dem einen Gott abgefallen waren, trotz Tempeldienst
und Frömmigkeit. Aber die emotionale Kraft der Verdrängung ist stark und so
erschlugen sie lieber die Propheten, als sich einzugestehen, was sie eigentlich
wollten. Nichts hat eine stärkere Tabukraft als dieses eingebildete Ich.
Notwendig isoliert es die Menschen mehr und mehr voneinander, bis die daraus
entstehende Bedrohung für alle physischen Schmerz erzeugt. Und erst wenn dieser
Schmerz größer ist, als der Schmerz des Eingeständnisses, der Schmerz der
Lösung von diesen alten Loyalitäten, ist der Umkehrpunkt erreicht. In der Bibel
zeigt das die Geschichte von Gideon (Ri 6—8). Diese Geschichte zeichnet den
ganzen Zyklus nach, Wellenberg und Wellental, wie am Tiefpunkt der Entfremdung
die Not physisch spürbar wird und aus sich die Rettung gebiert. Das Zeichen des
alten Gottes wird abgeholzt und die Kraft des lebendigen Gottes (Jahwe = ich
bin der ich bin), der Lebenswille der Bedrängten, beseitigt die äußere Gefahr,
die Kurve steigt an, die Erfahrung des Lebensgeists (Jahwe) ist nicht mehr
unmittelbar, die Vorstellung davon wird formalisiert, ein Bild Gottes wird aus
Gold gegossen (wie im Christentum zur Zeit von Konstantin) und damit ist auch
der "elan vitale" am Ende, auch wenn die Bewegung durch ihre Trägheit
noch weitergeht und es lange dauert, bis der Zerfall wieder physisch spürbar
wird.
Wir erleben gegenwärtig die
Wende, eine neue Zeit Gideons Der Pfahl des alten Gottes ist bereits umgehauen.
Die Jungen lösen sich von den Normen der Alten. Der Generationskonflikt, den
wir erleben, ist nicht "normal". Bei Völkern, die mit ihrer Natur
verbunden leben, gibt es ihn nicht. Es ist kein Zufall, daß die Kultur der
Schwarzen unsere Kultur zu dominieren beginnt, denn die Schwarzen symbolisieren
den Körper, das Unbewußte, die Natur. Sie verlangt ihr Recht.
Auch wenn es beinahe noch
aussichtlos erscheint, gegen die Übermacht der Rationalisierer anzukommen, das
Leben selber bricht sich die Bahn. Wenn wir es schaffen müßten mit unseren
rationellen Mitteln, wäre es hoffnungslos, aber hier ist eine viel größere
Macht am Werk, als all unsere Anstrengung vermag. Es geht von selber. Wir
brauchen dazu die Welt nicht wieder mythologisch zu verzaubern, wir brauchen
keine "Gaia-Theorie", die die Erde zu einem menschenähnlichen Wesen
macht, das Dinge "tut". Wir brauchen auch nicht zurückkehren zu dem
mittelalterlichen "Gott", der unsere Befreiung "bewirken"
soll, denn der Gott, den wir da spontan assoziieren, der Gott der vergoldeten
Statuen, ist tot, aber es könnte hilfreich sein, wieder auf den alten Namen
Jahwe zurückzugreifen, den "Ich bin der ich bin", denn dann haben wir
die Verbindung wiederhergestellt, dann kann die Geschichte von Gideon wieder
eine Verheißung sein, daß nämlich diese urige Kraft selber sich immer wieder
durchsetzt und alle Entfremdung hinwegfegt. In ihr liegt unsere Befreiung.
Und nun wollen wir uns
ansehen, wie ihr Programm abläuft. Neben C.G, Jung, E. Neumann, M. Eliade und
anderen hat das Joseph Campbell beschrieben in dem Buch "Der Heros in
tausend Gestalten". Wir sehen, daß diese archetypische Geschichte der Befreiung
schon seit je her dargestellt worden ist als die gefährliche Reise eines Helden
in dem Himmel, in die Unterwelt und zurück. Es ist keine Frage, wir selber sind
diese Helden. Durch die Überwindung der Hindernisse und Gefahren erfolgt die
optimale Entwicklung unseres Organismus. Das ist der Weg der Evolution. Ob wir
es wollen oder nicht, wir haben die Abenteuer des Lebens zu bestehen. Wir
werden nicht um unsere Zustimmung gefragt. Wir sind "hineingeworfen",
wie die Existentialisten richtig festgestellt haben. Was viele von ihnen
allerdings nicht begriffen haben, ist der Ausweg aus der Hölle. Aber das ist
die Grundlage der Evolution. Solange sich der Ausweg nicht auftut, halten wir
immer noch etwas zurück. Wir lassen uns nicht ganz fallen. Wir fühlen eine "Sinnlosigkeit
der Existenz", wenn wir stehenbleiben bei der Erkenntnis, daß das Leben
nicht in unserer Macht steht. Wir halten uns krampfhaft an unseren
Vorstellungen, an unserem "Ich" fest. Wir wollen bestimmen und müssen
wieder und wieder erleben, daß es nicht geht. Und wir müssen diese Frustration
so lange erleben, solange wir uns nicht dem Fluß hingeben. Das ist die Gefahr
auf unserer Reise durch die Welt. Das bringt unsere Existenz auf Messers
Schneide. Aber gleichzeitig ist dieser Kampf (mit Gott, wie der biblische Jakob
ihn erlebt hat) schon ein Teil unserer Hingabe. Wir sind bereits erfaßt. Früher
hat man das "Gnade" genannt und auch "Geist", etwas, das
uns hinzieht zum Glück.
Es ist der Geist der Natur
in uns; er versucht mit dem Geist der Natur, wie er uns entgegentritt, eine
Synthese zu bilden, eine Symbiose des Inneren und des Äußeren. Wir wollen
unsere Chreode finden, den Ort, an dem das in uns Angelegte sich entfalten
kann, in dem sich unsere Entfremdung lösen kann, wo wir sein können, was wir sind.
Der Weg dort hin ist mit Hindernissen übersät. Schon einmal bis wir erkennen,
daß wir unser Paradies ganz bewußt anstreben müssen, bis wir herausfinden, was
wir wollen. Das ist uns Neurotikern ja das Verborgenste. Damit beginnt unsere
Suche. Unbestimmt, blind tasten wir uns vor. Wie eine Ranke, die einen Halt
sucht. Ehe wir wissen, was wir suchen, hat uns etwas in uns schon auf den Weg
geschickt und wir rennen uns den Kopf an und fallen auf den Hintern, viele
Male. Wir sind in dem Zustand, von dem Don Juan bei Castaneda sagt, daß wir
unseren Willen noch nicht gefunden haben, daß unsere Absicht nur vage ist.
Wie kann sich das ändern?
Es wird sich so lange nicht ändern als wir Vorstellungen darüber haben, wie
sich ein freier, sich selbst bestimmender Mensch verhält, solange wir im Voraus
zu wissen glauben, wie Spontaneität aussieht, solange wir sie, wie wir meinen,
"direkt" anstreben, während wir in Wirklichkeit nur einem
vorgestellten Bild nachjagen. Während wir das tun, laufen wir von Seminar zu
Seminar, von Workshop zu Workshop, um uns sagen zu lassen, wie es geht. Aber
wer sollte uns sagen können, was in uns angelegt ist? Trotzdem, es ist uns
eingetrichtert worden, daß es für alles eine Methode gibt. Und so
"arbeiten" wir an unseren Blockaden, versuchen Chakra um Chakra zu
öffnen, Jahre um Jahre, um schließlich festzustellen, daß das ein äußerst
langwieriger Prozeß ist und daß wir, wenn wir uns die Freiheit von da erhoffen,
nie frei sein werden - das sagt auch Alan Watts - denn immer noch wird es etwas
zu lösen geben. Und schließlich wird unsere Konzentration auf das Lösen von
Blockaden uns total verkrampfen, weil die willkürliche Konzentration eben ein
Krampf ist. Es ist der verkehrte Weg. Ein Hirngespinst von Freiheit
tyrannisiert uns, eine eingeprägte Vorstellung, daß wir einen Meister brauchen,
daß wir sozial nicht über eine bestimmte Stufe aufsteigen dürfen. Die
überlieferte Hackordnung, unsere Kaste. Das Ergebnis ist eine Verfestigung des
Panzers, der Aufbau der perfekten Ausrede.
Der Weg, Tao, geht ganz
anders. Und das ist ein echtes "Evangelium", eine frohe,
krampflösende Botschaft: Wir brauchen gar nichts "lösen" und wir
brauchen keinen Meister. "Der Tag wird kommen, da werden sie weder hier
noch dort, sondern im Geist und in der Wahrheit anbeten" (Jesus bei
Johannes 4,23). Wir dürfen von der Voraussetzung ausgehen, daß wir schon frei
sind, so gebunden wir uns auch fühlen, denn niemand kann besser wissen als wir
selber, was für uns richtig ist. Die frohe Botschaft ist genau das, daß wir
niemand folgen brauchen, so bewährt und weise er auch sein möge, aber daß wir
jedem folgen dürfen, solange wir ihm trauen.
Was ist es dann, was uns
versklavt? Es sind Autoritäten, die sagen, so muß es gemacht werden. Sie haben
uns Vorstellungen und Normen eingeprägt, die unserer Situation nicht
standhalten können. Denken wir an eine Hausfrau, die sich abhetzt, um alles in
Ordnung zu halten und schließlich Valium braucht, um sich zu beruhigen. Was ist
denn ihr Problem? Ein Widerspruch zwischen Realität und Vorstellung. Die
Ordnung, die sie sich einbildet, entspricht nicht mehr der tatsächlichen
Notwendigkeit. Generationenlang mußten die Betten immer aufgebettet sein; es
war selbstverständlich. Und solange es selbstverständlich war, hat die Hausfrau
dabei auch keinen Streß empfunden. Es wäre ihr niemals eingefallen sich darüber
zu beklagen. Aber heute beklagt sie sich über die viele Arbeit. Warum? Weil sie
nicht mehr notwendig ist. Die Gesellschaft legt keinen so großen Wert mehr auf
ordentlich gemachte Betten. Wenn die Hausfrau sich beklagt, steht sie in dem
Widerspruch zwischen der Loyalität ihren Ahnen gegenüber und dem Fehlen der
realen Notwendigkeit. Wenn man sie fragt, warum sie denn die Betten immer
macht, wird sie vielleicht aus allen Wolken fallen und sagen, das sei ja wohl
selbstverständlich. Sie wird es als ein absolutes moralisches Gebot ansehen und
gleichzeitig weiß ein Teil von ihr, daß das tatsächlich nicht mehr zutrifft,
aber dieses Wissen ist noch nicht ins sprachliche Bewußtsein vorgedrungen. Und
weil das Gebot von einer Autorität kommt, wird die Hausfrau jetzt so lange
Valium brauchen, bis sie das Glück hat, eine Autorität zu treffen, die
Verständnis für ihre Schwäche hat und ihr erlaubt, die Zügel, die sie
unrealistisch straff angezogen hatte, locker zu lassen und der Realität
anzupassen.
Das sind
Bekehrungserlebnisse. Eine ungeheure Last fällt ab von einem Menschen, dem
erlaubt wird, endlich seiner eigenen Einsicht zu folgen. Das Glücksgefühl
dieser Befreiung hebt ihn in den siebten Himmel und manche schießen dabei so
weit übers Ziel hinaus, daß sie sich aus Dankbarkeit ihrem Retter an den Hals
werfen und tun, was er verlangt, statt ihres eigenen Willens, zu dem der sie ja
befreien wollte. So etwas sehen wir heute bei den Anhängern Bhagwans. Er ist
weise genug, ihre Verrücktheit zu akzeptieren und sie für sich schuften zu
lassen, denn er weiß, daß die alten Könige auf diese Weise ihre Länder regiert
haben. Die Psychoanalytiker nennen das Phänomen "Übertragung". Es ist
die Übertragung der Loyalität auf eine neue Autorität. Woher kommt diese
Autorität? "Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde",
hat Jesus gesagt (Mt 28, l8) und danach hat er gelebt. Diese Freiheit, die er
damit ausdrückt, zieht uns zu ihm hin. Die Leute wollten sein Geheimnis, aber
sie konnten nicht absehen von ihren Loyalitäten, wie das Gleichnis vom großen
Gastmahl zeigt (Lk 14, 15-24) und so übertrugen sie sie auf ihn. Bhagwan macht
es genauso. Tatsächlich macht er gar nichts, wie auch Jesus nichts
"gemacht" hat. Er exerziert nur seine Freiheit (ob Bhagwan so frei
ist, wie Jesus war, wird sich allerdings erst herausstellen). Das ist das
Geheimnis. Jeder könnte so leben, aber (fast) alle schieben es auf von einem
Tag auf den nächsten. Die Freiheit ist hart und voller Fallstricke. Die Welt
wird wieder zum Dschungel, wunderschön aber gefährlich.
"Viele fürchten den
Tod so sehr, daß sie nicht zu leben wagen", heißt es in einem Hit der
Achtzigerjahre. Das ist unser Problem. Aber wenn wir diesen Prozeß umkehren,
erleben wir unsere Bekehrung. Wir hatten unter einem Zwang gestanden. Wir taten
Dinge, die wir gar nicht wollten, aus Angst um unser Leben, wie ich es oben
beschrieben habe, und um unsere Frustration zuzudecken, taten wir weitere
Dinge, die wir nicht wollten, die uns nicht gut getan haben. Es ist aber so,
daß wir ständig alles wahrnehmen, was nicht richtig ist in dem, was wir tun,
wie wir leben. Und irgendwann kommt der Punkt, wo wir in Gefahr sind, von dem
Nicht-Richtigen überwältigt zu werden. Es hat eine "Geistform"
gebildet, eine (dämonische) Gestalt; es ist ein Energiequantum, das an uns
zehrt, die Urform des Krebsgeschwürs. Und wir suchen verzweifelt nach einem
Ausweg, aber wir sind in der Hand des Dämons und so verstrickt uns alles, was
wir tun, um uns zu befreien, noch tiefer. Schließlich fangen wir an, um unsere
Erlösung zu beten und beginnen, die Dinge anders zu sehen. Da taucht die
archetypische Erlösergestalt auf, vielleicht Jesus, vielleicht Buddha,
vielleicht die Jungfrau Maria, Mohammed, der Erzengel Gabriel oder Bhagwan. Die
böse Frucht ist reif (abgeworfen zu werden) und unter Tränen und Erschütterung
lassen wir sie fallen. Die archetypische Erlösergestalt kann ein physisch
vorhandener Mensch sein oder einfach das "Bild" eines freien
Menschen. Deshalb können Buddha, Mohammed und Jesus auch heute noch ihre
Wirkung haben, in der sie immer noch unter uns sind.
Es ist der Archetyp, der
wirkt, dieses immer individuell gestaltete "Bild" der Freiheit, das
wir alle in uns haben. An sich könnten wir es jederzeit wachrufen, aber aus
Angst unterdrücken wir es, denn es würde alles über uns an den Tag bringen, es
würde uns unsere Nichtigkeit grell vor Augen führen. Es würde uns umbringen,
denn wir (unser "Ich", in dem speziellen Sinn) sind eine Komposition
von Vorstellungen, die in dem Augenblick ihre Gültigkeit verlieren. Wir stehen
vor dem Nichts. Aber ist das unser Ende? Das ist das Risiko. Alles wird dann
nämlich unvorhersehbar. Unsere Kontrolle ist dahin. Etwas "anderes"
führt dann die Regie, etwas Unberechenbares. Das ist der Grund unserer Panik,
der Grund dafür, daß wir uns einreden, wir könnten uns diesem Zustand langsam
annähern, indem wir dafür üben. Tatsächlich sind alle diese Übungen nur ein
Ablenkmanöver und es ist nur der Nachlässigkeit der Übenden zu verdanken, wenn
sie nicht katastrophalen Schaden an ihrer Gesundheit erleiden. Wie viele
"Heilige" sind dahingeschwunden durch ihre Methoden und nur wenige
haben, wie der Zen-Patriarch Rinzai, rechtzeitig erkannt, daß der Zweck der
Übungen darin besteht, einen Menschen dahin zu führen, wo ein Alkoholiker
steht, der sich vor seinem Ende sieht. Tatsächlich sind die Übenden nämlich
süchtig und ihre Übungen sind ihre Droge. Erst wenn sie das erkennen, können
sie frei werden - nur meistens meinen sie, die Tatsache, daß sie Übungen
machen, beweise bereits, daß sie wüßten, was sie tun. Sie müssen noch tiefer
hinunter in das Leiden, in die totale Verzweiflung, denn erst in ihr bricht
dieses "Licht" durch, in der Verzweiflung nämlich können wir den
Blick in die Freiheit aushalten, weil wir nichts mehr zu verlieren haben. Da
stirbt das eingebildete "Ich" eines natürlichen Todes und wir sind
frei, endlich diese andere Kraft wahrzunehmen, diesen "ich bin der ich
bin", diese Lebenskraft in uns, die uns sagt: Es ist noch nicht Zeit abzutreten.
Es ist eine Kraft, die Wunder tut. Eine totale Wende ist möglich. Wir sprengen
die Fesseln unserer Voreingenommenheit und entfalten, was wir in uns spüren
ohne weitere Angst vor der Meinung der anderen.
Unsere Situation muß
schlimmer und schlimmer werden, weil unsere Loyalitäten unseren Ahnen gegenüber
(die "Primitiven' haben recht, wenn sie glauben, daß unsere Krankheiten
durch die Geister unserer Ahnen hervorgerufen werden), unsere
double-bind-Situationen, einen Teufelskreis erzeugen: Angst, Mißtrauen -
entfremdetes Handeln - Frustration, Schuld - Ersatz, Verdecken des Fehlers, der
Entfremdung - Angst ... Keine Symptombehandlung kann helfen und wir können
unsere Bekehrung auch nicht "wollen", denn unser bewußter, mit der
Sprache gekoppelter "Wille" gehört eben jenem Teil des double-bind
an, der uns in unser Unglück stürzt, durch seinen "Eigensinn", durch
die Macht der Todesangst. Was in der mythischen Sprache der Theologie
"Gnade" genannt wird, ist jener Zufall, der vielleicht uns erwählt
für die Bekehrung, während viele andere an ihrer Angst zugrunde gehen. Wir
müssen die Möglichkeit akzeptieren, daß wir vielleicht zu denen gehören, die
eingehen, denn solange wir das nicht tun, klammern wir uns fest an unseren
Eigenwillen; so lange stemmen wir uns gegen die Kraft, die in Wahrheit unsere
einzige Kraft ist, die Kraft nämlich, die wir uns nicht selber gegeben haben.
Alles, was wir uns willkürlich aufbauen und sei es die beste spirituelle oder
esoterische Disziplin, ist wie ein Kartenhaus, "auf Sand gebaut", wie
Jesus sagt, von "Illusion" sprechen die Hindus. Es hat seine Kraft
aus der Todesangst, es ist nicht die Kraft des Lebens. Und das zeigt sich (z.B.
in unserer Leistungsgesellschaft). Deshalb heißt es "an ihren Früchten
werdet ihr sie erkennen".
Und während all das läuft,
während wir verstrickt sind in den Kampf, ängstlich auf Zensur bedacht, ist
unsere Freiheit immer gegenwärtig, erschreckend gegenwärtig, denn immer, wenn
wir ihr zu nahe kommen, schrecken wir zurück. Für die meisten von uns braucht
es eine starke Droge, wie LSD, um sie unverhüllt zu sehen. Aber die Wirkung der
Droge vergeht und die drohende Kraft der alten Loyalitäten ist wieder
installiert. So suchen und finden wir den Meister, an dem wir die Freiheit
spüren können. "Er" fasziniert uns, "er" hypnotisiert uns.
In Wirklichkeit tut "er" natürlich nichts. Es ist der Archetyp in
uns, der Grundarchetyp der Freiheit, der uns treibt, uns zu messen mit dem
Meister. Er versteht uns. Wir wissen genau, daß wir verrückt sind - daß alle
verrückt sind, die nicht frei sind - , daß wir aber nichts dafür können. Die
anderen tun so, als ob es unsere persönlich Schuld wäre, der Meister versteht,
deshalb lieben wir ihn. Er nimmt uns unsere Schuld, wie Jesus es getan hat
(vgl. die Geschichte mit der Sünderin Lk 7,36-50) und befreit uns dadurch aus
dem Teufelskreis. Den Schritt in die Freiheit allerdings, den "Sprung in
den Abgrund" (Castaneda), kann er uns nicht abnehmen.
Tatsächlich aber brauchen
wir den Meister von Anfang an nicht. Daß es nicht unsere persönliche Schuld
ist, können wir auch so sehen und wir können ohne ihn sehen, daß wir bereits
frei sind in dem Augenblick, in dem wir uns die Freiheit nehmen. Von da an ist
alles, was wir tun, "kontrollierte Torheit" (Castaneda). Alles ist
uns erlaubt, aber wir müssen bereit sein, die Konsequenzen zu tragen, wir haben
die Wahl (auch Paulus sagt "alles ist erlaubt, aber nicht alles ist gut
für uns"), und für die Dinge, die nicht gut sind, gibt es Erfahrungswerte,
statistische Gesetzmäßigkeiten; die Konsequenzen sind in großem Umfang
vorhersehbar. Es ist nicht eine "Strafe" eines mysteriösen
jenseitigen Gottes, die auf die Mißachtung eines Gebotes folgt (wir sind nur
oft von dieser Vorstellung hypnotisiert, sie ist ein Teil des Ahnengeists, von
dem wir besessen sind), sondern eine ganz natürliche Reaktion. Natürlich ist
aber auch die suggestive Wirkung des Glaubens an einen auf mysteriöse Weise
strafenden Gottes. Wir lassen zu, von einer fremden Macht dominiert zu werden,
wir sind nicht frei, wir leben in Hypnose. Es braucht einen bewußten Akt von
dieser Domination loszukommen (das ist der positive Aspekt der Intention hinter
Ritualen der "schwarzen Magie", auch wenn dies Leute, die eine
schwarze Messe feiern, nicht bemerken) und der Befreier kann nie jemand anderer
sein als "ich bin der ich bin", alles andere ist der Teufel, der
Verführer. Es ist ja nur logisch.
Erst wenn wir da sind,
erleben wir die echte Bekehrung, im Gegensatz zu den Gefühlswallungen, die uns
überkommen, wenn uns endlich jemand versteht. Nun weinen wir nicht mehr aus
Selbstmitleid, sondern weil wir die Nichtigkeit unserer Versuche, etwas sein zu
wollen, erkennen und weil wir gleichzeitig erkennen, daß unsere bisherige
Verblendung keine Rolle spielt, ja daß wir durch sie selber zum Heilmittel
werden können. Es wird uns nichts nachgetragen, so nachtragend wir bis zu
diesem Zeitpunkt auch gewesen sein mögen. Tränen begleiten die Lösung unserer
Spannung und eine ungeheure Dankbarkeit erfüllt uns.
Aber so spektakulär die
Gefühle auch sind, die eine Bekehrung begleiten, sie halten nicht lange an.
Dann kommt der Rückfall in die alte Angst. Und am Anfang dauert es oft lange
bis zur nächsten Erleuchtung. Doch der Same ist gesät. Der biologische
Entwicklungsprozeß ist in Gang gekommen und so werden die Abstände kürzer und
die Zeiten unserer Freiheit länger, die Zeiten, die wir imstande sind, bewußt
zu leben. Und das führt uns zu einem weiteren wesentlichen Motiv des
Bekehrungserlebnisses: die Gemeinschaft der Menschen.
Freiheit ist - gewöhnlich -
nicht die Fähigkeit eines isolierten Menschen, zu tun, was er will, und das
liegt daran, daß Menschen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht allein sein
wollen. Ihr biologisches Entwicklungsprogramm bringt sie nach ihrer
abenteuerlichen Reise in den Himmel wieder zurück zu den Menschen, denen sie
nun ihre evolutionären Gaben bringen, die Lösung ihres Koans, des Problems, das
das Leben ihnen gestellt hat.
In Form des
"ozeanischen Gefühls" ist die Erleuchtung paradoxerweise noch
individuell isoliert und erst die Rückkehr in die Gemeinschaft bringt die
individuelle Entwicklung an ihren Höhepunkt. Die Vereinzelung der Individuen
ist eine Folge der Steuerung durch den Eigenwillen, der als Ehrgeiz wieder
paradoxerweise von den anderen abhängig ist. Die Ehrgeizigen versuchen, das
Problem zu lösen, indem sie versuchen, sich über die anderen zu stellen. Aber
die vermeintliche Lösung ist die Ursache des Problems. Angst ist der Grund,
Konkurrenzkampf das Mittel und Entfremdung und Isolierung die Folge - die
Geschichte des biblischen Sündenfalls.
Bekehrung kehrt den Vorgang
um. Statt uns über unsere Artgenossen zu erheben, "dienen" wir ihnen.
Nicht aus Moral, sondern, weil das unsere Art ist, biologisch gesehen. Und
durch unsere Verirrung sind wir erst richtig ausgerüstet unsere evolutionäre
Rolle zu spielen. Wir kennen das Problem unserer Artgenossen. Die evolutionäre
Kraft hat aus der Not den Erlöser geboren. "0 felix culpa!" Wir sind
frei. Aber Freiheit ist nun keine Freiheit von Bindungen mehr, wie am Anfang,
als wir versuchen mußten, unsere Fesseln abzuwerfen, sondern die Heimkehr in
die natürlichen Regelkreise unseres Organismus. Und das ist mehr, als wir je zu
hoffen wagten, denn darin eingeschlossen sind alle die Fähigkeiten, die einst
unsere ehrgeizigen Ziele waren, alle die Wunderkräfte, die wir begehrten, die
Macht über Menschen, Meisterschaft, materieller Überfluß, die Transzendierung
von Raum und Zeit, genau in der Weise, wie es unserer optimalen Rolle
entspricht an unserem Platz. Natürlich werden nicht alle reich und gebildet
sein. Bei manchen entspricht das nicht dem Platz, an dem sie sich wohl fühlen.
Allein darauf aber kommt es an. Wenn wir an unserem Platz sind, wenn wir uns
eingeordnet haben, ist da alles, was wir brauchen. Mit unserer vollen
Übereinstimmung erhalten wir das Bewußtsein von dem, was wir sind: eine
fließende und doch charakteristische Form im Fluß des Ganzen, ein Spiegel des
Alls. Wir können ein schönes Muster bilden. Darin liegt unsere Freiheit.
Nun könnte der Eindruck entstehen,
daß ich für laissez faire eintrete. Wenn Sie vorhin schockiert waren, als ich
sagte, daß Hitler besser war, als seine Untertanen, dann fragen Sie sich bitte
emotionslos, was das für Sie bedeutet. Der Gedanke an Hitler löst bei vielen
ein Gefühl völligen Ausgeliefertseins aus, aber wir sind nicht hilflos. Wir
können und müssen uns wehren gegen alle Eingriffe in unsere Souveränität.
Hitler war besser, weil niemand fähig war, ihm wirksam entgegenzutreten. Er hat
es nicht gescheut, sein Leben einzusetzen für seine Idee. Die ganze Nation aber
hat nicht einen Märtyrer aufgebracht, der sein Leben an Ort und Stelle gegeben
hätte, um den Tyrannen zu töten. Statt dessen haben sie sich lieber im Krieg
umbringen lassen. Der nötige Antrieb hat gefehlt, die Motivation, das
"Bild". Es gab keine bessere Alternative. Daß sie aber die
Bedürfnisse der Zeit nicht richtig wahrgenommen haben, hören die anderen
politischen Kräfte jener Zeit nicht gern. Lieber stilisieren sie Hitler zu
einem übernatürlichen Monster hoch, zu einer Verkörperung Satans. Aber der
Nationalsozialismus war eine ganz natürliche Erscheinung, die Konsequenz von
fünfzehnhundert Jahren deutscher Kultur. Die Entfremdung war zu groß geworden.
Die Menschen sehnten sich zurück in die Kraft und Geborgenheit des Stammestums.
Und, da das den Notwendigkeiten unserer Zeit und Wirtschaftsentwicklung nicht
entspricht, wurde es aufgelöst. Aber wie stark dieser Drang zum eigenen Wesen
war, zeigt die Macht dieser Bewegung. Aber es war nicht der richtige Weg. Die
Bewegung hat sich daher gewandelt, integriert in die Möglichkeiten unserer
Zeit. Der Drang zurück zur Gemeinschaft ist weltweit geworden und nicht mehr
national beschränkt. Die Neonazis sind keine Gefahr mehr. Die multinationalen
Konzerne haben die Herrschaft angetreten. Die Banken sind an der Macht. Und aus
dem Kampf um ihre Position, der weltweit auch militärisch geführt wird,
entwickelt sich ein Instrument für einen wirksamen internationalen Ausgleich
von Angebot und Nachfrage. Früher oder später setzt sich in der Ökonomie immer
die Vernunft durch. Sie ist stärker als Ideologien und nationale Interessen.
Die Konflikte werden rationell gelöst, mit einem Minimum an Opfern,
international gesehen. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten, denn sie
entspricht der menschlichen Natur.
Das ist diese unumkehrbare,
wellenförmige Bewegung, die sich als Geschichte ausformt. Aber natürlich müssen
die, deren Interessen diese Entwicklung schädigt, dagegen ankämpfen. Aus dieser
Auseinandersetzung entsteht die funktionierende Ordnung, der Kompromiß, die
Symbiose. Die neue Ordnung verlangt, daß jeder für seine Interessen eintritt
und nötigenfalls auch dafür kämpft und sein Leben einsetzt.
Solidarität gehört dazu. Es
ist uns natürlich, füreinander da zu sein. Es tut gut. Unser biologisches
Evolutions-Programm lenkt die Geschichte und es lenkt uns. Es führt uns zu den
jeweiligen Bedürfnissen und Aufgaben, die an jedem Platz und in jedem
Lebensalter anders sind. Zuerst kämpfen wir für ein Territorium, dann tun wir
Dienst darin und schließlich folgt (eigentlich ist es immer schon da) unser
"Leben nach dem Tod" als archetypisches "Bild".
Es ist eine geistige, fleischwerdende
Präsenz (der "Sohn" bei Eckhart), die von uns abstrahlt, ein
einfließendes Muster. Man kann bei Hunden und kleinen Kindern sehr gut
beobachten, wie ihr Verhalten durch die Stimmung ihres Herrn gelenkt wird, wie
sie seine (ihre) Stimmung ausdrücken. "Er bellt die Einsamkeit seines
Herrn in die Nacht", sagt Don Juan bei seinem endgültigen Abschied vor
Castanedas selbständigem Sprung in den Abgrund. Und wie wir unser
"Bild" ausstrahlen, strahlen alle es aus und ebenso empfangen wir
alle diese "Bilder". Es gibt unzählige, die auf uns einwirken, die
uns teilweise hypnotisieren und sie gruppieren sich zu Stimmungen, die wir
empfangen. Stimmungen von Menschen, Tieren, der Natur, des Ortes, der Zeit.
Alles wirkt auf uns und wenn wir es wahr nehmen, stehen wir in
"Kommunikation mit dem Übernatürlichen".
Ein freier Mensch
unterscheidet die verschiedenen Ansprüche und antwortet jedem entsprechend
seinen eigenen Bedürfnissen und Reserven. Auf diesem Bewußtseinsstand sind alle
Menschen Brüder. Nicht weil sie einer egalitären Ideologie aufsitzen, wie
manche religiös oder humanitär Organisierte, sondern weil sie es fühlen können,
weil ihre natürliche Wahrnehmung es ihnen zeigt.
Die Religionen sind das
Ergebnis des Ausdrucks dieser Wahrnehmung. Aber aus didaktischen Gründen wird
das Vorbild rationalisiert und entfremdet von seinem Ursprung. Schließlich
zerfällt die Religion und ein neuer kollektiver Ausdruck findet sich. Wir
erleben diesen Ausdruck heute konzentriert in der weltweiten Kultur der
populären Musik. "Industrialisierte" und "Unterentwickelte"
treffen sich hier im gemeinsamen menschlichen Bedürfnis. Es ist eine allen
gemeinsame Vision, die da entstanden ist. Die Texte geben die neue Moral
bekannt: Offenheit, Ehrlichkeit, Eintreten für seine Rechte und Bedürfnisse,
bewußte Gestaltung des eigenen Lebens, Auflösung des Persönlichkeitspanzers,
Friede, Kooperation, Spaß, Ausgelassenheit, Betroffenheit, Trauer, die ganze
Palette unserer Gefühle und Ausdrucksmöglichkeiten in aller Öffentlichkeit.
"Do It In The Streets". Laß dich nicht schrecken, keine Angst!
Die Einstellung der
Menschen verändert sich angesichts der Bedrohung und damit bricht das alte
System zusammen. Entsprechend dem Druck der Gefahr entwickelt sich die neue
Ordnung. Der Zusammenbruch des Alten zeigt sich auf allen Gebieten, Justiz,
Medizin, Bildung, überall geringer werdende Effektivität bei steigenden Kosten.
In den USA gibt es bereits Lehrer, die ihren Dienst in kugelsicheren Westen
tun. Die, für die es betrieben wird, interessiert dieses System nicht mehr. Es
entspricht nicht ihren Bedürfnissen. Aber einige Lehrer werden noch dran
glauben müssen, bis es der Mehrheit bewußt wird, daß es längst so ist, daß da
eine Milliarden verschlingende Organisation existiert, deren Energie ein
isometrischer Kraftakt aufbraucht, sodaß nicht mehr viel herauskommt. Das
System ist am Ende, aber es rollt weiter aus dem Schwung vergangener Zeiten.
Eine Reorganisation des Ganzen scheint den meisten noch unvorstellbar, sie wird
aber klar, wenn wir den Verlauf der gesamten Welle betrachten. Das Problem wird
aufbrechen wie ein Geschwür und es wird weh tun, dann ändert sich die Einstellung.
Es zieht sich quer durch unsere Kultur. Auf allen Gebieten zeigt sich der
Bruch. Aber der Patient ist bereits teilweise erwacht und die Heilkräfte haben
begonnen zu wirken.
Der Bruch kam durch die
Verkrampfung, in die die Industriekultur geführt hat. Aber genau hier beginnt
sich der Krampf zu lösen, wo er anderswo erst beginnt (in den
"Entwicklungsländern"). Statt der sonst üblichen Revolutionen erleben
wir (weil in den Industriestaaten eine bewaffnete Revolution keine Chance mehr
hat) eine "sanfte Verschwörung". Und die Zahl der Menschen, die von
dieser Bewegung erfaßt sind, nimmt mit jedem Tag zu. Es geht um gewöhnliches
menschliches Zusammenleben. "No hassle". Keine treibende Uhr mehr,
die vierundzwanzig Stunden am Tag tickt oder piepst. Nichts gegen Uhren, aber
wir sind einfach zu kompliziert um so gleichmäßig zu schnurren wie sie.
Trotzdem ist es uns durch unsere industrielle Kultur eingeprägt. Es ist irr.
Auch wenn wir unsere Exkremente geruchlos beseitigen und uns deodorieren, sind
wir doch keine Roboter. Wir sind nicht so einfach wie unsere Erfindungen. Es
gibt da die verschiedensten Rhythmen und der acht-Stunden-Tag demoliert sie.
Doch das wird sich ändern. Die Natur sorgt dafür. Sie drängt und drückt und
erzeugt so lange Fehlleistungen, bis ihr ihre führende Rolle wieder zuerkannt
wird. Im Leben kann nichts auf Dauer unterdrückt werden. Alle Ströme müssen
fließen und nach ihren Rhythmen muß auch meine Arbeit laufen. Dann erst bin ich
frei.
Es ist wichtig, daß wir
"unser Ding" finden, das wir beherrschen, das wir lieben, damit
unsere Liebe uns leiten kann. Wenn von "Liebe" die Rede war, meinte
man (das offizielle Denken, die Autoritäten) früher oft etwas Esoterisches,
etwas ganz Erhabenes und Reines, nicht von dieser Welt, Und tatsächlich ist die
Liebe all das auch, von einer bestimmten Perspektive aus gesehen, aber wir
haben damit dennoch total aus den Augen verloren, was wir meinen, wenn wir
sagen "ich liebe". Das ist nämlich ganz sicher nicht etwas, das wir
nicht mögen. Liebst du deinen Nächsten? Manche schon, andere wieder weniger.
Entweder wir lieben oder wir lieben nicht. Das läßt sich nicht gebieten. Und
doch hat das Gebot "Liebe deinen Nächsten" einen Sinn. Es weist uns,
aufmerksamer zu werden auf unsere Empfindungen und dieses Tor zu öffnen, durch
das wir ohne Sprache unmittelbar kommunizieren können mit anderen Menschen, mit
Gruppen, mit sozialen Bewegungen, mit allen Beziehungen, die uns vital
betreffen. Dieses Gebot hat lange einen effektiven Ansatz bereitgestellt für
die Selbsterkenntnis, denn es ist ein Koan, der nicht so leicht zu knacken ist.
Der japanische
Seiki-Meister Kishi erzählt seinen Schülern sinngemäß folgendes über seine
Behandlung kranker Menschen: "Jemand kommt zu mir, weil er ein Problem
hat. Ich sehe ihn an und denke nun nicht, wie ihr das wahrscheinlich tun
möchtet, daß er gesund werden soll, sondern ich spüre einfach, was ich spüre.
Vielleicht ist der Mensch häßlich und unsympathisch. Dann denke ich vielleicht:
Das beste wäre, du würdest abkratzen. Und das zeige ich seinem Körper. Und,
wenn er überhaupt eine Chance hat, wird dadurch die Wende eintreten."
Gegen so eine Behandlung
sträuben sich unsere "christlich" erzogenen Haare. Wir sind es
gewohnt, unsere Gefühle zu verleugnen, um eines "höheren" Zieles
willen, das Übel ein für allemal auszurotten, ein unveränderliches Paradies
herzustellen. Das ewige yin und yang möchten wir nicht wahr haben. Wir möchten
den Geist über die Materie stellen, kontrollieren, bestimmen, unabhängig sein.
Extrem war das bei den dualistischen Gnostikern und später wieder im
Protestantismus, dessen Leistungsmoral die Technisierung erzwungen hat (unter
anderem). Unsere heutige Schmerzflucht und Todesverdrängung sind die Folge.
Dennoch bricht gerade heute die Einschränkung auf - wie ein Geschwür. Die zuvor
ausgeschlossenen Elemente drängen spektakulär nach Aufmerksamkeit. Die
evolutionäre Kraft des yin und yang treibt uns durch die Gefahr, die wir selbst
heraufbeschworen haben, auf einen evolutionären Sprung zu (oder auf die
Vernichtung). Die Indianer würden sagen, unsere Zivilisation hat den Norden
gemeistert, den Winter, die Vorsorge. Wir neigen deshalb nun zur Introspektion
des Westens, des Abends, zur Unschuld des Südens und zur Erleuchtung des
Ostens. Wenn die Ströme wieder fließen aus den verschiedenen Richtungen, wenn
wir wieder alle Bereiche unserer Wirklichkeit zulassen, sind wir zur Ganzheit
unserer selbst gelangt. Etwas in uns drängt uns, diese Ganzheit wieder zu
erwecken. Diesem Drängen müssen wir nachgeben. Wir dürfen unser Leben nicht aus
der Hand geben, wir müssen das, was uns gut tut, aktiv anstreben. Und doch
brauchen wir nichts "tun", denn wir werden dazu getrieben. Wenn wir
uns nicht so fühlen, so deshalb, weil wir aus Angst unsere natürliche Neugier
nicht zur Wirkung kommen lassen. Die Neugier ist die Suchbewegung der Ranke.
Der Antrieb ist da. Wir brauchen ihn nicht künstlich durch Willensakte
erzeugen. Wir brauchen nur aufmerksam sein und die Stimme, die aufwärts führt,
unterscheiden von der, die uns deprimiert. Damit reparieren sich die
Verstopfungen unserer Energiekanäle, die uns unsere Erziehung beschert hat, von
selber. Es braucht aber schon einige Erleuchtungen, um das so richtig zu
begreifen. Natürlich kann diese Reparaturarbeit auch absichtlich angegangen
werden, etwa im Sinn der esoterischen Schulen oder der Psychologie, aber ob das
wirklich zur Unterscheidung der Stimmen führt, ist fraglich (es hängt davon ab,
welche Interessen hinter diesen Übungen stehen). Schließlich muß jeder seinen
eigenen Weg finden, den direkten Weg im Wagnis. Schließlich müssen wir alle den
Sprung ins Ungewisse riskieren und erst darin können wir die Kraft entdecken,
die uns immer trägt, die immer neue Lebenskraft, das lebendige Wasser, das uns
nie wieder dürsten läßt (Jesus bei Joh 4, 14).
Es ist als ob in Zeiten der
Dunkelheit unser Uhrwerk aufgezogen werden würde. In der Depression des
Ungewissen sammelt sich die Energie. Ich möchte damit niemand raten, seinen Job
aufzugeben, um von nun an im Ungewissen zu leben. Das wäre, in den meisten
Fällen, Dummheit. Dieses Ungewisse, dem wir uns überantworten müssen, wartet
nämlich in unserem täglichen Leben auf uns. Darin müssen wir uns vom
"Geist" leiten lassen. Der "Geist" ist selber etwas
Ungewisses. Es gibt keine Versicherung für den "Geist". Er kommt und geht,
wie es scheint, aber im Grund ist er immer da. Nur wenn wir uns seiner
versichern wollen, wenn wir ihn irgendwie benützen wollen, ist er weg, denn wir
sind nicht mehr offen. Wir müssen einfach aufmerksam werden auf dieses innere
Wahrnehmungsorgan (vielleicht ist es einfach der Symbolvergleich in unserer
rechten Hirnhälfte), das uns über unsere Stellung im Ganzen informiert. Wenn
wir darauf achten, können wir eine Art Diagramm sehen, das die
"Fuel"-Skalen unserer diversen Bedürfniss zeigt. Oft aber verdrängen
wir diese Information und machen weiter mit etwas, obwohl unser Anzeiger uns
sagt, daß es genug ist. Wir haben Angst davor, weiterzugehen zur nächsten
Skala, die ein Tief anzeigt. Wir fürchten, die dort angestaute Energie könnte
uns in Stücke reißen, wenn wir den Hahn auch nur ein wenig öffnen. Aber
irgendwann müssen wir es doch tun, wenn wir uns nicht wirklich sprengen wollen.
Wenn diese Angst uns also hindert, können wir dennoch etwas tun. Wir können
Sicherheitsvorkehrungen treffen, ideale Bedingungen schaffen, uns mit jemand
zusammentun, der das Problem überwunden hat, etc..
Im Grund aber ist der Weg
ganz einfach. Wir brauchen nur unsere Chancen wahrnehmen in der Reihenfolge
ihres Erscheinens. Das ist allerdings bereits die integrierte Sicht, in der das
Berechnen fehlt, im Gegensatz zu der Phase, in der wir uns selber reparieren
wollen. Was wir da wahrnehmen, ist die reale Situation, unverzerrt durch
Emotionen. Wenn ich sage, daß das "Gefühl" uns den Weg weist, meine
ich jene passionslose Wahrnehmung der Chance. "Chance" bedeutet
bereits, daß ein Bedürfnis da ist. Wenn das Bedürfnis nicht da ist, taucht die
Chance gar nicht auf, weil unser Wahrnehmungsapparat Chancen für ein erfülltes
Bedürfnis nicht registriert. Die Auslöseschemata lösen nichts mehr aus. Nach
einem guten Mahl reizt uns kein Essen mehr. Diese Auswahl der Wahrnehmung
vollzieht sich automatisch, wenn wir sie nicht blockieren durch
"Werte" oder "Ideen" oder andere fixierte Vorstellungen,
die unter den natürlichen Auslösern eine künstliche Auswahl treffen. Keine
ideologische Auswahl kann ein Bedürfnis beseitigen, nichts kann auf Dauer
erfolgreich verleugnen, was ist.
Es gibt aber Menschen, die
den Kampf gegen diese Determination bewußt und aktiv aufgenommen haben. Es soll
einig gegeben haben, die jahrelang ohne Nahrung überleben konnten. Andere
machen außerkörperliche Erfahrungen und vieles mehr. Es gibt unzählige Pioniere
auf dem Gebiet der Kontrolle der Materie durch den "Geist", aber
dieses Gebiet ist nicht für jeden. Es gibt vielmehr unzählige Gebiete, auf
denen Pionierarbeit geleistet werden muß. Jeder hat andere Interessen. Es gibt
nichts "Höheres" oder "Niedrigeres" in der Sache. Es gibt
nur Meister und Lehrlinge in allen Bereichen. Es kommt allein darauf an, daß
wir Meister werden und das können wir nur auf unserem Gebiet.
Wie Don Juan zu Castaneda
sagt, ist das, was ihm zur Kraft verhelfen wird, eines der Dinge seines
täglichen Lebens. Wenn du überlegst, was denn deine Zauberaufgabe sein könnte,
schau einfach auf das, was du tust. Das Liebste wird dir am meisten Kraft
geben. Jeder hat so sein "Ding". Von dem können wir leben, wenn wir
dafür leben ('Jesus: "Sorgt euch zuerst um das Reich Gottes, alles andere
wird euch nachgeworfen werden" Mt 6,33). Es braucht viel Pionierarbeit ohne
Belohnung und diese Durststrecke können wir nur auf einem Gebiet durchhalten,
das uns wirklich liegt, das uns wirklich ein Bedürfnis ist. Oft ist es die
Erforschung unsere Problems, des persönlichen Koans, den unser Schicksal uns
aufgegeben hat. Wenn wir ihn geknackt haben, können wir allen helfen, die vor
der gleichen Frage stehen. Unser Koan ist gewöhnlich nicht ein logischer oder
ein philosophischer, wie im Zen, sondern ein praktischer. Die alltäglichen
Probleme sind unsere Koans. Sie nicht zu lösen bedeutet Neurose oder Psychose.
Aber auch in diese Tiefen kann uns eine persönliche "Berufung"
führen. Auch Märtyrer werden gebraucht. Sie bilden einen sozialen Druck, sie
imponieren. Neurotiker und Psychotiker können Propheten sein, wie die "Madschsub",
die verrückten Heiligen im Islam. Sie stellen das Problem an ihrer Person dar.
Durch sie werden alle damit konfrontiert, es wird zur Aufgabe aller.
Es gibt also keinen Bereich
des menschlichen Daseins, in dem "Selbstverwirklichung" nicht möglich
wäre. Immer wenn jemand auf seinem Gebiet ist, spüren wir die Echtheit. Deshalb
müssen wir alle den genauen Platz finden, an dem wir sein können, wie wir sind,
sei es im Irrenhaus oder im Präsidentenpalast oder irgendwo dazwischen. Es gibt
keinen Wertunterschied zwischen diesen Positionen, außer in einer kurzsichtig
ökonomischen Betrachtungsweise. Auf jedem Platz ist es möglich, aber nicht
jeder Platz hat die richtige Atmosphäre für uns. Für uns gibt es einen ganz
speziellen Raum, in dem wir uns wohl fühlen (das ist auch der Hintergrund aller
Kastengesetze) und den müssen wir suchen, oder, falls es ihn noch nicht gibt,
schaffen. Und entsprechend den sich ändernden Bedürfnissen ändert sich der
Raum. Wir müssen uns also die noch verschlossenen Räume öffnen, damit wir uns ganz
entfalten können und es geht von selber. Wenn wir an eine geschlossene Tür
stoßen, richtet sich unser Interesse automatisch darauf und die Energie zum
Öffnen sammelt sich. Wenn wir künstlich, mit unserem "Kopf-Willen"
gegen die Tür anrennen, wird sie sich nicht öffnen. Trotzdem müssen wir auch
das tun, um uns zu überzeugen. Aber manche Türen sind nicht für uns bestimmt,
so verlockend sie auch aussehen mögen, da kommen wir nicht durch.
Nicht jeder hat das Zeug zu
einem Yogi und doch ist ein jeder dem Yogi überlegen, der erkennt, was für ihn
ist. Jesus hat den asketischen Johannes den Täufer gelobt, aber gleichzeitig
gesagt, daß der Kleinste im Himmelreich größer ist als er (Mt 11,11). Der
Kleinste im Himmelreich braucht nämlich keine durch Selbstdisziplin erworbene
Größe; er braucht nichts erreichen und doch bekommt er alles, weil er einfach
die natürliche Kraft benützt, die in ihm da ist. Das ist das Neue, das Jesus
gebracht hat, im Unterschied zum Karrierismus der Juden. Solange wir unbedingt
etwas durchsetzen wollten, wie der Asket, haben wir unsere Natur nicht hinter
uns und wir müssen hart arbeiten, Sklavendienst leisten, bis es uns zu schwer
wird, bis wir anfangen zu überlegen, ob es wirklich das ist, was wir wollen.
Bei dieser Überlegung stoßen wir früher oder später auf unsere Bedürfnisskalen,
die uns unseren Zustand anzeigen und wir sehen: Der Schmerz ist der Antrieb zur
Verbesserung.
Wenn wir einmal genau
wissen, was uns fehlt, kann unsere Vernunft uns den Weg zeigen, ganz
geschäftsmäßig. Das ist der Alltag nach der Erleuchtung, einfach Arbeit und
Unterhaltung, ständige Verfeinerung des Gespürs für das Richtige. Wir sind nur
noch dieser einen "Disziplin" unterworfen, den "göttlichen"
Willen auszuführen in seiner ganzen Vielfalt, uns durchzusetzen und zu
vervielfältigen. Dieses Joch ist, wie Jesus sagt, ein "sanftes Joch"
(Mt 11,50). Es ist nämlich ein automatischer, biologischer Antrieb, der uns
keine Willensanstrengung kostet, obwohl er so weit gehen kann, daß einer
"sein Leben gibt für seinen Zweck" (I Ching, Jesus). Ein jeder muß
eine Synthese bilden zwischen dem in ihm Angelegten und den Angeboten von
außen. Daraus entsteht die Evolution. Dieses Gesetz durchzieht den Kosmos. Es
ist kein Gebot, sondern ein natürlicher Trieb da hin, aber das Gesetz kann in
Form eines Gebots manchen einen Anstoß geben, sich ihm zu öffnen. Diejenigen,
die es nicht natürlicherweise tun (weil sie blockiert sind) brauchen den Umweg
über emotionale oder "rationale" Kanäle, also durch Frömmigkeit,
Philosophie, Psychologie, Kunst, etc., also durch einen Wust an Mystifizierung
und Vorurteil. Sie müssen sich durch die Hindernisse hindurcharbeiten, bis sie
klar ihre Chance sehen, die oft eben gerade aus diesem Lernprozeß entstanden
ist, sodaß ihr Problem zur positiven Grundlage ihres Lebens- wird und sie
gerade dadurch zur Meisterschaft gelangen.
Die natürlichen
Rangunterschiede zwischen den Menschen entsprechen ihrer Meisterschaft - nicht
dem "Beherrschen" von etwas. Deshalb gibt es keine Möglichkeit,
Meisterschaft zu "erreichen". Kein Ehrgeiz, keine noch so harte Übung
führt dort hin. Aber die Illusionen, die uns das glauben machen, müssen wir uns
erst abstoßen im faustischen Versuch. Ich möchte keinem sagen, er sollte nicht
versuchen ein Meister zu werden. Das ist ein natürlicher Trieb, der gut ist.
Aber es ist einfach ein Gesetz, daß nur unsere Liebe uns zur Meisterschaft
führen kann, nie unser Ehrgeiz. Du solltest dich daher fragen, ob du die
Disziplin wirklich liebst, die du dir auferlegst oder ob sie dir nur ein Mittel
ist für ein anderes Ziel. Aber auch der Ehrgeiz hat sein Gutes. Er führt uns
nicht nur in die Sackgasse, an deren Ende wir unsere "Erleuchtung"
empfangen, er bringt uns auch dazu, uns eingehende Kenntnisse zu verschaffen,
die uns dann zur Verfügung stehen. Und ich will auch nicht leugnen, daß die
meisten von uns unter den gegebenen Umständen eine soziale "Stellung"
brauchen für ihr (emotionales) Überleben. Aber das geht nur bis an den Punkt,
an dem uns klar wird, was wir wollen. Wenn wir darüber hinaus immer noch am
Ehrgeiz festhalten, wird er uns umbringen. Die Entscheidungsschlacht ist
unausweichlich: Ich oder der Andere in mir. Und wenn uns die Götter in diesem
Kampf nicht beistehen, kann uns nichts retten. M.a.W., nur wenn unser
Lebenswille nicht ausgelöscht worden ist durch die vorangegangenen
Frustrationen, also nur wenn wir noch Chancen sehen können, können wir
überleben. Einige sind zu sehr getroffen. Sie greifen nach einer Ausrede und
machen sich davon aus dem Leben, gleich auf welche Weise ihr Tod dann eintritt.
Solange unser Lebenswille
aber nicht gebrochen ist, kann uns nichts etwas anhaben, denn so lange wird
unsere Ausstrahlung die Wege für uns ebnen und überall einen Ausweg finden. Aus
so einem Vertrauen heraus hat, z.B., der Apostel Paulus seine Missionsreisen
unternommen. Zweimal hat er Schiffbruch erlitten, oft ist er verhaftet worden.
Er wußte, was er wollte, und er hatte die Todesangst überwunden, die so viele
von uns zurückhält vor dem Leben. Die Todesangst blockiert unsere Wahrnehmung.
Das ist unser ganzes Problem, das Problem aller Neurosen. Wovor haben die
psychiatrischen Patienten Angst? Davor, daß sie sterben könnten, wenn sie
bloßgestellt würden. Die Todesangst ist es, die uns in Konventionen zwingt. Und
es braucht so lange, diese Angst zu überwinden, weil wir sie gar nicht
"überwinden" können; sie fällt vielmehr von uns ab, wenn wir physisch
begreifen, daß wir unser Todesurteil in jedem Augenblick unterschreiben, in dem
wir uns von dieser Angst tyrannisieren lassen. Mit Vernunft allein können wir
uns nicht von ihr befreien. Es braucht den Lokalaugenschein, wie beim
ungläubigen Thomas oder beim Propheten Jona, der erfahren hat, daß man dem
Schicksal nicht entkommen kann. Deshalb hat Jesus gesagt, den Ungläubigen werde
kein Zeichen gegeben, als das Zeichen des Jona. An uns selbst müssen wir
Ungläubigen die Folgen dieser Angst erleben, bis wir keine Wahl mehr haben, als
sie abzuschütteln. Unsere Prägungen sind zwar, besonders bei uns
Intellektuellen, darauf gerichtet, die Angst zu stärken und die Lebenstriebe zu
beschneiden, aber diese Prägungen sind nicht allmächtig. Die Liebe setzt sich
immer wieder durch. Alles rebelliert, wenn sie unterdrückt wird. Unsere Natur
drängt zurück zu sich selber, von wo sie im Grunde nie entfernt war. Denn auch
die Entfremdung war ein Ausfluß der Natur. Sie ist ein notwendiger Teil des
Lebens, der sich aus dem Zusammenspiel der Kräfte ergibt. Die Entfremdung ist
die Triebkraft der Evolution von Anfang an. Wie G. Bateson zeigt, ist sie und
der mit ihr verbundene Streß die Ursache von Lernen III, IV usw., also der
kreativen Lösung.
Im Ganzen der
Wellenbewegung ist die Depression immer die Grundlage des Auftriebs. Die
Bewegung hat Wellenform, obwohl die Lösung als Sprung erfolgt, wie im Fall der
Mutation oder bei den Sprüngen der Elektronen von Schale zu Schale. Diese
Sprünge gehören einer übergeordneten Welle an. Grund für den Sprung ist der
"Geist" des Problems, die Resultante der Spannungen. Die Sprünge
haben ein gleichbleibendes Muster, das auf allen Ebenen der Existenz zu
beobachten ist. Streß erzwingt den Sprung in eine neue Seinsebene. Wir Menschen
blockieren diese natürlich Evolution oft künstlich, indem wir die Symptome
bekämpfen, anstatt die reale Situation auf uns wirken zu lassen, die allein uns
zur Lösung führen kann. Es gibt allerdings Menschen, die meinen, daß es so
etwas wie eine "Natur" des Menschen oder eine "natürliche",
spontane Reaktion gar nicht geben könne, weil alles, was wir tun, von der
Gesellschaft gestaltet sei. Aber tatsächlich weisen die Verhaltensforscher
viele allen Menschen gemeinsame Ausdrucksformen nach. Und darüber hinaus sind
die menschlichen Grundsituationen von derartiger archetypischer Charakteristik,
daß es, u.a., seit je her Orakelsysteme gibt, die die ganze Bandbreite menschlichen
Erlebens einbeziehen und evolutionäre Sprünge für alle Situationen beschreiben.
I Ching ist ein solches System, Tarot ein anderes, ein drittes die Astrologie
und darüber hinaus gibt es eine Unzahl von lokalen Orakelsystemen. Die Mythen
der Völker zeigen dasselbe: einerseits das immer Wiederkehrende im Leben,
seinen Kreislauf und andererseits die Sprünge auf andere Energieebenen, wo sich
jeweils das gleiche Spiel wiederholt. Das Ganze ist ein kosmisches Theater, in
dem wir lange nur Marionetten sind, so aktiv wir auch sein mögen.
Und doch haben wir unsere
Freiheit. Sie liegt in einer Gelöstheit, einer Distanz, mit der wir irgendwie
immer unser Leben betrachten können. Denn erst da können wir zulassen zu sein,
was wir sind: Menschen. Wir sind es aber erst, wenn wir nicht mehr versuchen,
den "negativen" Seiten unseres Lebens zu entfliehen. Es gibt eine
Seins-"Stufe" über der Kontrolle; aber eigentlich ist es keine
"Stufe", nichts "Höheres", sondern einfach das Ende eines
Widerstands, der Punkt, an dem wir einsehen, daß unser Festklammern an das
Glück uns unglücklich macht, weil uns dadurch die immer neuen Chancen entgehen.
Und das macht uns krank. Damit will ich nicht sagen, wir sollten nicht nach
Glück streben. Das ist ganz natürlich. Erst wenn wir seine Kehrseite nicht
wahrhaben wollen, wird es gefährlich.
Wir dürften deshalb auch
nicht versuchen, uns durch Autohypnose zu ändern. Wir müssen Geduld haben, bis
wir die Dinge von selber tun. Irgendwann verwenden wir dann eine natürliche
Form von Autohypnose ganz spontan und die ist voll wirksam. Vorher war mein Ich
gespalten und eine Hälfte versuchte der anderen etwas überzustülpen, was diese
zu dem Zeitpunkt nicht wollte. Das ist die große Gefahr jeder Methode, daß wir
uns mit unserem Kopf gegen den Rest unseres Organismus durchsetzen wollen. Wir
müssen unserem Kopf rational klar machen, daß wir damit nicht erreichen, was
wir wollen. Wenn ich mir in einer Depression suggeriere, daß es mir morgen
schon besser gehen wird und ich daher heute schon entspannt sein und das Leben
genießen kann, so ist es damit wie mit einer staatlichen Finanzspritze für
einen strukturell abgewirtschafteten Bereich: Das Problem wird nur verschoben,
das Leiden wird verlängert und die natürliche Lösung kann nicht eintreten. Und
das gilt für alle Methoden, Wir brauchen nicht etwas erreichen. Wir müssen uns
selber finden. Allein da liegt das Glück.
Ähnlich ist es mit den
Religionen. Es wäre ein grobes Mißverständnis, zu meinen, durch ihre Rituale
könnten wir uns den Himmel erdienen. Im Gegenteil, wir müssen zuerst unseren
Himmel, d.h. unsere Natur, uns selber finden und wenn wir ihn gefunden haben,
entdecken wir, daß wir in einer brüderlichen Welt leben und daraus folgen,
vielleicht, Rituale. Es geht nicht umgekehrt. Wenn wir uns zur Brüderlichkeit
disziplinieren, wird höchstens ein scheinheiliges Getue herauskommen. Die
Wahrheit fehlt. Sie fehlt fast allen von uns. Wir haben gerade durch solche
Mißverständnisse der Religion eine so widernatürliche Erziehung
"genossen", daß Verirrungen nicht vermeidbar sind. Wir können sie
nicht von vornherein ausschalten durch Vernunftmaßnahmen. Wenn wir
widersprüchlich programmiert sind, müssen wir uns einen. Aber wir brauchen es
nicht "tun". Ein uns eingebautes Programm sorgt dafür: Zuerst wird
das dominierende Programm (das der Erziehung) uns an den Punkt führen, an dem
wir uns hoffnungslos verwickelt sehen. Und am toten Ende gibt es eine Umkehr.
Da wissen wir: So geht es nicht. Und mit der Zeit, umso öfter wir derartige
Depressionen durchgemacht haben, wird uns klarer, in welcher Weise wir
deformiert sind und welche Form unser Organismus von selber annehmen möchte.
Es wird zwar oft auch der
digitalen Vernunft klar, was richtig wäre, aber diese Vernunft ist nicht
imstande, eine Veränderung zu bewirken, vielmehr ist die Dominanz der digitalen
Vernunft selber ein Symptom unseres Problems. Die Instanz, der unser Selbstbild
klarer wird, ist unsere analoge Vernunft, die einen unmittelbaren Vergleich
herstellen kann zwischen den Möglichkeiten und den Bedürfnissen unseres
Organismus in all seinen Dimensionen und den für uns möglichen Positionen.
Daraus ergibt sich das, was ich "Berufung" genannt habe, das
"Bild" unserer Einflußmöglichkeiten. Und umso konkreter dieses Bild
wird, umso näher sind wir seiner Verwirklichung. Es ist aber nicht möglich, es
willkürlich klarer zu machen, etwa durch Autosuggestion oder irgendeine
esoterische Methode. Diese Mittel sind geistige Umweltverschmutzung. Ihr
einziger Gewinn ist Einbildung. Aber natürlich kommt auch das Erwachen aus ihr.
Unser biologisches Entwicklungsprogramm sorgt dafür - notfalls durch unseren
physischen Zusammenbruch - wie im Fall des Zen-Patriarchen Rinzai (und bei
vielen Yogis und Heiligen aller Glaubensrichtungen).
Die Methoden sind also
gefährlich, weil sie effektiv sind. Sie potenzieren unsere Deformiertheit. Wir
erreichen zwar, was wir uns vorgenommen hatten, aber was hilft das, solange wir
nicht wissen, ob wir das überhaupt wirklich wollen? Solange unser Wollen von
Äußerlichkeiten bestimmt ist?. Es geht uns wie dem Narren aus Tausendundeiner
Nacht, dem ein Dschinn die Erfüllung von drei Wünschen verspricht: Zuerst
ärgert ihn sein Freund und er verpaßt ihm eine lange Nase und so vergibt er
sinnlos seine Wünsche. Mit unseren Methoden finden wir uns in der Position des
Zauberlehrlings, der Gewalten ruft, die er nicht beherrscht, weil er nicht
weiß, was er will.
Was wissen wir denn schon
von uns selber? Was ist es, was unsere gegenwärtige Stimmung bewirkt? Woher
kommen alle diese Hoffnungen, Sehnsüchte, Ängste? Was nimmt uns unseren Elan
und woher kommt er? Immer wieder bleiben wir zurück hinter dem, was wir uns
vorgenommen haben und dabei wissen wir so wenig über den Ursprung unserer
Vorsätze. Ist es so, wie manche, die an Wiedergeburten glauben, meinen, daß wir
vor unserem Eintritt ins Erdendasein unser Leben planen? - Woher es auch kommt,
es ist eine Art "Bild" von uns selbst, das wir in uns haben. Und
dieses Bild müssen wir entdecken und entfalten, damit es Wirklichkeit werden
kann. Mehr gibt es nicht zu tun im Leben und das ist schon mehr als genug. Wir
müssen vieles ausprobieren, um das "Bild" herauszuschälen. Wir müssen
uns einpendeln auf unsere Art. Den Rest (den Erfolg) besorgt dann die Magie des
Bildes. Das Bild schafft die Form, wie die Scholastiker richtig meinten.
Wenn immer wir uns am
falschen Platz fühlen, ist dieses Bild noch nicht klar. Da helfen keine
Übungen, da hilft nur Aufmerksamkeit auf unsere Chancen und darauf, wie wir
unsere Schlachten schlagen. So können wir sehen, wo wir zögern und wo unsere
Mittel nicht in Ordnung sind (wo sie den Zweck nicht erreichen). Und so sehen
wir, ob wir das wirklich wollen, was wir gerade anstreben. Wenn das Ergebnis
unseren Vorstellungen nicht entspricht, stimmt unser Bild mit der Wirklichkeit
nicht überein. Indem wir über unsere Methoden hinzuschauen, dorthin, wo die
Welle weiterkommt, die wir in Gang setzen, wird unsere Motivation klarer, uns
klarer. Unsere Kräfte einigen sich. Wir werden "magnetisiert" durch
unsere immerwährende Orientierung. Und umso klarer unser Bild, umso
hypnotischer wirkt es. "Hältst du das große Bild in Händen, wird sich das
Erdreich zu dir wenden" (Lao-tse).
Jeder hat so ein großes
Bild in sich, aber nur wenige haben die Geduld, es voll zu entwickeln, es zu
reinigen. Aber wenn es keine entgegenlaufenden Züge mehr in sich hat, wenn es
als Einheit mit allem Übrigen schwingt, ist es unwiderstehlich, weil seine
archetypische Struktur auf alle wirkt. Die im Bild enthaltene Intention setzt
sich in Wirklichkeit um. Tun und Reaktion folgen aus dem Bild logisch und
automatisch. Das "Bild' stellt unsere Position in der Wellt dar. Wir
müssen sie suchen und finden. Die Indianer beginnen daher mit einer
Visionssuche und wir erinnern uns an unseren Traum. In diesem Moment muß unser
Traum gar nichts Großartiges sein, vielleicht ist es nur eine kleine
Verbesserung unserer Wahrnehmung, unserer Arbeitsmethode, unserer Beziehungen.
Aber selbst wenn unser Traum uns als eine wichtige Persönlichkeit zeigt,
beginnt das korrekte Bild von uns mit unserer gegenwärtigen Situation.
"Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt"
(Lao-tse). "Der überlegene Mensch denkt nicht über seine Situation
hinaus" (I Ching).
Du mußt die Mittel nehmen,
die du jetzt zur Verfügung hast. Und du mußt damit arbeiten. Das ist der
einzige Weg. Auf die große Erleuchtung zu warten, ist Unsinn. Auch wenn du eine
Gemeinschaft Gleichgesinnter brauchst, weil du es allein nicht schaffst,
bekommst du sie nur, indem du deinen Weg bereits gehst. Egal, was du willst,
genau das mußt du tun und nichts anderes. Das ist der einzige Weg in die
Freiheit. Und wenn du glaubst, du müßtest eine spirituelle Disziplin anwenden,
um zu deinem Paradies zu gelangen, tu es! Und wenn dein Paradies anderswo
liegt, dann geh dort hin. Du hast einen Anzeiger in dir, der dir sagt
"gut" oder "schlecht", dem mußt du folgen. Das Lustprinzip
lenkt die ganze Evolution. Die Lust des Menschen ist natürlich sehr
differenziert, entsprechend seinen Lebensumständen. Die Triebe sind immer schon
geregelt durch eine biologische Vernunft. Aber natürlicherweise ist die
Vernunft den Bedürfnissen immer untergeordnet. Sie dient den Bedürfnissen, wie
heute Computer uns dienen für einen effektiven Güteraustausch.
Der effektive Austausch
setzt Übereinstimmung voraus, d.h. Respekt vor den Bedürfnissen der anderen.
Daraus ergibt sich eine Art "natürlicher Ethik". Sie entsteht von
selber, wenn ein Mensch zu sich selber gefunden hat. Das ist dann der Fall,
wenn er anerkennt, daß er ein Mensch ist, mit allem, was das impliziert: daß er
nämlich sein Leben lenken muß zur Erfüllung seiner Bedürfnisse in der
Reihenfolge ihrer Dringlichkeit. Da löst sich die Entfremdung und unsere
Paranoia. Da können wir plötzlich zugehen auf die anderen und ihnen unsere
Bedürfnisse mitteilen in der entsprechenden (ritualiserten, symbolischen)
Weise, also einfach unserer Spontaneität folgend. Der Trieb nimmt eine
Ausdrucksform, die uns entspricht. Er variiert uns frei, entsprechend der
Notwendigkeit der Situation. Wir "lesen" unser Gegenüber und
automatisch spielt etwas uns so, daß wir unsere Botschaft genau übermitteln.
Beim Tanz, z.B., können wir leichter in diese Ausdrucksform hineinfinden, aber
sie dringt überall durch. Wir übermitteln in jeder Interaktion durch
symbolische Gesten unsere genaue Einschätzung der Kräfteverhältnisse. Und wenn
wir Schwächen sehen, versuchen wir zu täuschen, diese Schwächen auszunützen und
wenn wir uns selber schwach sehen, sind wir versucht, uns zu belügen, um unser
"Bild" zu retten. Aber das ist der falsche Weg. Das kann nur in den
Wahnsinn führen. Das ist der Wahnsinn. Er ist nicht notwendig. Wir können zu
uns stehen, auch wenn wir noch so tief gesunken sind. Der einzige Weg heraus
ist, die Situation zu sehen, wie sie ist. Das ist der Ausgangspunkt in jedem
Fall.
Wenn wir erst einmal
begriffen haben, daß es allein darum geht, daß es uns gut geht, geht der
Aufstieg schnell, selbst wenn wir ganz unten sind. Es gibt nämlich nicht
allzuviele, die es zielstrebig angehen. Von jetzt an sieht unser Schicksal so
aus: Wir haben ein Bedürfnis und wir steuern es zielgerecht an. Viele
"Bedürfnisse" werden auf diesem Weg gleich wegfallen. Sie waren nur
Phantasien. Wir werden unser Leben realistischer sehen. Wir werden die
Bedürfnisse der anderen entdecken und es wird nicht schwer sein, unseren Kurs
zwischen Geben und Nehmen zu finden.
Das Leben des Erleuchteten,
des Freien, verläuft rational. Und doch ist er offen für alle Eventualitäten,
immer bereit, seinen Kurs zu ändern, denn er hat sich auch die Variationen
überlegt. Er bezieht die Erfahrungen der anderen ein. Er hört auf alle Stimmen,
aber er trifft seine Entscheidungen gemäß seinen Interessen.
Keine Angst, dieser
"Egoismus" führt nicht in die Barbarei hemmungslosen Gewinnstrebens -
gerade weil in unserer Menschlichkeit der Trickster genauso Platz hat wie jede
andere menschliche Gestalt. Wir sind frei von Gier, d.h. wir vertrauen darauf,
daß wir auch morgen genügend Kraft finden werden für unser Überleben; so
brauchen wir heute nicht raffen und geizen. Wir sind frei, wirklich dem Impuls
zu folgen, der unserer Situation optimal entspricht.
Wir sind aber auch nicht
passiv unserem Schicksal ausgeliefert, sondern wir ergreifen die Initiative.
Wir helfen uns selber. Wir benützen unsere Vernunft, damit wir bekommen, was
wir wollen. Und wir geben niemand die Schuld. Wir benützen unsere Wahrnehmung
nach innen und nach außen, damit wir erkennen, was wir wollen. Und damit sind
wir so frei, wie ein Mensch nur sein kann. Wir sind frei, wir selber zu sein:
eine dialektische Einheit aus yin und yang, aus aktivem Wollen und Durchsetzen,
wie aus Hören und Mitgehen.
Der Wille kommt, wenn eine
Sache klar ist. Aber wenn wir nicht für unsere Sache schon vorher kämpfen, wird
sie nicht klar. Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen. Das ist unser
schöpferischer Auftrag. Wir müssen dafür sorgen, daß wir uns vermehren,
physisch und (oder) geistig. Das ist die biologische Grunddirektive an alles.
Die Energie steht zur Verfügung. "Wir" brauchen nur die Hindernisse
(unsere Illusionen) aus dem Weg räumen. Auch die Energie für die Tätigkeit
jener Instanz, die das tut (des "Ich"), wird kostenlos
bereitgestellt. Die einzigen "Kosten" sind unsere Haftungen. Die
müssen wir fallen lassen, dann läuft alles von selber.
Unsere Zivilisation aber
ist mißtrauisch. Sie will alles kontrollieren und alle in ein Schema zwängen,
doch das Schema ist überholt. Unsere Kultur muß sich öffnen für die
Spontaneität. Aber "die Kultur" "muß" dabei nichts
"tun". Die Spontaneität bricht sich selber Bahn. Über die Paranoiden
hinweg, die an den Druckknöpfen der Vernichtung sitzen. Die alten Institutionen
sind heute zur Brutstätte der Paranoia geworden, weil sie der natürlichen
Tendenz widerstreben, sich aufzulösen bzw. sich entsprechend den heutigen
Bedürfnissen zu verändern. Daß sie, obwohl sie überholt sind, weiterhin Macht
ausüben, geht vielen Menschen gründlich auf die Nerven im buchstäblichen Sinn:
Sie brauchen einen Nervenarzt, während andere bereits ohne Hemmungen den Unrat
von sich werfen, den sie da aufgelesen haben. (Vandalismus ist die natürliche
Reaktion auf üble Verhältnisse). So spitzen sich die Verhältnisse langsam zu
und mehr und mehr Menschen wenden sich ab von der alten Ordnung. Sie ist für
unsere Zeit offensichtlich eine Unordnung, ein Hindernis unserer Entfaltung,
eine Hemmung der Evolution. Aber es gibt keine wirkliche Hemmung der Evolution.
Die evolutive Kraft setzt sich immer wieder durch. Diese Kraft sprengt jede
Entfremdung. Sie führt immer wieder in die Freiheit. Wir brauchen nur ihren
Impulsen folgen.
Es scheint ein Widerspruch
zu bestehen zwischen dieser Notwendigkeit zu folgen und der Notwendigkeit zu
entschlossenem Einsatz. Und viele scheitern an diesem Widerspruch entweder als
fiebrige Aktivisten oder als Schicksalsgeschlagene. Wenn wir das Problem aber
näher betrachten, sehen wir, daß es einfach die beiden Seiten unseres
Organismus sind, die unsere Aufmerksamkeit verlangen, Input und Output, und daß
sie am besten koordiniert werden durch die Struktur des Organismus selber.
Diese Struktur, unsere menschliche Natur, ist das oberste Maß. Sie ist die
Instanz des "jüngsten Gerichts" (wie sie in den semitischen
Religionen genannt wird), in dem wir immer jetzt recht oder unrecht haben durch
die Dinge, die wir tun oder unterlassen. Die Weisheit der Religionen hat immer
darauf hingezielt, daß diese evolutive Kraft in uns wirken kann, daß wir ihr
die Hindernisse aus dem Weg räumen.
Früher war es nötig, dafür
ein mythisches System aufzubauen, das die Menschen auf magische Weise (durch
Hypnose) dort hin führt. Heute wirkt diese mythische Form mit ihrer Motivation
aus einem "Leben nach dem Tod" bei den meisten nicht mehr, denn diese
Motivation ist in der Vergangenheit ausgenutzt worden. Aber wir brauchen heute
tatsächlich nichts und niemand mehr vergöttlichen. Eine Unterscheidung von
Natur und Übernatur ist überflüssig, weil die Natur ohnehin alles umfaßt, was
darin wirkt. Wir können es uns daher gestatten, uns als Maschinen zu sehen, die
nach einem gewissen Programm arbeiten. Dieses Programm gilt es darzustellen,
etwa unter dem Motto, das Timothy Leary zu einem Buchtitel gemacht hat:
"Handbuch für den Gebrauch des menschlichen Nervensystems gemäß den
Anweisungen der Hersteller". Es geht um unser genetisches
Evolutionsprogramm. Die Weisen aller Welt haben zu allen Zeiten versucht, dieses
Programm zu aktivieren und zu dem Lebensgefühl zu führen, das gekennzeichnet
ist durch Evidenz (genau das wollte auch Descartes erreichen). Aus didaktischen
Gründen ist das in einer Bildersprache geschehen, die heute, weil sich die
Lebensverhältnisse so radikal geändert haben, nicht mehr richtig verstanden
werden. Ein Beispiel:
Denke an das 1950
verkündete Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Das Dogma
ist richtig. Daß die Mutter des Erlösers physisch im Himmel lebt, sollte
eigentlich niemand wundern. Es ist eine der archetypischen Wahrheiten, denen
alle Menschen zustimmen können - außer jene, die sich in ihrer eigenen
Erlöserrolle gehemmt sehen, also die Eifersüchtigen, die ihrem eigenen Programm
Widerstand leisten und sich an etwas festklammern. Das wäre das echte Anliegen
hinter der Sorge der Heiligen Inquisition (und in welcher Gruppe gibt es sie
nicht?), wenn die Inquisitoren nicht selber verseucht wären - die Erlöser waren
schließlich nie unter den Inquisitoren. Und diese Tatsache ist, wenn man will,
genauso ein Dogma, wie das der Mutter Gottes, nur waren die Inquisitoren nie
scharf drauf, es zu definieren. Somit haben sie ihre Dogmen, um derentwillen
sie Menschen opfern, selber nicht verstanden. Der Prozeß Jesu ist ja ein archetypisches
Muster für diesen Vorgang. Er wiederholt sich täglich im Kleinen, auch in
unserem Leben. Auch die heutigen Institutionen bekämpfen das Neue, das sie
ablösen wird. Ist ja auch ganz logisch, daß die sich wehren gegen jeden
Einbruch in ihre Macht.
Man könnte diese
Institutionen auch als "Geistwesen" sehen. Was da im Kampf steht,
sind nämlich echte "Geistwesen", Geistigkeiten, Weltanschauungen, die
sich bewegen und wandeln wie echte physische Wesen. Sie sind nämlich physische
Wesen mit tausenden von Körpern. Große geistige Bewegungen können ganze
Kontinente mobilisieren. Aber auch sie sind sterblich. Wie wir sehen können,
ist die Existenzgrundlage eines solchen Wesens heute bereits untergraben. Wir
sind Zeugen seiner "Entlarvung". Es ist das "objektive"
Paradigma des wissenschaftlichen Weltbilds. Die magischen Motivationskräfte,
die aus der Vorstellung von der absoluten Verfügbarkeit der Welt kommen, sind
im Schwinden, wie vor kurzem die des Nationalismus, der an der weltweiten
Kommunikation gestorben ist. Die tödliche Krankheit des alten
Wissenschaftsparadigmas ist die Selbstrelativierung der Wissenschaften, die
unausweichliche Feststellung ihrer Grenze. Die alte Weltanschauung muß sich
einer höheren Motivation unterordnen, nämlich der der Natur. Den Vorgang stellt
bereits der alte indische Mythos dar, der den archetypischen Wandel der
Lebensziele beschreibt, von der Lust über Ansehen und Pflicht zur Erlösung. Die
Pflicht hört auf, sobald die biologische Motivation gefunden ist, sobald das
Ziel klar ist. Das Paradigma von der Verfügbarkeit der Welt entspricht dem
Mythos des Prometheus. Wir leben ihn heute. Deshalb zerhackt uns auch ein
großer schwarzer Vogel schon die Leber, aber sie wird immer wieder nachwachsen,
bis wir begreifen. Dann werden wir diesen Mythos verlassen und in eine neue
Evolutionsstufe eintreten, in der wir uns aussöhnen mit den Göttern. Dann
werden wir das Mythisch-Magische in unserer jetzigen Weltanschauung sehen
können und es überschreiten in die Unmittelbarkeit. Wir können es jetzt tun.
Wir brauchen auf nichts
warten. Wir können unser Leben gestalten, den Traum verwirklichen. Das ist die
biologische Spur, die die Energie in sich selber hat. Alle anderen Wege zehren
an uns, indem sie uns partiell lähmen. Das schlägt sich nieder in den
Funktionen unseres Körpers. Die gehemmte Energie erzeugt einen ständigen Druck,
mit dem die Krankheit beginnt, die schließlich zum Tod führen wird. So
funktioniert das System.
Wer sich diesen Regeln
widersetzt, wird ausgemerzt. Das hat nichts mit moralischer Schuld im
traditionellen Sinn zu tun. Es ist vielmehr die tatsächliche Schuld, das
"Karma", mit dem wir auf die Welt gekommen sind, unsere zufälligen
Lebensumstände, unser Schicksal. Ob es uns gefällt oder nicht, das ist unser
Ausgangspunkt. Wir können nichts dafür, aber wir müssen damit leben. Deshalb
sagt Jesus: "Nehmt täglich euer Kreuz auf euch" (Mt 10,38). Dieses
Kreuz verleugnen, sich Illusionen machen, kann zu Zeiten zwar notwendig sein,
aber von dem Zeitpunkt an, an dem es uns klar wird, müssen wir aufhören damit.
Illusionen sind Zeitverschwendung und unser Leben ist kurz genug. Allein das
Ergebnis entscheidet, ob eine Maßnahme, die wir treffen, gut oder schlecht ist.
Unwirksame Manöver sollten wir abbauen, wirksame aufbauen. So steigert sich unser
Vertrauen in unsere Natur und die Chance, unseren Traum zu verwirklichen,
öffnet sich. Darin müssen wir rational sein. Das Leben des
"Erleuchteten" verläuft äußerst rational. Aber seine Vernunft ordnet
sich seinen Bedürfnissen unter, sodaß er ständig jenes Lebensgefühl erleben
kann, das er liebt. Er folgt seiner Natur und allen Einflüssen, die auf sie
wirken. Er verdrängt nichts. Daher hat er Zugang zu Information, die manchem
Unerleuchteten wie ein Wunder erscheint.
Die sogenannte
"Außersinnliche Wahrnehmung", der sich Medizinmänner und Medien aller
Kulturen bedienen, ist eine normale, wenn auch wissenschaftlich noch nicht
geklärte, Informationsquelle. Sie wird zugänglich, wenn wir uns nichts mehr
vormachen. Deshalb ist es auch "Verbrechern" manchmal möglich das
Gespür zu entwickeln für den richtigen Zeitpunkt und die geeigneten Mittel.
(Das entspricht auch den Erfahrungen der Kahunas, siehe M.F. Long: Kahuna
Magie. S 232f). Die Grundlage dieses oft "geheim" genannten Wissens
ist die Anerkennung der Wahrheit. Die Freien bauen auf das Gegebene, auf den
Felsen der Realität. So aussichtslos unsere Situation manchmal auch erscheinen
mag, die Realität hält immer eine Möglichkeit bereit, sie zu verbessern. Aber
wenn wir unsere Wirklichkeit verleugnen, können wir die immer vorhandene
archetypisch optimale Lösung nicht sehen. Wenn wir sie nicht sehen können,
müssen wir auf das achten, was uns ablenkt, denn das hat gewichtige Gründe.
Indem wir uns mit uns selber versöhnen, uns so akzeptieren, wie wir sind, verlieren
die Ablenkungen ihre hypnotische Kraft, denn wir haben ihr Recht bereits zur
Kenntnis genommen. Dadurch werden wir immer aufmerksamer auf leisere Stimmen in
uns, schwächere als die der fünf Sinne. In diesen leisen Stimmen liegt die
Führung durch den "Geist".
Wir können den menschlichen
Geist als eine Art Computerausdruck unserer gegenwärtigen Situation sehen und
es scheint, wir Menschen haben darin Zugang zu einer zeitlosen Ebene der
Existenz und zwar nicht bloß durch die Archetypen, also die gespeicherten
Menschheitserfahrungen, bzw. die Instinkte, sondern auf einer anderen Ebene der
Realität, in der alles für uns Wesentliche gegenwärtig ist. Erfahrungen, die
wir alle in größerem oder geringerem Maß machen, deuten darauf hin, daß es so
etwas wie eine reale "geistige" Existenz gibt, an der wir teilhaben,
obwohl wir derzeit über keine befriedigende physikalische Erklärung verfügen.
Es scheint, daß die ganze Welt ein einziges "Wesen" ist, mit dem wir
kommunizieren können und daß in einer Instanz dieses "Wesens" alles
gegenwärtig ist, was uns betrifft, sei es vergangen, gegenwärtig oder
zukünftig. Die Religionen haben mythologische Erklärungen für dieses Phänomen.
Aber wir brauchen heute nicht mehr über seine Hintergründe spekulieren. Wie
Buddha schon festgestellt hat, führt dies zu nichts. Wir können von den
Tatsachen ausgehen. Und eine dieser Tatsachen ist eine Art universeller
Wahrnehmung, vermutlich der uns betreffenden emotionalen Ausstrahlung unserer
Umwelt, also aller unserer Beziehungen. Das beschreibt Castaneda mit dem Bild
der "Lichtfäden", die von uns "leuchtenden Wesen" ausgehen,
mit denen wir die Gegenstände unseres Lebens berühren.
Wenn der Kontakt abreißt,
wenn die Motivation in irgendeinem Bereich aufhört, wie heute die Motivkraft
vieler alter Mythen, ist es sinnlos ihr nachzutrauern. Das Realistische ist,
offen zu sein für eine neue Motivation, (I Ching, 38,1: "Er hat seine
Pferde verloren, aber laß ihn nicht suchen nach ihnen. Sie werden von selber
zurückkommen."). Wir brauchen nichts "tun", sondern nur
wahrnehmen, was unsere aktuelle Beziehung ist. Daraus ergeben sich unsere
Aktionen von selbst. Sie folgen dem, was Dorothee Lessing
"Notwendigkeit" genannt hat (in: "The Sirian Experiments").
Ein Computer könnte den optimalen Kurs berechnen, wenn ihm die Daten zur
Verfügung stünden. Aber es gibt keine Maschine (bis jetzt), die die Information
wahrnehmen könnte, die wir empfangen, denn es scheint keine physikalische
Grundlage dafür zu geben. Und doch spekulieren die heutigen Physiker über genau
diese "immateriellen" Grundlagen in der Quantenphysik. Ein Vektorraum
wird angenommen, aus den intentionalen Kräften, die auf die Materie wirken. Und
da scheinen sich die Bereiche zu treffen, deren eine Hälfte bis jetzt in
mythologischer Terminologie besprochen worden ist, die andere in physikalischen
Termini. In der Religion gibt es "Wunder", also einen Einfluß des
Geistes auf die Materie und in der Physik ist gerade das das fehlende Glied in
der Kausalkette. Die Wirklichkeit ist also wie ein Spektrum, von dem es die
Physik mit dem "sichtbaren" Bereich, die Religion aber mit dem
"unsichtbaren" zu tun hat. Aber heute verwischen sich die Grenzen.
Heute muß auch der Bereich der Motivation naturwissenschaftlich gesehen werden.
Wir wissen, daß Einstellungen eine physische Wirkung haben. Sie machen eine
Situation gut oder schlecht. Sie rufen Erfolg oder Mißerfolg hervor. Es ist wie
beim Einstellen eines Radios: Wenn wir uns gut einstellen, können wir den
"unsichtbaren", "nichtphysikalischen" "Teil" des
Spektrums empfangen. Oft aber stehen wir diesem Bereich gegenüber wie die
Menschen den Radiowellen, bevor sie erfunden waren. Und doch spüren wir ständig
den Sender in uns, nur - es scheint uns zu viel, was er verlangt. Er verlangt
nämlich, daß wir die Verantwortung übernehmen für das, was uns geschieht, daß
wir also unsere Schuld anerkennen. Nur wenn wir diese Realität voll auf uns
wirken lassen, kann es geschehen, daß wir die Kraft bekommen zum Aufholen oder
zur Korrektur unserer Erwartungen. Solange ich mich diesem Dilemma nicht offen
stelle, bin ich hin und hergerissen in einem Teufelskreis, in dem ich weder
etwas erreichen kann, weil mir die Motivation fehlt, noch ablassen kann von
meinen Vorstellungen, weil mir der Blick auf die Realität fehlt. Ich bin
verdammt zur Unwirksamkeit, weil ich die Naturgesetze nicht beachte.
Die Naturgesetze des Lebens
sind seit je her in Mythen formuliert worden. Auch heute werden Mythen
produziert. Sie erzählen die Geschichten des heutigen Lebens. Der heutige Olymp
ist Hollywood. Die neuen Tempel heißen Kinos, Radiostationen, Diskotheken usw..
Die heutigen Priester sind die Psychotherapeuten. Und wir (so ferne es noch
scheinen mag) stehen kurz vor der Zeit, wo die politischen Machthaber die
heutigen Mythen und ihre Moral zur Grundlage der allgemeinen Politik machen
werden - gezwungen durch die Notwendigkeit. Zur Zeit sind wir allerdings noch
verhaftet an traditionelle Modelle. So wird es eine neue Art von
"Theokratie" geben, die, wenigstens eine Zeit lang (bis die Welle ausgelaufen
ist), die menschliche Natur zu ihrer obersten Norm machen wird. Die heutigen
Probleme lassen sich nicht mehr ideologisch lösen. Die ganze Wirklichkeit muß
einbezogen werden. Der durch den Computer drohenden totalen Bürokratisierung
wirkt die damit gegebene große Breite der Variationsmöglichkeiten, die die
Programme bieten können, entgegen. Erst die Computer machen dadurch einen
weltweiten rationalen Austausch von Angebot und Nachfrage möglich. Sie machen
Staatsgrenzen überflüssig. Wir können zurückkehren zum Stadtstaatensystem und
gleichzeitig fortschreiten zu völlig neuen Formen der Gemeinschaftsbildung. Mit
Hilfe der Computer werden optimale Organisationsformen gefunden werden, die dem
Einzelnen wie der Gesamtheit optimale Entfaltungsmöglichkeiten bieten. So entstehen
auch gesellschaftlich die optimalen Bedingungen für die individuelle Freiheit,
die aber gerade wieder in der Gemeinschaft und im Dienst in ihr ihre Erfüllung
findet.
Unsere Natur sorgt also für
eine ganzheitliche Lösung, in der sich die Interessen der Allgemeinheit mit den
Interessen des Einzelnen treffen. Darin ist die Freiheit dann universal. Ein
neues Paradies, ein goldenes Zeitalter bricht an. Aber natürlich wird auch
diese rationale und emotionale Ordnung wieder zerfallen, weil einzelne Menschen
und Clans wieder Wege finden werden, diese Ordnung für ihre Zwecke auszunutzen.
Und so wird erneut Entfremdung einsetzen und das Rad dreht sich weiter bis zur
nächsten Phase von Harmonie und Freiheit. So ist der Lauf der Welt. Und für
uns, die wir immer noch in einer Zeit großer Hemmungen leben, gibt es nur einen
Weg in die Freiheit: Uns nicht binden lassen, sondern der Spur folgen, die vor
unserem geistigen Auge aufleuchtet.
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